Teaserbild zum Podcast NS-Cliquen, 2. Staffel - Folge 2
Teaserbild zum Podcast NS-Cliquen, 2. Staffel - Folge 2 Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Kriegsende 1945 Ein Professor der Hochschule Merseburg und seine Arbeit in Auschwitz

Neue Podcast-Folgen "NS-Cliquen: Von Menschen und Mördern" gestartet

01. Mai 2025, 05:00 Uhr

Günther Adolphi war ein erfolgreicher Chemiker. Seit 1935 arbeitete er bei IG Farben in den Leuna-Werken. Auch nach dem Krieg, in der DDR, wurden seine Kenntnisse dringend benötigt und Adolphi wurde Professor an der Hochschule Merseburg. Dass er von 1943-1945 in Auschwitz-Monowitz tätig war, blieb lange ein gut gehütetes Geheimnis. Was hatte der Chemiker mit Terror und Massenmord zu tun? Folge 2 des ARD-Podcasts "NS-Cliquen: von Menschen und Mördern" geht dieser Frage auf den Grund.

Inzwischen ist der Fakt bekannt, dass Günther Adolphi in Auschwitz gearbeitet hat. Auch die Straße auf dem Campus der Hochschule, die nach ihm benannt war, trägt heute einen anderen Namen. Die Hochschule Merseburg hatte sich offensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt und die Entfernung des Namens schließlich gemeinsam mit der Stadt beschlossen. Doch was hatte der Chemiker explizit mit Terror und Massenmord zu tun?

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Treibstoff für die Wehrmacht

Die Firma IG Farben war ein riesiger Industriekomplex, der die Nationalsozialisten dabei unterstützte, autark – also unabhängig von Importen – zu werden. Das Interesse zielte darauf ab, bestimmte Stoffe, ob synthetischen Kautschuk, synthetischen Treibstoff oder andere chemische Erzeugnisse, selbst zu produzieren. Die IG Farben kam diesem Bestreben stark entgegen, indem sie insbesondere bei Treibstoff und Kautschuk die Schlüsseltechnologien dafür weiterentwickelte und anwendete. Der Konzern sicherte sich 1933 in einem Vertrag das Treibstoffmonopol sowie die komplette Treibstoffversorgung der Wehrmacht.

Ein neues Werk in Auschwitz

Im Jahr 1941 entstand nahe des KZ Auschwitz eine neue Fabrik der Firma IG Farben. Das Unternehmen setzte dort zum einen auf deutsche Fachkräfte, zum anderen aber auf tausende KZ-Häftlinge, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus ganz Europa. Die Häftlinge des KZ Auschwitz mussten anfangs über mehrere Kilometer Distanz täglich nach Monowitz laufen und am Aufbau arbeiten.

Buna-Werk der IG-Farben in Auschwitz-Monowitz
Aufbau des Buna-Werks der IG-Farben in Auschwitz (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, I 525 Leuna-Werke, Nr. 13388, Foto 7750) Bildrechte: Landesarchiv Sachsen-Anhalt

Günther Adolphi war Jahrgang 1902, geboren in Riga im heutigen Lettland. Er hatte in Dresden und Berlin studiert und kam 1935 als Betriebsleiter zum Ammoniak-Werk Merseburg. Am 3. Juli 1937 wurde seinem Antrag zur Aufnahme in die NSDAP stattgegeben.

Seit Sommer 1941 gehörte Adolphi schon zum engen Kreis des Auschwitzer Fachpersonals, obwohl er noch gar nicht vor Ort im besetzten Polen war. Die Planungen fanden in Leuna statt, Adolphi war Mitglied einer Gruppe, die Konzepte für das Werk Auschwitz anfertigte. Das belegen Dokumente, wie zum Beispiel ein Schreiben vom 10. Juli 1941, in dem er namentlich im Verteiler auftaucht.

