Flexibel aber kompliziert Änderung beim Elterngeld: "Manche Väter lassen es dann lieber gleich sein"
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24. Dezember 2024, 09:05 Uhr
Seit April gibt es neue Regeln beim Elterngeld. Väter und Mütter können nicht mehr als einen Monat parallel Elterngeld beziehen. Eltern können sich also nicht mehr so leicht gleichzeitig um ihr Kind kümmern. Das sei ein Rückschritt und verhindere sogar Gleichberechtigung, sagen Betroffene.
- Der Beratungsbedarf beim Elterngeld ist groß. Viele Eltern sind mit den Anträgen überfordert.
- Die Anspruchshaltung mancher Eltern sei teilweise jedoch "schwierig", sagt Schwangerschaftsberaterin Carolin Hummel aus Sachsen.
- "Vorbei an der Realität" sei die April-Änderung zum Parallelbezug, schreiben MDR-Leserinnen.
Wir haben unsere Leserinnen und Hörer im September gefragt: Was halten Sie von der Elterngeld-Reform, die im April 2024 eingeführt wurde? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht und auf welche Art betrifft Sie und Ihre Familie die Änderung? Und wir haben Antworten bekommen. Dafür möchten wir uns bedanken. Gezeigt hat uns der Rücklauf an Mails, dass das Thema Familien, Eltern und Paare sehr bewegt.
Der Tenor der Nachrichten, die wir erhalten haben, ist, dass die Elterngeld-Reform kritisch gesehen wird. Und zwar von denen, die es betrifft. Steve Peterka, ein Vater aus Magdeburg, schreibt uns: "Die Antragstellung selbst war eine Katastrophe." Damit ist er nicht allein.
Neue Regelung seit April 2024
Seit April können sich Eltern nicht mehr länger als einen Monat gleichzeitig ums Kind kümmern (und dabei Basiselterngeld bekommen).
Das Bundesfamilienministerium begründet das mit mehr Gleichberechtigung. In der Praxis sehen Experten jedoch große Verunsicherung und weniger Freiheit bei jungen Eltern.
"Seit Mai 2024 ist nun mein Sohn auf der Welt und aufgrund der komplizierten Antragstellung habe ich bis heute noch kein Elterngeld. Ich habe dadurch Probleme meine laufenden Kosten zu decken", schrieb auch eine Mutter aus Bielefeld. Von Überforderung junger Eltern bei der Antragstellung berichten uns freie ebenso wie staatliche Elterngeldberaterinnen.
Antragstellung kompliziert
Bei Carolin Hummel in Glauchau bei der Diakonie Westsachsen kommen viele, viele Fragen zum Thema Elterngeld an. Sie kennt die größten Sorgen werdender Eltern, denn sie ist seit über 18 Jahren in der Schwangerenberatung tätig. Beim Ausfüllen und Abschicken kann Hummel jungen Eltern oft einiges an Last abnehmen.
Das gemeinsame Ausfüllen des Antrags ist ein besonderer Service der Diakonie in Glauchau – nicht alle Stellen machen das. Das sei eigentlich Aufgabe der Elterngeldstellen. Der Bedarf sei aber so groß, dass man hier Entlastung schaffen wolle. Welche Nachweise, welche Bezugszeiträume sind relevant? Wann kommt voraussichtlich das Geld? All diese Fragen beantwortet Hummel den werdenden Eltern, die mittlerweile viel häufiger als Paar kämen, also nicht nur die Mütter, wie sie erzählt.
Die Haltung mancher Klienten findet Hummel allerdings schwierig: "Wenn Eltern mit der Vorstellung herkommen, ich solle mal vorrechnen, wie sie das meiste rausholen könnten, dann erinnere ich gerne daran, dass wir in Deutschland viele Familienleistungen haben, über die wir dankbar sein dürfen."
Änderung geht an Familienbedarf vorbei
Von Glauchau nach Leipzig. Kathrin ist 28 Jahre alt und hat zwei Kinder. Eines davon ist erst drei Monate alt. Die Änderung des Parallelbezugs betrifft die Leipzigerin also. Kathrin sagt: "Die Änderung finde ich nicht sinnvoll. Nach vier Wochen ist man als Frau noch im Wochenbett." Sie wäre gerne länger mit ihrem Partner gemeinsam zu Hause geblieben. Die April-Änderung empfindet sie als Rückschritt.
Johanna Haworth aus Stuttgart schreibt uns: "Ich bin unbedingt dafür, Paare zu fördern, die sich die Care-Arbeit besser aufteilen, aber diese rigide Regelung geht zumindest in den zwei Monaten nach der Geburt völlig an der Realität vorbei." Sie hat ebenfalls zwei Kinder: "Bei beiden Kindern war es bei uns absolut notwendig und wichtig, dass mein Mann nach der Geburt zwei Monate gemeinsam mit mir und den Kindern zu Hause war."
