Scholz vor EU-Gipfel Gegen jeden "Überbietungswettbewerb"

08. Februar 2023, 21:36 Uhr

Vor dem morgigen Start der Sondertagung des Europäisches Rates hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz in einer Regierungserklärung an den Bundestag gewandt. Scholz erklärte, Fokus der Verhandlungen seien die Migrations- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. Klar positionierte sich der Kanzler gegen einen Überbietungswettbewerb bei Waffenlieferungen an die Ukraine und warnte zugleich vor einem Subventionswettlauf mit den USA. Die Oppositionsfraktionen warfen Scholz zögerliches Handeln vor.

Torben Lehning
Bildrechte: MDR/Tanja Schnitzler

"Führen durch zu Zusammenführen", so beschreibt Bundeskanzler Scholz seinen Auftrag für den anstehenden EU-Gipfel in Brüssel. Zusammenzuführen gibt es viel. Die Tagesordnung der Regierungschefinnen und -chefs der Europäischen Union ist prall gefüllt.

Auf dem Tisch liegen unbeantwortete Fragen zur Unterstützung für die Ukraine, Sanktionen gegen Russland, die seit Jahren stockende gemeinsame europäische Migrationspolitik und eine Reaktion auf die Subventionspolitik der USA, den Inflation Reduction Act (IRA). Das seien Themen "mit Spaltpotential", so der Kanzler, für die es jetzt schnelle Lösungen brauche.

Vertrauliche Waffenlieferungen

Zunächst geht Scholz aber auf die Debatte um Waffenlieferungen an die Ukraine ein. Es sei wichtig gewesen, dass Entscheidungen über Waffenlieferungen, wie zuletzt bei den angekündigten Panzerlieferungen, zunächst vertraulich mit den Verbündeten besprochen worden seien. Das sei vom ersten Kriegstag an "unser höchstes Gut" gewesen, so Scholz. Der Kanzler warnt weiter: "Was unserer Geschlossenheit hingegen schadet, ist ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge – wer fordert mehr?" Daran werde sich Deutschland nicht beteiligen.

Aus der Opposition gibt es dafür in der nachfolgenden Debatte viel Kritik. Unions-Fraktionschef Friedrich Merz wirft Scholz vor, die Zeitenwende habe bislang nur auf dem Papier stattgefunden. Linken-Fraktionschefin Mohammed Ali kritisiert, Scholz halte entgegen aller Vernunft daran fest, dass man Russland mit militärischen Mitteln besiegen wolle. Für AfD-Fraktionschefin Alice Weidel stellt die Lieferungen von Panzern an die Ukraine einen Schritt dar, der Deutschland "de facto zur Kriegspartei" mache.

Asylrechtsreform möglich

Optimistisch blickt Scholz auf die offenen Fragen einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrationspolitik. Er sei zuversichtlich, dass eine Reform noch in der laufenden europäischen Legislaturperiode möglich sei, so der Kanzler.

Neben den Anstrengungen Deutschlands, Migrations- und Rückführungsabkommen mit anderen Staaten zu schließen, befürworte er auch europäische Initiativen, so der Kanzler. Darüber hinaus habe die EU-Kommission bereits wichtige Vorschläge zur Bekämpfung von irregulärer Migration und zum Schutz der EU-Außengrenzen gemacht, etwa zu "besseren gemeinsamen Grenzpatrouillen mit außereuropäischen Nachbarstaaten". Wer kein Bleiberecht habe, so Scholz, müsse Europa wieder verlassen. Es brauche hingegen dringend gezielte Zuwanderung, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen.

Ausdrücklich befürwortet Scholz den in einer Woche anstehenden Migrationsgipfel zwischen Innenministerin Nancy Faeser und den Ländern und Kommunen. Auch im kommenden Jahr werde der Bund Ländern und Gemeinden mit "Milliarden unter die Arme greifen, um die Ankommenden gut zu versorgen", so Scholz. Nach den von Ländern und Kommunen zusätzlich geforderten Bundeshilfen klingt das noch nicht.

Kritik vor Migrationsgipfel

Der Union reichen die Ausführungen des Kanzlers nicht aus. Die Aufnahmekapazitäten für Geflüchtete in den Kommunen seien erschöpft, Scholz müsse die Zuwanderung zur Chefsache machen, so CDU-Fraktionschef Merz. Darüber hinaus kritisiert er die rot-grün-gelbe Einwanderungspolitik insgesamt. Deutschland sei auf eine zusätzliche Einwanderung in der Größenordnung wie die Bundesregierung sie plane, nicht vorbereitet, so der CDU-Chef. Dafür gebe es nicht genügend Schulen, Kitas und Wohnungen. Außerdem müsse die Bundesregierung konsequenter abschieben.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge stellt dagegen, dass die Bundesregierung mehr dafür tun müsse, Fluchtursachen zu bekämpfen. Dafür brauche es entsprechend mehr finanzielle Mittel für Entwicklungszusammenarbeit und Krisenprävention – so wie es im Koalitionsvertrag vereinbart sei.

Kein ungehemmter Subventions-Wettlauf

Verhalten reagiert der Kanzler auf die fortwährenden Diskussion in der Europäischen Union über eine adäquate Antwort auf das milliardenschwere Beihilfe-Paket der USA für grüne Technologien. Ein "ungehemmter Subventionswettlauf" sei mit Sicherheit der falsche Weg, so Scholz. Die EU habe eine ganze Reihe von milliardenschweren Förderprogrammen, die die hiesige Wirtschaft unterstützen würden.

Europa brauche sich nicht verstecken, so der Kanzler. Die EU müsse sich jetzt erst einmal genau ansehen, wo man Förderprogramme noch nachbessern müsse. Investoren würden nicht immer nur dorthin gehen, wo sie die größten Geldtöpfe stünden, sondern dorthin, wo man schnelle Entscheidungen fälle.

Kritik an Uneinigkeit der Koalition

Die Union kritisiert, dass die aktuellen Wettbewerbsprobleme mit den USA viel geringer wären, wenn SPD, Grüne und Linke sich in der Vergangenheit nicht immer so stark gegen Freihandelsabkommen mit den USA oder Kanada gestemmt hätten. Durch Unstimmigkeiten zwischen dem grünen Wirtschaftsministerium und dem liberalen Finanzministerium habe Deutschland immer noch keine geordnete Strategie wie mit der Herausforderung des Inflation Reduction Act umzugehen sei.

Der Unions-Fraktionsvorsitzende Friedrich Merz kritisiert, dass sich die Uneinigkeit in der Ampel-Koalition auch auf europäischer Ebene auswirke: "Dann ist die Wettbewerbsfähigkeit nicht durch Brüsseler Politik beschädigt und in Frage gestellt, sondern durch die Uneinigkeit und die wochenlangen Streitereien in Ihrer Koalition." AfD-Fraktionschefin Weidel wirft Bundeswirtschaftsminister Habeck hingegen vor, Deutschland in einen von Brüssel regierten Bundesstaat aufgehen lassen zu wollen.

Keine Zeit für Untergangsmeldungen

Scholz warnt in seiner Rede eindringlich vor zu vielen "Kassandrarufen". Viele Beobachterinnen und Beobachter hätten in der letzten Zeit vor Rezession und Deindustrialisierung oder einer großen Abwanderungswelle aus Europa in die USA gewarnt. All das habe es bisher nicht gegeben und werde es auch nicht geben.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 08. Februar 2023 | 14:00 Uhr

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