Sanktionen im Ukraine-Krieg Deutsches Öl-Embargo gegen Russland ohne gesetzliche Grundlage
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19. Januar 2023, 11:46 Uhr
Der deutsche Verzicht auf russisches Pipeline-Öl seit Beginn dieses Jahres beruht auf Erklärungen des Bundeskanzlers. Eine gesetzliche oder andere Rechtsgrundlage gibt es nicht. Die Opposition im Bundestag kritisiert das – mit Blick auf Ostdeutschland.
- Alleingang des Kanzlers beim deutschen "Import-Stopp"?
- Die Opposition kritisiert das mit dem Blick auf Ostdeutschland.
- Warum wohl auf ein explizites Verbot verzichtet wurde.
- Warum das ein Problem sein oder sich erledigen kann.
Der vollständige deutsche Verzicht auf russisches Erdöl ist auch nach seinem "Inkrafttreten" zu Jahresbeginn noch ohne gesetzliche Grundlage. Im EU-Rat hatten sich die EU-Staaten Ende Mai vergangenen Jahres geeinigt, so weit wie möglich ist, kein russisches Öl oder Öl-Produkte mehr zu kaufen – als weitere Reaktion auf den russischen Krieg gegen die Ukraine.
In einer entsprechenden EU-Verordnung ist das geregelt – darin aber auch, dass russisches Öl über Pipelines bis auf weiteres noch bezogen werden darf, solange einzelne EU-Länder die Lieferungen noch nicht ersetzen können.
"Import-Stopp" laut Erklärung des Kanzlers
Diese Ausnahme in Anspruch zu nehmen, hat die Bundesregierung für Deutschland ausgeschlossen – in zahlreichen öffentlichen Statements von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und anderen Vertretern, obwohl Mitte 2022 noch nicht klar war und auch jetzt noch nicht klar ist, in welchem Umfang die Versorgung der ostdeutschen Raffinerien in Schwedt und Leuna gesichert werden kann.
Aus der EU-Verordnung ist ein deutsches Import-Verbot für russisches Pipeline-Öl nicht ersichtlich und die mögliche Ausnahme nicht auf einzelne Länder beschränkt. Auf Nachfrage von MDR AKTUELL erklärt die Sprecherin des zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums, Beate Baron, dass sich der deutsche Verzicht auf Pipeline-Öl aus Russland aus einer Protokollerklärung des Bundeskanzlers beim Europäischen Rat Ende Mai 2022 ergebe.
Der Verzicht auf Pipeline-gebundenes Öl aus Russland ab Jahresbeginn 2023 ergibt sich aus der Protokollerklärung, die der Bundeskanzler beim Europäischen Rat abgegeben hat.
Und dieser Verzicht gelte so, wie am 31. Mai 2022 vom Kanzler zu Protokoll gegeben. Was offiziell nur "Import-Stopp" genannt wird, aber wie ein Import-Verbot wirkt, ist damit in keine der üblichen legalen Formen gegossen.
Opposition kritisiert Versäumnisse
Die Opposition im Bundestag kritisiert das. So sagte Unions-Fraktionsvize Sepp Müller auf Anfrage von MDR AKTUELL: "In einem Rechtsstaat sollte man darauf vertrauen können, dass es für Beschränkungen oder Einschränkungen einen rechtlichen Rahmen gibt." Wenn sich Deutschland, neben Polen, über EU-Sanktionen hinaus von russischem Pipeline-Öl trenne, sei es nach Ansicht von Juristen, sagt Müller, "zumindest zweifelhaft, ob es vor Gericht hält".
In einem Rechtsstaat sollte man darauf vertrauen können, dass es für Beschränkungen einen rechtlichen Rahmen gibt.
Immerhin gehe es "um die Versorgung ganzer Regionen in Ostdeutschland, um Arbeitsplätze, Unternehmenswachstum, Positionen im Wettbewerb", sagt Müller, dessen Wahlkreis in Dessau-Roßlau und Wittenberg in Sachsen-Anhalt liegt: "Leider spielt der Osten in dieser Bundesregierung eine untergeordnete Rolle", und das nicht nur im Fall von Schwedt und Leuna.
