Holocaust-Gedenktag Begriff "queere" Opfer des NS-Regimes sorgt für Diskussionen
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27. Januar 2023, 05:00 Uhr
Im Bundestag wird heute mit einer Gedenkstunde an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert. Zum ersten Mal stehen dabei Menschen im Mittelpunkt, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt wurden. Ein Wort sorgte vorab für Kritik, und zwar die Verwendung des englischen Begriffs "queer".
- Historiker: Verwendung des Begriffs "queer" ist "unhistorisch".
- "Queer" würde der Vielfalt an Verfolgungen von sexuellen Minderheiten gerecht, lautet das Gegenargument.
- Der Schwulen-und Lesbenverband freut sich, dass diese Opfergruppe jetzt in den Mittelpunkt rückt.
Bei der Gedenkveranstaltung im Bundestag wird unter anderem an Mary Pünjer erinnert – eine Frau, die 1904 in eine jüdische Kaufmannsfamilie in Hamburg geboren wird. Im Jahr 1940 wird sie verhaftet, ins KZ Ravensbrück deportiert und später in der sogenannten "Euthanasie"-Anstalt in Bernburg an der Saale ermordet.
In einem Meldebogen schreibt der SS-Arzt Friedrich Mennecke über sie: "Sehr aktive kesse Lesbierin. Suchte fortgesetzt lesbische Lokale auf und tauschte im Lokal Zärtlichkeiten aus."
Ob Pünjer wegen ihrer sexuellen Orientierung verhaftet wurde, sei jedoch unklar, sagt Alexander Zinn, Historiker am Fritz-Bauer-Institut: "Es gibt gar keine Hinweise darauf, dass weibliche Homosexualität strafrechtlich oder über eine KZ-Einweisung verfolgt worden wäre. Und es ist aus meiner Perspektive viel wahrscheinlicher, dass sie wegen ihrer jüdischen Herkunft verhaftet und verfolgt wurde."
Historiker nennt Begriff "unhistorisch"
Zinn sagt, dass die Verfolgung nur homosexuelle Männer getroffen habe. Deshalb verstehe er nicht, warum vor der Gedenkveranstaltung manche jetzt von der Verfolgung "queerer" Menschen sprechen.
"Queer" ist ein englischer Sammelbegriff für Menschen mit allen sexuellen Orientierungen oder geschlechtlichen Identitäten – also auch Bisexuelle oder Transpersonen. Alexander Zinn nennt die Verwendung "unhistorisch": "Es ist letztendlich der Versuch, sozusagen historische Gerechtigkeit aus unserer heutigen Perspektive herzustellen. Was in meinen Augen völlig unsinnig und überflüssig ist."
Man könne aus der Geschichte auch lernen, dass die Verfolgung sexueller Minderheiten, in diesem Fall der homosexuellen Männer im Dritten Reich, unrecht gewesen sei. Das habe in Zukunft natürlich auch für alle anderen sexuellen Minderheiten zu gelten.
Queer: Abbildung vielschichtiger Verfolgungen
Den Begriff hatte unter anderem die Schauspielerin Maren Kroymann benutzt, die im Bundestag biografische Texte von der ermordeten Mary Pünjer vorlesen wird. Der Historiker Martin Lücke findet es sogar wichtig, von "queeren" Opfern zu sprechen: "Aus einer fundierten geschichtswissenschaftlichen Perspektive ist es ja fast alternativlos. Denn es geht uns ja darum, heute auch die Vielschichtigkeit der Verfolgung von sexuellen Minderheiten im Nationalsozialismus zu erkennen."
Und da gehe es auch keinesfalls darum, dass man heute versuche, das Prestige einer Opfergruppe zu bekommen, das sei ja ein zynisches Argument. Es gehe vielmehr wirklich darum, dass jetzt Verfolgungen in ihrer ganzen Facettenhaftigkeit auch endlich abgebildet würden.
Schwulen-und Lesbenverband: Nicht nur schwule Opfer unter Verfolgten
Ähnlich formuliert es Kerstin Thost vom Schwulen- und Lesbenverband, die den Begriff "queer" als Oberbegriff sieht: "Er wurde während des Nationalsozialismus in Deutschland auf jeden Fall noch nicht genutzt, da stimmen wir zu. Aber es gab eben nicht nur schwule Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch lesbische und bisexuelle. Und auch Transpersonen und Interpersonen wurden verfolgt. Unter anderen Vorsätzen, unter anderen Vorwänden." Unabhängig davon ist der Verband aber froh, dass der Bundestag diese Opfergruppe überhaupt in den Mittelpunkt stellt.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 27. Januar 2023 | 06:00 Uhr
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