Monitor Patienten zahlen jährlich 2,4 Milliarden Euro für IGel-Leistungen
Hauptinhalt
03. Dezember 2024, 20:32 Uhr
Versicherte geben im Jahr 2,4 Milliarden Euro für Selbstzahler-Untersuchungen beim Arzt aus, die oft keinen nachgewiesenen Nutzen haben. Mitunter drohen Experten zufolge sogar falsch-positive Ergebnisse, die den Betroffenen schaden könnten. Es gibt auch Kritik an unzureichender Aufklärung.
- Viele Selbstzahlerleistungen werden negativ eingestuft – nur drei werden empfohlen.
- Viele Patientinnen und Patienten geben aus Unwissenheit unnötig Geld aus.
- Experten kritisieren, dass Ärztinnen und Ärzte unzureichend über die Leistungen informieren.
Gesetzlich Versicherte geben in Arztpraxen jährlich 2,4 Milliarden Euro für Selbstzahlerleistungen aus, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Das geht aus dem sogenannten IGeL-Monitor hervor, der am Dienstag vom Medizinischen Dienst Bund vorgestellt wurde. Insgesamt wurde 56 individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) untersucht. Dem Monitor zufolge sind lediglich drei davon "tendenziell positiv". Dazu zählen die Akupunktur zur Migränevorbeugung, die Immunprophylaxe zur Vorbeugung wiederkehrender Blasenentzündungen und die Lichttherapie bei einer saisonal depressiven Störung, der sogenannten Winterdepression.
Medizinischer Dienst Bund Der Medizinische Dienst Bund betreibt den IGeL-Monitor. Er wurde zum 1. Januar 2022 als Nachfolger des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS) errichtet und ist eine medizinische und pflegefachliche Expertenorganisation in der Trägerschaft der 15 Medizinischen Dienste in den Ländern.
Am häufigsten Krebsvorsorge und Augeninnendruckmessung
Laut Monitor sind 30 Selbstzahlerleistungen "tendenziell negativ" oder "negativ". Bei 23 Leistungen ist das Ergebnis "unklar", das heißt, für ihren Nutzen gibt es meistens keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege.
Zu den häufigsten individuellen Gesundheitsleistungen, die Versicherte aus eigener Tasche zahlen, gehören Ultraschalluntersuchungen der Eierstöcke und Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung, die Augeninnendruckmessung zur Grüner-Star-Vorsorge oder die PSA-Bestimmung zur Früherkennung von Prostatakrebs. Diese Leistungen werden von den IGeL-Experten allerdings als "negativ" oder "tendenziell negativ" bewertet. Laut Einschätzung der Experten ist das Risiko von Fehlalarmen und unnötigen Behandlungen dabei größer als der medizinische Nutzen.
Beim Ultraschall von Eierstöcken und Gebärmutter zur Krebsfrüherkennung kann es demnach zu vielen falsch-positiven Ergebnissen und damit zu unnötigen weiteren Untersuchungen und Eingriffen kommen. Zugleich sei nicht belegt, dass das Risiko, an Eierstockkrebs zu sterben, damit verringert werden könne. Weiter heißt es, den Patientinnen und Patienten fehle oft das nötige Wissen zu IGeL-Leistungen und in den Praxen werde nur unzureichend darüber aufgeklärt.
Viele Patienten sind uninformiert
Selbstzahlerleistungen seien "kein Randproblem", sondern "ein Massenphänomen", kritisierte Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender beim Medizinischer Dienst Bund. Er nannte es bedrückend, dass Patientinnen und Patienten "aus Unwissenheit und Sorge um ihre Gesundheit große Summen für fragwürdige und sogar schädliche Leistungen ausgeben".
In einer Forsa-Befragung für den IGeL-Report gab nur jeder vierte Versicherte (26 Prozent) an, gut informiert zu sein. Zwei von drei Befragten gingen zudem von der falschen Annahme aus, dass die Selbstzahlerleistungen medizinisch notwendige Leistungen seien. Befragt wurden 2.013 Versicherte im Alter zwischen 18 und 80 Jahren.
Kaum Aufklärung der Ärzte
Gronemeyer nannte die unzureichende Aufklärung über mögliche Schäden durch Selbstzahlerleistungen "nicht akzeptabel". Er forderte eine Verpflichtung von Arztpraxen, allgemeinverständliche Informationen auszulegen, wenn sie solche Leistungen anbieten. Der Verbraucherzentrale Bundesverband nannte es "bedenklich", dass sich individuelle Gesundheitsleistungen als Geschäftsmodell in Arztpraxen längst etabliert hätten.
Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, sieht einen "direkten Zusammenhang" zwischen dem Anstieg bei den Privatleistungen und den immer längeren Wartezeiten von gesetzlich Versicherten auf Facharzttermine. "Wenn ein Facharzt seine Zeit mit Schönheitsbehandlungen oder fragwürdigen Vorsorgeuntersuchungen ohne wissenschaftlich belegbaren Nutzen verbringt, fehlen eben Kapazitäten für die vertragsärztliche Versorgung", kritisierte die AOK-Chefin.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz forderte eine vierzehntägige Bedenkzeit zwischen dem Angebot des Arztes und der Erbringung der IGeL-Leistung. "Wird die Frist nicht eingehalten, kann der Patient die Zahlung verweigern", erklärte Vorstand Eugen Brysch.
AFP/dpa/IGel-Monitor (jst)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 03. Dezember 2024 | 14:04 Uhr