Bilanz Expertin zum Deutschlandticket: Wichtig beim Preis ist Verlässlichkeit
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01. Mai 2025, 05:00 Uhr
Zwei Jahre nach dem Start nutzen Millionen Menschen das Deutschlandticket. Doch Verkehrsexpertin Claudia Hille sieht weiterhin große Schwächen: zu wenig Investitionen in den ÖPNV – und eine wachsende Verunsicherung der Abonnenten durch die andauernde Diskussion um den Preis.
MDR AKTUELL: Frau Hille, was ist ihre Bilanz für das Deutschlandticket zwei Jahre nach der Einführung?
Claudia Hille: Ich halte das Deutschlandticket nach wie vor für einen der größten Erfolge der deutschen Verkehrspolitik. Auch wenn wir anhand der anhaltenden Diskussionen erleben, dass es nicht unumstritten ist.
Gehen wir zuerst auf die Vorteile ein. Warum ist es für Sie ein Erfolg?
Wir sehen es natürlich an den Nutzerzahlen. Ungefähr 13.500.000 Menschen haben das Deutschlandtickets aktuell abonniert. Das zeigt, dass die Nachfrage nach einem guten ÖPNV-Angebot einfach da ist.
Der ÖPNV könnte aber in vielen Regionen noch deutlich attraktiver sein…
In den vergangenen beiden Jahren ist es auf jeden Fall verpasst worden, den Öffentlichen Personen-Nahverkehr (ÖPNV) attraktiver zu machen. Es braucht einfach viel, viel mehr Geld für den Ausbau und eine Qualitätsoffensive.
Zur Person Claudia Hille ist seit März 2024 Professorin für Radverkehr an der Hochschule Karlsruhe. Zuvor war sie mehrere Jahre in der Verkehrsplanung in Erfurt tätig und Geschäftsführerin am Institut Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt. Ihre Forschungsinteressen sind Strategien zur Förderung des Fahrrades als Verkehrsmittel im Alltag, die Erklärung des Mobilitätsverhaltens aus handlungstheoretischer Perspektive und der Zusammenhang zwischen Mobilität und sozialer Teilhabe.
Das Geld ist ja bereits für die Finanzierung des D-Tickets knapp. Woher soll das Geld für einen Ausbau des Angebots kommen?
Momentan ist es so, dass viele Verkehrsbetriebe nicht mehr ausreichend finanziert sind, um das aktuelle Angebot zu erhalten.
Also ich persönlich sage, das Geld ist in der Verkehrspolitik insgesamt da. Es ist nur falsch verteilt. Momentan ist es so, dass viele Verkehrsbetriebe nicht mehr ausreichend finanziert sind, um das aktuelle Angebot zu erhalten. Das heißt, es braucht politisch eine ganz klare Prioritätensetzung, um dies zu verhindern.
Woher könnte das notwendige Geld angesichts schlechter Wirtschaftslage und knapper Haushaltskassen kommen?
Es wäre sicherlich eine große Chance, wenn man das Infrastrukturpaket auch für den ÖPNV-Ausbau öffnet. Zur Stabilisierung des Preises des Deutschlandtickets, was ich für sehr wichtig halte, da gibt es relativ viele Subventionen, an die wir uns sozusagen gewöhnt haben.
Welche Subventionen meinen Sie?
Dienstwagenprivileg und Pendlerpauschale gelten inzwischen als selbstverständlich und werden kaum noch hinterfragt. Aber wenn wir den ÖPNV als Aufgabe der Daseinsvorsorge definieren – unabhängig vom Auto – dann frage ich mich, wie gerecht diese Förderungen sind.
Sie schlagen vor, dass alle Menschen in Deutschland das Recht haben sollten, mobil zu sein.
Ja, ich kann nur ein vollständiges Mitglied unserer Gesellschaft sein, wenn ich auch in irgendeiner Form mobil bin.
Geht es dabei um den Weg zur Arbeit oder auch zu Freizeitaktivitäten?
Genau, und das ist in der Regel immer mit Kosten verbunden. Deswegen ist die Sicherung des Zugangs zum Mobilitätssystem auch eine Sicherung von gesellschaftlicher Teilhabe – und damit eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge.
Für die Wege zur Arbeit ist ja die Pendlerpauschale da – und davon profitieren im besonderen meist Menschen aus dem ländlichen Raum, wo es zwar viele Straßen aber nur wenige Busse gibt.
Statistiken zeigen: Von der Pendlerpauschale profitieren vor allem Menschen mit hohem Einkommen.
