Jüngste Spionage-Fälle Demokratie als "systemischer Rivale"
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25. April 2024, 11:40 Uhr
Westliche Demokratien wie unsere sind autokratischen Mächten wie Russland und China ein Dorn im Auge. Das zeigten auch die jüngsten Spionage-Fälle. Warum Deutschland gegenüber Autokratien einen Rivalen darstellt, wie es um die aktuelle Bedrohungslage steht und warum auch wir Ziel des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine sind, darüber spricht die Politikwissenschaftlerin Andrea Gawrich im Interview mit MDR AKTUELL.
- Demokratien als Ziele aggressiver Außenpolitik
- Russischer Angriffskrieg richtet sich auch gegen Deutschland
- Bedrohung für Europa findet auf mehreren Ebenen statt
MDR AKTUELL: In der vergangenen Woche wurden in Bayern zwei Männer festgenommen, die für Russland spioniert haben sollen, Anfang dieser Woche wurden mutmaßliche chinesische Spione gefasst. Inwiefern lassen sich diese jüngsten Fälle von Spionage einordnen – und welche Strategie wird dabei verfolgt?
Andrea Gawrich: Zunächst einmal: Spionagefälle hat es ja schon immer und in verschiedenen Zusammenhängen gegeben. Aber das Wichtigste ist, dass unser Denken sich gerade ändert und unsere Wahrnehmung auf unser eigenes Land und auf die Schutzbedürftigkeit unseres eigenen Landes. Auf einmal steht viel mehr im Zentrum die Wahrnehmung, dass unsere Demokratie angegriffen werden soll, dass wir bewusst ausspioniert werden sollen, weil wir systemische Rivalen sind. Und wir sind auch gegenüber China systemische Rivalen. Und dieses Rivalen-Moment bezieht sich darauf, dass wir eine lebendige Demokratie sind und bleiben wollen. Und China wie auch Russland sind das eben nicht. Bei den Fällen derjenigen, die mutmaßlich für Russland spioniert haben, ist es natürlich eine andere Situation, weil sich das ja auch ganz gezielt auf militärische Einrichtungen bezog, die in die Unterstützung der Ukraine involviert sind. Da ist es sicherlich eher so, dass das so eine Art Weckrufsituation ist, dahingehend, noch mehr abzuschotten oder noch weniger sichtbar zu machen, wo militärische Unterstützung für die Ukraine innerhalb Deutschlands organisiert wird.
Warum noch ist Deutschland ein derart interessantes Ziel für Russland?
Das ist die fundamentalste Frage überhaupt. Warum sind wir Ziel der aggressiven, russischen Außenpolitik? Alle konsolidierten Demokratien in Europa, oder wo auch immer auf der Welt, sind per se auch das Ziel für russische Außenpolitik. Das Ziel besteht darin, Demokratien zu destabilisieren. Aus Prinzip. Wir befinden uns auf dem Weg in eine Art von Regime-Wettbewerb. Die Demokratien versuchen natürlich primär, diesen Wettbewerb durch Überzeugung, durch friedliche Mittel, durch ökonomische Prosperität, durch Interdependenz und friedliche Interaktion, durch Mitgliedschaft in internationalen Organisationen und so weiter zu führen. Auf autokratischer Seite und insbesondere auf russischer Seite hat sich das sehr stark in die Richtung bewegt, Demokratien an sich zu schwächen. Darum geht es: Das Demokratische darf nicht gewinnen. Das Demokratische darf nicht einflussreich sein im globalen Kontext.
Insofern richtet sich der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine auch direkt gegen uns?
Der Krieg findet auf verschiedenen Ebenen statt. Er findet als neoimperialer Krieg gegenüber der Ukraine statt, mit verschiedenen kruden, pseudohistorischen Argumenten. Und gleichzeitig richtet er sich ebenso gegen uns.
Auch wir sind die Adressaten dieses Krieges, weil wir demokratisch leben wollen, weil wir in einer freien Gesellschaft leben wollen, weil wir unsere Regierungen durch Wahl wechseln wollen. Und weil wir das, was wir tun, in einem freien Diskurs prägen. Genau deshalb sind wir das Feindbild dieses benachbarten Autokraten. Und das haben wir zu spät verstanden.
Auch wir sind die Adressaten dieses Krieges, weil wir demokratisch leben wollen.
Inwiefern zu spät?
Ich meine damit, dass etablierte Demokratien wie die unsrige in den vergangenen Jahren in Bezug auf die Gefahren, die von den Autokratien ausgehen können, viel zu naiv gewesen sind. Ganz konkret und insbesondere im Fall von Russland. Und ich meine die Naivität zu glauben, wir seien einfach per se das überzeugendere Modell. Wir hätten viel früher ein stärkeres Augenmerk legen müssen auf die innere Brutalität, die es in Russland schon seit der Auflösung der Sowjetunion immer wieder gegeben hat.
Welcher Bedrohung sind wir noch ausgesetzt?
