Mobile App für 49-Euro-Ticket
Seit einem Jahr gibt es das Deutschlandticket für 49 Euro im Monat. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

Interview Verkehrsexpertin: Preisdiskussion schwächt Deutschlandticket

01. Mai 2024, 05:00 Uhr

Günstig, digital, keine Jahresbindung: Vor einem Jahr wurde das Deutschlandticket eingeführt. Für Reisende und Pendler ist das Angebot ein Erfolgsmodell, für Kritiker eine gute Idee mit Mängeln. MDR AKTUELL hat mit Verkehrsexpertin Claudia Hille darüber gesprochen, welche Zukunft das Ticket hat.

MDR AKTUELL: Laut dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen nutzen rund 11,2 Millionen Menschen das Deutschlandticket. Würden Sie das als Erfolg bezeichnen?

Claudia Hille: Auf jeden Fall. Im Moment besitzt mehr als jeder Achte ein Deutschlandticket, insofern kann man das als Erfolg bezeichnen. Zumal darunter auch ein gewisser Anteil an Neukundinnen und Neukunden ist: Das sind wirklich Leute, die vorher nie den ÖPNV genutzt haben und ihn nun regelmäßig nutzen – und im besten Fall damit auch das Auto stehen lassen.

Wer profitiert am meisten vom Deutschlandticket?

Am meisten profitieren vom Deutschlandticket diejenigen, die vorher schon für lange Strecken den ÖPNV genutzt haben sowie Pendlerinnen und Pendler. Also die, die vorher sehr, sehr hohe Preise gezahlt haben im ÖPNV und jetzt ein deutlich günstigeres Angebot haben.

Claudia Hille, Hochschule Karlsruhe
Claudia Hille ist Verkehrsexpertin und Mobilitätsforscherin. Bildrechte: Fotoloft Erfurt

Claudia Hille Claudia Hille ist Wissenschaftlerin im Erfurter Büro Verkehrspolitik und Raumplanung und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Ihre Forschungsinteressen sind die Gestaltung nachhaltiger Mobilitätssysteme, die Erklärung alltäglicher Mobilität aus handlungstheoretischer Perspektive und multilokales Wohnen.

Der Bundesverkehrsminister will das Ticket weiterführen, doch die Finanzierung ist unklar. Ab 2025 könnte es teurer werden. Was würde das bedeuten?

Ich glaube, dass ein teureres Ticket keine Anreize setzen wird, dass Menschen massenhaft umsteigen. Da muss man realistisch bleiben. Wir haben jetzt einen Preis von 49 Euro, das ist bei vielen Menschen schon die Grenze. Wenn das Ticket auf Preise wie 69 Euro steigt, wie es jetzt diskutiert wird, ist das schon ein enormer Unterschied. Zumal es dann immer noch nicht die Sicherheit gibt, dass es erhalten bleibt. Im Moment erleben wir eine Diskussion der Grundsatzfrage "Werden wir dieses Ticketmodell in zwei, drei Jahren noch haben?" und gleichzeitig eine Diskussion über den Preis. Und wenn wir uns jetzt Jahr für Jahr um diese Preisfrage drehen, dann ist das nicht attraktiv für den Kunden.

Was würde das Deutschlandticket attraktiver machen, sodass noch mehr Menschen den ÖPNV nutzen?

Erstmal ein Preis, der realistisch ist. Ich finde, 49 Euro ist ein Preis, der für den Großteil der Menschen auf jeden Fall ein guter Preis ist. Wenn man arbeiten geht, ein gutes Einkommen und ein gutes ÖPNV-Angebot vor Ort hat, dann sind 49 Euro ein super fairer Preis. Das möchte ich festhalten.

Auf der anderen Seite ist es so, dass wir Gruppen haben, für die 49 Euro nicht leistbar sind. Beispielsweise gibt es Konstellationen, bei denen es mehr als ein Ticket zu finanzieren gibt, dann läppert sich das relativ schnell. Da braucht es aus meiner Sicht ein bundesweites, einheitliches Sozialticket. Es braucht also niedrigschwellige Angebote für Menschen. Dann braucht es Planungssicherheit – und zwar ganz langfristig. Es muss eine Finanzierungszusage geben, die über Zeiträume von einem Jahr hinaus geht. Außerdem geht es um Qualität und Angebot im ÖPNV. Wir haben Regionen, die sind nicht sonderlich gut angebunden. Die können nicht von diesem Ticket profitieren und da braucht es einen Ausbau. Der ist natürlich mit viel Geld verbunden.

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Kritiker des Deutschlandtickets würden das Geld lieber in den Ausbau der Infrastruktur und das ÖPNV-Angebot investieren als in das Ticket.

Aus meiner Sicht ist es eine Frage der politischen Prioritätensetzung. Wenn wir eine Verkehrswende und Klimaschutz wollen und auch wollen, dass mehr Menschen Bus und Bahn nutzen, dann muss beides drin sein. Für mich muss daher die Priorität auf dem Mix aus ÖPNV, Fuß- und Radwegen liegen. Da muss man einfach mehr Geld hineinstecken. Momentan sind wir in einem alten Denkmuster verhaftet. Wenn wir uns entscheiden, ein Mobilitätssystem zu wählen, das auf Nachhaltigkeit und auf Klimafreundlichkeit setzt, dann muss viel mehr Geld in den ÖPNV gesteckt werden.