Der brandenburgische Linke-Abgeordnete Christian Görke – mit der PCK-Raffinerie Schwedt in seinem Bundestagswahlkreis – sieht das ähnlich. Er sagte MDR AKTUELL: "Unabhängig davon, ob es einen rechtskräftigen Beschluss gab, ist die derzeitige Situation, dass Raffinerien in Ostdeutschland auf dem Halbtrockenen sitzen, ein Unding". Dass es ein halbes Jahr nach der Embargo-Ankündigung noch keine ausreichenden Alternativen gebe, sei das "Ergebnis einer ideologischen Energiepolitik ohne Sinn und Verstand".
Und Müller: Es "hätte mit Hochdruck an Lösungen gearbeitet werden können", an einer zweiten Pipeline aus Rostock etwa. Eigentlich "müsste aktuell zur Vollauslastung von Schwedt und Leuna weiter russisches Pipeline-Öl fließen", meinte der CDU-Politiker. Doch Verträge sind ausgelaufen, und gegen den Willen der Bundesregierung kann es wohl keine neuen geben.
CDU und CSU sind laut Müller dafür, solidarisch mit der Ukraine zu handeln und Russland mit Sanktionen unter Druck zu setzen. Ihre Forderung aber sei: "Erst die Lösungen, dann ein Embargo." Die Union habe frühzeitig "Fragen zur Machbarkeit eines Öl-Embargos und seinen Folgen formuliert und Bedenken an die Bundesregierung herangetragen", sagt Müller. Beispiel dafür ist etwa eine Anfrage vom Juni 2022 zu eben der fraglichen Rechtsgrundlage.
Warum es kein explizites Verbot gibt
Warum es kein explizites Verbot gibt, hat die Bundesregierung noch nicht erklärt. Tatsächlich gibt es aber Aspekte, die einen Rechtsakt für den Verzicht auf eine Ausnahme bei den EU-Sanktionen aus Sicht der Bundesregierung zunächst als unnötig erscheinen lassen konnten.
Erstens führt der die Bundesregierung bei der PCK Raffinerie Schwedt ohnehin die Geschäfte, genauer das Wirtschaftsministerium. Die laufende Treuhandverwaltung wurde zwar erst im September übernommen. Da sich der russische Staatskonzern Rosneft als PCK-Mehrheitseigner aber unwillig zeigte, die "Zeitenwende" im Öl-Einkauf mitzumachen, dürfte das geplant gewesen sein. Und zuletzt zeichnete sich ab, dass die Treuhänderschaft des Bundes über März hinaus verlängert wird. Unklar bleibt aber, was langfristig aus dem 54-prozentigen Rosneft-Anteil an der Raffinerie wird.
Zweitens hat die andere ostdeutsche Raffinerie, die unter der Regie des französischen Total-Konzerns stehende in Leuna, schon im März verkündet, von sich aus auf russisches Öl zu verzichten und Ende des Jahres auslaufende Lieferverträge nicht zu verlängern. Immer wieder wurde dann erklärt, man sei mit Hilfe des Bundes auf einem guten Weg, das russische Öl zu ersetzen.
Auch wollte der Kanzler die Ausnahme für russisches Pipeline-Öl nicht, vielmehr wohl er ein starkes Signal der EU an Russland. Erklärter Wille auch der meisten anderen EU-Staaten war es ja, vom russischen Öl wegzukommen. Das kommt auch im Beschluss des EU-Rats vom Mai und seiner Verordnung zum Ausdruck, die alle EU-Staaten verpflichtet, Schritte zu unternehmen, um das Öl-Embargo so schnell wie möglich auf alle Länder und Lieferwege ausdehnen zu können.
Rein ostdeutsches Problem
Auch glaubte man wohl, das russische Öl in sechs Monaten ersetzen zu können. Der Anteil von zwölf Prozent, den es – im Mai 2022 absehbar – an der Versorgung von Deutschland noch haben würde, entfiel ja fast allein auf die Raffinerie in Schwedt und zu einem kleineren Teil noch auf die in Leuna.