"Rundschreiben an die Herren Sachbearbeiter für die Anlage Auschwitz" von Albert von Lom vom 10.7.1941
Rundschreiben vom 10. Juli 1941, in dem Adolphi namentlich im Verteiler auftaucht Bildrechte: Bundesarchiv

"Bereits in Leuna am Standort der IG Farben bei Merseburg gibt es einen eigenen Bau mit der Abkürzung: AZ ME 24. Das heißt: AZ für Auschwitz, ME für Merseburg, Bau Nummer 24. Dort ist Adolphi tätig. Wir können erkennen, dass er von 1941 bis 1945 kontinuierlich am Aufbau des Werkes Auschwitz beteiligt ist und dann ab 1943 auch vor Ort eingesetzt wird", sagt der Historiker Dr. Stefan Hördler, der für die Hochschule Merseburg das Gutachten über Günther Adolphi anfertigte und dessen Verantwortung für NS-Verbrechen genau recherchiert hatte.

Wir können erkennen, dass er von 1941 bis 1945 kontinuierlich am Aufbau des Werkes Auschwitz beteiligt ist und dann ab 1943 auch vor Ort eingesetzt wird.

Dr. Stefan Hördler, Historiker

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Parallel zur Bauplanung des Werkes fand in den besetzten Gebieten um den Bauplatz die Vertreibung der jüdischen Bevölkerung und die Einrichtung von Ghettos statt. Im NS-Jargon hieß das "Bevölkerungspolitische Maßnahmen". In einer "Geheimen Reichssache" vom 18. Februar 1941 stand dazu: "Zur Sicherstellung des Arbeiterbedarfs und der Unterbringung der Arbeiter für den Anfang April beginnenden, in bestmöglichem Tempo durchzuführenden Bau des Buna-Werkes Auschwitz in Oberschlesien, bitte ich, folgende Maßnahmen zu treffen. […] Rasche Aussiedlung der Juden in Auschwitz und weiterer Umgebung, insbesondere zwecks Freimachung ihrer Wohnungen für die Unterbringung der Bauarbeiterschaft für das Buna-Werk Auschwitz in Ost-Oberschlesien. Gezeichnet: Göring – An den Reichsführer SS, Heinrich Himmler. (Quelle: Archiv des Fritz Bauer Instituts)

Rasche Aussiedlung der Juden in Auschwitz und weiterer Umgebung, insbesondere zwecks Freimachung ihrer Wohnungen für die Unterbringung der Bauarbeiterschaft für das Buna-Werk Auschwitz

"Geheime Reichssache" vom 18. Februar 1941

Die damals in Ghettos zusammengepferchten Menschen kamen erst 1943 an ihren Heimatort zurück, allerdings in perfider Weise: Die Ghettos wurden aufgelöst und die Menschen überwiegend in Auschwitz-Birkenau ermordet. Hat also der Bau dieses Werkes von IG Farben zum Massenmord an tausenden Juden geführt?

IG-Fabren-Komplex in Auschwitz-Monowitz, Luftbild
Luftbild des IG-Farben-Komplexes in Auschwitz-Monowitz, 1944 (Quelle: U.S. National Archives and Records Administration -  60. Sqad. SAAF, Sortie No. 60/PR522) Bildrechte: U.S. National Archives and Records Administration

"Wir können hier nicht eine lineare Ursächlichkeit reinbauen, auch wenn das der Impuls sein mag", sagt Historiker Hördler. "Gerade die Ghettoisierung der jüdischen Bevölkerung ist ein Prozess, der bereits lange angelaufen und ohnehin geplant war und durchgeführt werden sollte. Aber, und das ist der zentrale Punkt: IG Farben ist ein zentraler Nutznießer. Das sind die Profiteure dieser Vertreibung und letztendlich beziehen dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werkes diesen Wohnraum."

IG Farben ist ein zentraler Nutznießer. Das sind die Profiteure dieser Vertreibung und letztendlich beziehen dann die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Werkes diesen Wohnraum."