Statistiken zeigen: Von der Pendlerpauschale profitieren vor allem Menschen mit hohem Einkommen. Gleichzeitig werden die Pendlerstrecken, historisch betrachtet, immer länger. Das ist etwas, was durch diese Pauschale auch gefördert wird.
Aber für manche Menschen auch dringend nötig ist …
Es geht um die viel zitierte Krankenschwester, die im Schichtsystem arbeitet und auf dem Land lebt, weil sie sich etwa die Mietpreise in Erfurt nicht mehr leisten kann. Dieser Frau würde ich die Pauschale nicht wegnehmen wollen. Aber man könnte so eine Art soziale Staffelung einbauen.
So haben etwa wohlhabendere Pendler häufiger zwei Wohnungen an verschiedenen Orten. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass dieses Lebensmodell durch die Pauschale gefördert wird. Da könnte man sich jetzt schon mal fragen: Ist das wirklich notwendig? Und diese Fälle mit dem Pendeln gibt es überraschend oft. Es gibt Untersuchungen, die gehen von etwa fünf Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einem zweiten Wohnsitz aus.
Was sagen sie dazu, dass sich etwa Bürgergeld-Empfänger das Deutschlandticket zum vollen Preis gar nicht leisten können?
Das finde ich sehr problematisch. Es gibt trotzdem Städte und auch einzelne Länder, die dies bezuschussen. Damit ist aber etwas entstanden, das eigentlich durch die Einführung des Deutschlandtickets abgeschafft worden war.
Können Sie das genauer erläutern?
Ein ganz wesentlicher Vorteil durch die Einführung des Tickets ist die Überwindung von Tarifgrenzen. Das hat die Nutzung von Bus und Bahn unkomplizierter gemacht. Nun ist etwas entstanden, das ich "Wohnortlotterie" nenne. Es kommt auf den Lebensort an, ob man das Glück hat, ein günstigeres Ticket zu bekommen.
Was wäre eine Alternative dazu?
Mit der Einführung vor zwei Jahren hätte man auch ein bundesweit einheitliches Sozialticket etablieren sollen.
Über die Finanzierung des Deutschlandtickets wird bereits jetzt immer wieder diskutiert. Bund und Länder geben jeweils 1,5 Milliarden Euro pro Jahr. Woher soll das Geld kommen?
Aus meiner Sicht ist das Sozialpolitik und eine sozialpolitische Maßnahme. Wenn wir ein einheitliches Sozialticket wollen, muss es auch aus dem sozialpolitischen Haushalt kommen.
In der Diskussion heißt es immer wieder, dass ein günstigeres Ticket den ÖPNV für alle noch attraktiver machen würde. Stattdessen ist der Preis am Anfang dieses Jahres von 49 auf 58 Euro pro Monat gestiegen. Zudem hat die neue Regierung bereits angekündigt, dass der Preis künftig weiter steigen wird. Ab welchem Preis wird es zu teuer?
Es stehen derzeit für die nächste Erhöhung knapp 70 Euro im Raum. Das ist fast wieder das alte Preis-Niveau. Das macht es immer weniger attraktiv.
Hat die Einführung des 58-Euro-Tickets vor vier Monaten bereits Auswirkungen auf die Zahl der Abonnenten?
Es ist noch zu früh, um das sagen zu können. Aber wir haben erst vor Kurzem eine Umfrage durchgeführt, und da kam heraus, dass die Menschen vor allem die ständigen Diskussionen um den Preis abschrecken.
Wie würden Sie das Deutschlandticket zusammengefasst nach zwei Jahren bewerten?
Ich sehe das Deutschlandticket als Erfolg. Es hat den Tarifdschungel verkleinert und es wird von immer mehr Menschen genutzt. Dadurch wird auch das Auto häufiger stehen gelassen und es gibt deutliche Einsparungen beim CO2. Aber die Attraktivität des ÖPNV muss sich vor allem auf dem Land deutlich verbessern. Zudem muss der Preis langfristig stabil sein. Verlässlichkeit ist noch wichtiger als die genaue Höhe.
Warum ist das so? Ein Neun-Euro-Ticket wäre doch sehr attraktiv.
Mobilität ist eine Frage der Gewohnheit. Wer ein Auto vor der Tür hat, nutzt es meist auch. Wenn es dazu noch anhaltende Diskussionen gibt, ob das Ticket überhaupt fortgeführt wird und zu welchem Preis, schafft das viel Unsicherheit. So verhindert man dann auch den Umstieg auf Bus oder Bahn.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. Mai 2025 | 06:00 Uhr