Bis zum russischen Angriff auf die Ukraine hingen beide Raffinerien noch komplett an der "Druschba"-Leitung aus Russland. Nach wie vor gelten sie als "Achillesferse" der Öl-Versorgung in Ostdeutschland. Sie beliefern hier Tankstellen und Flughäfen mit Treibstoff sowie viele andere Abnehmer mit Heizöl und diversen Produkten aus Erdöl für die chemische Industrie.
Hätte die EU die vorläufige Ausnahme für russisches Pipeline-Öl nicht beschlossen, wäre eine wasserdichte Rechtsgrundlage da gewesen. Dass ein halbes Jahr später gewissermaßen auch Ostdeutschland zu den bedürftigen Ländern gehören würde, hatte die Bundesregierung wohl nicht erwartet.
CDU-Politiker Müller attestiert ihr deshalb nun "fehlende Kenntnis und schlechtes Handwerk". Die Ampel-Koalition habe "wie auch bei anderen Entscheidungen" einfach zu lange gebraucht, "um das Problem sachlich zu analysieren", ein Gesetz zu erarbeiten oder das Vorhaben zu verwerfen.
Warum das ein Problem werden könnte
Probleme könnte die mangelnde legale Fixierung eines Import-Verbots für russisches Öl aufwerfen, wenn es tatsächlich zu Engpässen für die Raffinerien kommen würde und sie vertragliche Lieferverpflichtungen nicht einhielten.
Auch könnte der PCK-Mehrheitseigner Rosneft, der ohnehin gegen die Treuhandverwaltung klagt, mit Verweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage von Entscheidungen möglicherweise auch daraus noch Kapital schlagen.
Und Müller rechnet mit Klagen, auch damit, dass Preise steigen und Menschen negativ betroffen sein werden: "Es stehen Arbeitsplätze und Unternehmensexistenzen auf dem Spiel", so der CDU-Oppositionspolitiker, und ergänzt mit Blick auf den deutschen Verzicht auch auf Pipeline-Öl: "Dies leichtfertig in einem nationalen Alleingang zu machen ist fahrlässig", denn hier könnten "Millionen Euro an Steuergeldern verbrannt werden".
Offen, ob es zu Engpässen kommt
Obwohl fortgesetzte Unsicherheit besteht, sieht der "Mineralölverband Fuels und Energie" zumindest die Tankstellenversorgung im Osten gesichert: Es gebe gefüllte Lager, längere Lieferausfälle seien unwahrscheinlich.
Im Bundestag sprach Michael Kellner von den Grünen, parlamentarischer Staatssekretär des Bundeswirtschaftsministeriums, jetzt von Zusagen für die PCK-Raffinerie aus Polen "für Januar und darüber hinaus", die Auslastungen von etwa 56 Prozent gewährleisteten. Als Zielmarke gelten mindestens 70 bis 80 Prozent. Verträge mit Kasachstan sollen helfen, jedoch schränkte Kellner hier ein, dass noch unklar sei, ob die Durchleitung gewährleistet sei. Eine offizielle Genehmigung aus Moskau gab es noch immer nicht.
Problem könnte sich von selbst erledigen
Das formalrechtliche Problem könnte sich von selbst erledigen, etwa mit einem Beschluss des EU-Rats, die Ausnahme für russisches Pipeline-Öl nun fallen zu lassen. Dass dies schon beim Sondertreffen am 9. und 10. Februar geschieht, war angesichts der Fortschritte etwa in Ungarn aber eher unwahrscheinlich.
Zudem hatte Moskau am 27. Dezember ja auch selbst angekündigt, ab 1. Februar den Verkauf von Öl in Länder zu untersagen, die einen Preisdeckel für russisches Öl beschlossen haben – per Dekret von Präsident Wladimir Putin. Das allerdings könnte der Herrscher im Kreml mit einem Federstrich auch jederzeit wieder beenden.
mit dpa,Reuters
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 18. Januar 2023 | 19:30 Uhr