Dr. Stefan Hördler, Autor „Ordnung und Inferno – Das KZ-System im letzten Kriegsjahr“

Das Konzentrationslager Auschwitz-Monowitz

Die Zahl der für IG Farben tätigen KZ-Häftlinge nahm stetig zu. Der Weg zum Werk war weit. Konzern und SS, die eine intensive Zusammenarbeit miteinander verband, errichten 1942 in der Nähe des Werks das firmeneigene KZ Buna-Monowitz. Das Lager fungierte zuerst als Außenlager des KZ Auschwitz und wurde im November 1943 zum eigenständigen Konzentrationslager Auschwitz III erhoben und im November 1944 in KZ Auschwitz-Monowitz umbenannt. Das gesamte Betriebsgelände war umzäunt, um die Bewachung der KZ-Insassen zu erleichtern und das benötigte SS-Wachpersonal zu reduzieren.

Heinrich Himmler besichtigt 1939 der Monowitz-Buna-Anlage in Auschwitz.
17. Juli 1942: "Reichsführer SS" Heinrich Himmler besichtigt die im Aufbau befindliche Buna-Anlage in Auschwitz-Monowitz. Bildrechte: IMAGO / Reinhard Schultz

Tod durch Arbeit

Verpflegung und Unterbringung der Menschen, die tagsüber schwere Arbeit leisten mussten, waren katastrophal. Sie konnten kaum die für die Firma "gewünschte Leistung" erbringen. Wer zur Arbeit herangezogen und wer aussortiert wurde – das entschied nicht allein die SS. Der Einfluss der deutschen Zivilarbeiter, auch der Ingenieure und Wissenschaftler, war enorm. Das geht häufig in der Wahrnehmung unter, da der Blick auf die uniformierten SS-Angehörigen fällt. Aber der tägliche Kontakt der KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern bestand vor allem zur deutschen Belegschaft. Direkt unter Adolphi arbeiteten Ende Oktober 173 KZ-Häftlinge.

Die Aussage eines Überlebenden legt nahe, dass Ingenieure wie Adolphi eine klare Vorstellung davon hatten, was mit den Menschen passiert, die sie als "nicht arbeitsfähig" aus ihrer Gruppe entfernten: "Von Seiten der Bauleitung sind sehr oft an die SS-Lagerführung Beschwerden gerichtet worden, dass so viele kranke Häftlinge im Arbeitsvorgang nicht folgen konnten. Man verlangte seitens der Werksleitung, dass die arbeitsunfähig erkrankten Häftlinge gegen gesunde ausgetauscht wurden. Dieser Austausch bedeutete, dass die arbeitsunfähig erkrankten Häftlinge in die Vergasung nach Birkenau gingen und dass dafür neue Häftlinge aus Auschwitz angefordert wurden. Über diese Tatsache wurde in den Kreisen der deutschen Meister und Zivilangestellten ganz offen gesprochen. Und es ist wiederholt vorgekommen, dass deutsche Meister mit diesem Tatbestand drohten, um Häftlinge zu erhöhter Arbeitsleistung anzutreiben."

Dieser Austausch bedeutete, dass die arbeitsunfähig erkrankten Häftlinge in die Vergasung nach Birkenau gingen und dass dafür neue Häftlinge aus Auschwitz angefordert wurden.

Kurt Posener Eidesstattliche Erklärung vom 3. Juni 1947 im IG Farben-Prozess

In den "Überstellungsmeldungen" von Buna nach Auschwitz-Birkenau stand häufig der Grund "Allgemeine Schwäche" oder "Fleckfieber". Die Gesamtzahl derer, die im KZ-Monowitz und im Werk IG Farben durch schlechte Arbeitsbedingungen, Hunger, Krankheit oder Vergasung in Auschwitz-Birkenau starben, ist nicht genau feststellbar. Schätzungen des Fritz-Bauer-Instituts gehen von 25.000-30.000 Menschen aus.