Dazu gehört zum Beispiel Desinformation auf verschiedenste Art und auch die Cyber-Bedrohung. Das ist nicht neu, sondern seit Jahren bekannt. Sei es in Form von Bots in Twitter- bzw. "X"-Dialogen oder ganz konkret Angriffe auf Regierungsinstitutionen, gerade im Vorfeld von Wahlen. Es besteht die Gefahr von Desinformationskampagnen oder Cyberattacken für den zivilen, digitalen Raum, aber vielleicht auch für den militärischen digitalen Raum – und das wäre um Einiges gefährlicher. Und nicht zu vergessen die gezielte und explizite Unterstützung Russlands für die nationalistischen, rechtspopulistischen Gruppierungen innerhalb der Europäischen Union, nicht nur in Deutschland.
Was steckt hinter dieser Strategie Putins, immer engere Bande mit rechtspopulistischen Parteien zu knüpfen?
Die rechtspopulistischen Parteien sind ja zunächst einmal in Folge der Finanzkrise nach 2008 entstanden und größer geworden und haben dann infolge der sogenannten Flüchtlingskrise 2015/16 noch mal an Bedeutung gewonnen und haben sich dadurch etablieren können. Auf russischer Seite geht es um die Nutzung von Gelegenheitsfenstern – das Erstarken rechtsnationalistischer Demokratie-Feinde in den EU-Staaten bietet dem russische Regime entsprechende direkt und unmittelbar in die deutsche Gesellschaft und auch in andere europäische Gesellschaften hineinzuwirken.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Hervorzuheben ist zunächst einmal, dass die rechtsnationalistischen Parteien zumeist gerne die EU abschaffen oder schwächen wollen. Die Destabilisierung der EU ist auch das Ziel Russlands, so dass es hier eine Gemeinsamkeit gibt. Der ökonomische und politische Erfolg der EU und dementsprechend der globalpolitische Einfluss ist für Russland ein Dorn im Auge, denn es ist der attraktive Gegenentwurf zu Russlands Bemühungen für osteuropäische Regionalorganisationen, die aber nicht annähend so funktionieren wie die EU. Ein weiterer Grund ist, dass rechtsnationalistische Parteien mit illiberalen Normen und autokratischen Führungs-Stilen liebäugeln, wie sie über Jahre von Putin aufgebaut wurde. Darüber hinaus verbindet auch ein verbreiteter Anti-Amerikanismus.
Die Bedrohungslage für Europa scheint sehr komplex. Wovon hängt unsere Sicherheit ab?
Ja. Der zentrale Schutz für Europa ist zunächst die Stärke der Nato. Das muss man deutlich so sagen. Und die Stärke der Nato, das ist der zweite Schritt, hängt davon ab, wie die Präsidentschaftswahlen in den USA im November ausgehen werden. Unabhängig von der USA-Frage ist die Nato aber auch deutlich gestärkt worden durch den Beitritt von Finnland und Schweden, zwei zwar kleine Länder, aber mit gutausgestatteten Armeen und auch sehr konsolidierten Demokratien. Das ist auch sicherlich sehr wichtig für den Diskurs innerhalb der Nato.
Und am allerwichtigsten ist tatsächlich, die Ukraine zu befähigen, den Krieg so zu führen, dass sie nicht verlieren muss. Das sieht jetzt gerade, im April 2024, so mittelmäßig günstig aus – 2024 wurde als schwieriges Jahr für die Ukraine vorhergesagt. Jetzt, durch die Haushaltsentscheidung, die in den USA gerade getroffen wurde, hat man sich jetzt noch mal Zeit erkauft, weil die Ukraine durch die US-Mittel erstmal gestärkt werden kann. Demzufolge wurde auch den Europäer noch einmal eine Atempause ermöglicht, ihre Ukraine-Unterstützung gut aufzustellen. Ich hoffe, dass Europa das gut nutzt. Die europäische Sicherheit wird am ehesten geschützt, wenn die Ukraine militärisch nicht verliert.
Was wäre, wenn doch?
Wenn doch, dann würde das bedeuten, dass ein sehr großer Staat mitten in Europa militärisch zerstört werden würde und wir diesem Staat, nicht hinreichend geholfen hätten, obwohl es das Völkerrecht vorsieht. Dann würde ein neoimperiales, genozidal angelegtes Regime wie Russland sehr nah an die Grenzen der der Nato heranrücken. Und das würde nur zu noch größerer Destabilisierung führen. Und vor allen Dingen könnte das auch ein Anreiz für Russland sein, auch andere Staaten wie die Republik Moldau oder Georgien zu destabilisieren.
Sie haben bereits die Präsidentschaftswahlen in den USA angesprochen. Wie würde ein mögliches Szenario nach einer Wiederwahl Donald Trumps aussehen?
Im Moment habe ich noch nicht den Eindruck, als würden sich die Europäer wirklich auf ein potentielles Trump-Szenario vorbereiten, vor allem sicherheitspolitisch nicht. Es würde insbesondere so aussehen, dass wohl mit der europäischen Atommacht Frankreich noch mal genauer diskutiert werden müsste, darüber, was es hieße, fiele zum Beispiel der atomare Schutz durch die USA weg. Aber Trump handelt so erratisch und unkalkulierbar. Eine zweite Amtszeit von ihm kann sich in allen möglichen erwarteten und unerwarteten weltpolitischen Richtungen auswirken.
nvm
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 25. April 2024 | 12:00 Uhr