Wie könnte Ihrer Meinung nach ein für Reisende und Verkehrsverbünde nachhaltiges Finanzierungmodell aussehen?

Aus meiner Sicht muss der Bund mehr zuschießen. Es gibt ja durchaus Modelle, die bereits diskutiert werden. Es gibt Fragen wie: "Was machen wir mit der Pendlerpauschale? Was machen wir mit dem Dienstwagen-Privileg?" Diese Finanzierungsquellen könnte man anzapfen. Es geht letztlich um eine Umverteilung von Mitteln. Es ist ja nicht so, dass gar kein Geld da ist. Wir konnten vor Kurzem lesen, dass unser Bundesverkehrsminister 150 Millionen Euro in Flugtaxis investieren möchte. Das ist zwar nicht die Lücke, die im ÖPNV besteht, aber es wäre ein Anfang.

Inwieweit denken Sie, dass Modelle wie das Berlin-Ticket Nachahmer finden und das Deutschlandticket schwächen?

Ich fände es besser, wenn alle an einem Strang zögen: Es gibt einen einheitlichen Preis oder ein einheitliches Sozialticket. Das ist aus meiner Sicht die bessere Variante. Das ist ja der Charme des Deutschlandtickets, dass man diesen Tarifdschungel verlässt, wo nicht jeder einen Sonderweg geht, sondern man an einem Strang zieht. Damit meine ich nicht, dass sich alle Verkehrsverbünde zu einem großen zusammenschließen müssen. Mir geht es um die Kundinnen und Kunden, die sich bei den vielen Tarifen zurechtfinden müssen. Für die machen wir es ja, nicht für die Verkehrsverbünde. Es geht darum, den Menschen im Land ein gutes Angebot zu bieten, das sie verstehen. Das ist der große Gewinn am Deutschlandticket, dass man ein System hat, das man versteht und für alle gleich ist.

Das ist der große Gewinn am Deutschlandticket, dass man ein System hat, das man versteht und für alle gleich ist.

Claudia Hille, Sozialwissenschaftlerin und Verkehrsexpertin

Dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen zufolge ist der Umwelteffekt bei 11,2 Millionen Abos überschaubar. Ist der Effekt wirklich so gering?

In Anbetracht der Klimakrise ist jeder noch so kleine Effekt auf die Umwelt ein großer – und das vor allem im Verkehrsbereich. Wir erleben ja Jahr für Jahr, dass der Verkehrssektor die Klimaziele nicht schafft. Aus dieser Sicht ist das Deutschlandticket ein Erfolg, wenn es dazu beiträgt, verkehrsbedingte Emissionen zu reduzieren. Der Effekt ist nicht so groß wie erwünscht, weil es an Begleitmaßnahmen und eben der Planungssicherheit fehlt. Wir wissen aus der Verkehrsforschung, dass der Mensch ein Gewohnheitstier mit Routinen ist. Diese zu durchbrechen dauert lange und funktioniert nur mit verlässlichen Alternativen.

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Das Deutschlandticket wurde bei seiner Einführung als Revolution im Verkehr bezeichnet. Wie sehen Sie das nach einem Jahr?

Ich würde es als kleine Revolution bezeichnen. Für mich ist das Deutschlandticket grundsätzlich ein Erfolg, den wir aber noch verbessern können. Ich sehe das Abo-Modell als Zugangshürde. Aber wir müssen einen gewissen Realismus an den Tag legen. Die Vorstellung, dass wir in einem Jahr nur durch die Maßnahme "Deutschlandticket" plötzlich all unsere Klima- und Verkehrsziele erreichen können, ist unsinnig. Für die Entwicklung wünsche ich mir keine Preissteigerung des Deutschlandtickets und ein bundesweit einheitliches Sozialticket als begleitende Maßnahme. Und es braucht eine verlässliche Finanzierung für Nutzerinnen und Nutzer.

Fakten zum Deutschlandticket Seit 1. Mai 2023 können Menschen in Deutschland vergleichsweise günstig bundesweit den öffentlichen Nah- und Regionalverkehr nutzen. Das Deutschlandticket für monatlich 49 Euro folgte auf die Testphase des Neun-Euro-Tickets der Bundesregierung. Mit dem Angebot will die Politik die Attraktivität des öffentlichen Personennahverkehrs erhöhen, einen Beitrag zum Klimaschutz leisten und das kleinteilige Verkehrsnetz verbessern. 

Seit einem Jahr nutzen rund 11,2 Millionen Menschen das Abo im Schnitt pro Monat. Dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zufolge besitzen davon mehr als die Hälfte das Ticket von Anfang an. Acht Prozent der Nutzerinnen und Nutzer konnten durch das Angebot neu für den ÖPNV gewonnen werden. Die meisten besaßen bereits vorher ein Abo und sind auf die günstigere Variante umgestiegen.

Damit das Ticket für die Verkehrsunternehmen überhaupt finanzierbar ist, geben Bund und Länder jeweils zur Hälfte pro Jahr drei Milliarden Euro hinzu. Immer wieder wird die Finanzierung debattiert. Die Finanzierungszusagen des Bundes gelten bislang nur bis einschließlich 2025. Dann könnte sich der Monatspreis erhöhen. 

mit dpa

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