IG Farben-Werk Auschwitz
IG Farben-Werk Auschwitz (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, I 525 Leuna-Werke, Nr. 13388, Foto 7902) Bildrechte: Landesarchiv Sachsen-Anhalt

Es gibt keine schriftlichen Belege, in denen steht, dass Adolphi Menschen in den Tod schickte, oder einen Nachweis dafür, dass er an einem bestimmten Tag Häftlinge selektierte. Adolphi war wie viele andere Wissenschaftler Teil eines Systems, in dem Menschen als "Menschenmaterial" betrachtet wurden und allein deren Nützlichkeit für die Produktion im Mittelpunkt stand. Bis zur Auflösung des KZ-Monowitz im Januar 1945 hat er als Ingenieur diese Umstände akzeptiert und ist auch in der ganzen Zeit vor Ort geblieben.

Keine Anklage in der Nachkriegszeit

Als Nachfolge der Nürnberger Prozesse in der amerikanischen Besatzungszone fand 1947 auch der Prozess gegen IG Farben statt. Günther Adolphi, der in der sowjetischen Besatzungszone lebte, wurde nicht angeklagt und sagte auch nicht aus. Die Gründe müssen nicht nur an seinem Wohnort liegen – vielmehr zielte der Prozess, wie viele dieser Zeit, auf Eliten und Chefs ab. Einer der Betriebsleiter von IG Farben Auschwitz, Walther Dürrfeld, wurde zu acht Jahren Haft wegen Versklavung und Massenmord verurteilt. Adolphi war in leitender Funktion in enger Mitarbeit mit Dürrfeld tätig gewesen.

In einer Auflistung der Staatssicherheit von Dezember 1965 mit dem Titel "Ehemalige Zivilarbeiter der IG in Monowitz" wurde Adolphi aufgeführt. Für seine Karriere in der DDR hatte das keine Konsequenzen. Er blieb bis zu seiner Pensionierung 1967 Professor und eine Anklage gab es nicht. 1982 starb er und seine Vergangenheit in Auschwitz wurde nicht mehr aufgearbeitet. Seine beruflichen Erfolge bestimmten die Sicht auf seine Person. Sogar eine Straße am Campus der Hochschule Merseburg wurde nach ihm benannt. Doch hartnäckige Nachfragen von Studenten führten dazu, dass Adolphis Tätigkeit in der NS-Zeit endlich thematisiert wird. Die seinerzeit nach Adolphi benannte Straße heißt inzwischen "Friedrich-Zollinger-Straße" – nach dem ehemaligen Stadtbaurat von Merseburg.

(baz)

Nachrichten

Menschen nehmen am «Marsch der Lebenden» teil 1 min
In Gedenken an die ermordeten Juden liefen sie zum Außenlager Birkenau. Bildrechte: picture alliance/dpa/AP/Czarek Sokolowski
1 min

Mit dem so genannten "Marsch der Lebenden" haben zahlreiche Menschen in Auschwitz am Donnerstag an die Befreiung des Konzentrationslagers vor 80 Jahren erinnert.

MDR FERNSEHEN Do 24.04.2025 16:16Uhr 00:22 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/panorama/video-marsch-der-lebenden-kz-auschiwtz-holocaust-juden-gedenken100.html

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Video
Auf dem Bild "Returning from Work" von Mieczysław Kościelniak sind Häftlinge zu sehen, die von der Zwangsarbeit zurückkehren. Das Kunstwerk wurde von einem Häftling des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau geschaffen und in der Ausstellung "Face to Face. Art in Auschwitz" im Nationalmuseum Krakau präsentiert.
"Rückkehr von der Arbeit", KZ Auschwitz, 1942. Gezeichnet von Mieczysław Kościelniak, einem Häftling des Konzentrationslagers Auschwitz, zeigt das Werk die Rückkehr von der Zwangsarbeit. Bildrechte: picture alliance / NurPhoto | Artur Widak
Auschwitzgefangene vorm Häftlingskrankenhaus
Als der Marsch am 18. Januar los geht, liegen viele Gefangene im Krankenbau. Der Großteil ist zu schwach um das Lager zu verlassen und bleibt zurück. Hier sind sie kurz nach der Befreiung mit Rotarmisten zu sehen. Bildrechte: Sarah Leyk

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Hitlers Volk - Ein deutsches Tagebuch | 05. Mai 2025 | 22:50 Uhr