Die Anfangszeit war und ist eine Herausforderung, erzählt auch Kathrin. Auf das Elterngeld mussten sie und ihr Partner beim zweiten Kind warten: "Einen weiteren Monat hätten wir nicht überbrücken können." Was Kathrin unfair findet, ist, dass sich das Elterngeld nach dem vorherigen Gehalt richtet. Die Care-Arbeit, die sie für das Kind leiste, sei die gleiche, wie die von Menschen, die vorher schon viel verdient hätten.
Einkommensdebatten führten nur zur Ablenkung von den eigentlichen Problematiken beim Elterngeld, sagt Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Familienverbandes zu diesem Einwand. Er führt aus: "Das Basiselterngeld in Höhe von 300 Euro ist hingegen eine familienpolitische Unverschämtheit. Seit Einführung als Erziehungsgeld 1986 wurde dieser Betrag nicht mehr angepasst. Das heißt, dass fast 40 Jahre Inflation nicht berücksichtigt wurden."
Keine steigende Gleichberechtigung
Die Deckelung von 1.800 Euro beim Elterngeld würde bei manchen Gutverdienern zu Fragen und Unmut führen, sagt wiederum Carolin Hummel im Gespräch mit MDR AKTUELL. Dabei komme es zu Vergleichen mit Bürgergeld-Empfängern. Dann klären Carolin Hummel und ihre Kolleginnen auf. Früher seien vor allem bedürftige Menschen in die Beratung gekommen, das sei heute wesentlich durchmischter. Probleme beim Antrag hätten aber alle. Die Änderungen und Möglichkeiten führen zu Verwirrung, findet Hummel.
Dass Paare nur noch einen Monat zeitgleich Basiselterngeld beziehen dürfen, habe nicht dazu geführt, dass mehr Väter mit dem Kind zu Hause blieben und die Mütter arbeiten gingen. Im Gegenteil, sagt Carolin Hummel: "Die Väterzeit wird häufig nachgefragt. Da diese aber nicht beschlossen wurde, nehmen viele Väter den ersten Monat Elternzeit. Und dann den 13. Monat, das ist ein beliebtes Modell." Die Familienstartzeit, umgangssprachlich Väterzeit, zehn freie Tage ab Geburt, stand ursprünglich im Koalitionsvertrag. Umgesetzt wurde sie nicht.
Was aber auch der Fall sei: "Manche Väter lassen es dann lieber gleich sein." Das bestätigt auch die Stadt Dresden auf MDR AKTUELL-Anfrage: "Es scheint nicht wirklich motivierend für die Väter, zu Hause zu bleiben, wenn die Planung und die Möglichkeiten der Inanspruchnahme so schwer geworden sind." Auch das Thema Stillen müsse man beachten. Und: Das Krippenplatzangebot. In Sachsen wird die Situation zwar etwas besser, sei aber weiterhin auf keinem guten Niveau. Bundesweit liegt Sachsen, was den Betreuungsschlüssel und damit die Gruppengröße in Kitas angeht, auf dem vorletzten Platz.
Alleinerziehende besonders belastet
Ein allgemeiner Kritikpunkt ist die Bürokratie im Zusammenhang mit dem Elterngeldantrag, welcher die frischgebackenen Eltern, speziell aber Mütter im Wochenbett, ausgesetzt sind. Antragsteller müssen folgendes besorgen:
- Geburtsurkunde im Standesamt
- Haushaltsbescheinigung im Einwohnermeldeamt
- Mutterschaftsgeldbescheinigung bei der Krankenkasse
- Bescheinigung des Arbeitgeberzuschusses zum Mutterschaftsgeld vom Arbeitgeber
- ggf. Bescheinigung des Verdienstes bei Teilzeit während des Elterngeldbezuges
All das geht erst nach Geburt, weil der Geburtstermin feststehen muss. "Bestenfalls haben die Frauen einen Partner, der manche Wege übernimmt. Alleinerziehende sind auch hier wieder benachteiligt", sagt Hummel. Diese müssen sogar beim ersten Kind vor Abschicken ihres Elterngeldantrages beim Finanzamt zunächst den Entlastungsbetrag für Alleinerziehende beantragen. Das ist eine zusätzliche Hürde und verlängert die Bearbeitungszeit des Antrages.
Reaktionen von Familien
Manche Familien helfen sich durch individuelle Maßnahmen, die jedoch nicht für alle passen: "Eventuell nimmt mein Mann dann zusätzlich unbezahlte Elternzeit, um mich zu unterstützen und Zeit mit den Kindern zu verbringen. Der Staat handelt hier komplett an Familien vorbei", schreibt uns MDR-Leserin Jasmin Schade.
"Dass man nur noch einen Monat zusammen nehmen darf, ist wirklich eine wahnsinnige Verschlechterung für Familien." Sie befürchtet, dass der eine oder andere sich es so vielleicht deutlich überlegen wird, Kinder zu bekommen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 24. Dezember 2024 | 08:06 Uhr