Rechte Bewegung Anastasia: Propaganda soll deutsche Aussteiger nach Russland locken
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20. Dezember 2024, 05:00 Uhr
Die Propaganda-Videos für Anastasia-Siedlungen zeigen eine heile Welt. Damit sollen gezielt deutsche Aussteiger nach Russland gelockt werden. Doch dahinter verbirgt sich eine rechte Bewegung mit völkischem Gedankengut.
- Die dunkle Seite der Anastasia-Siedlungen
- Russische Propaganda zielt auf deutsche Aussteiger
- Anastasia-Siedlungen in Deutschland und der Verfassungsschutz
Barfuß spaziert eine Familie unter der strahlenden Sonne über eine weitläufige Wiese. Hand in Hand. Mutter, Vater und drei kleine Kinder. Hinter ihnen steht ein Häuschen, von kräftigen Tannen und Birken umrundet. Es ist ein Bild aus einer scheinbar heilen Welt. Es ist ein Propaganda-Video über Anastasia-Siedlungen in Russland – und dafür interessieren sich auch immer wieder Deutsche.
Mitte Dezember haben 25 Interessierte aus ganz Deutschland an einem Zoom-Meeting teilgenommen, das die russische Influencerin Maria Maksheewa organisiert hat. Dabei hat sie Videos und Bilder über das Leben der sektenähnlich organisierten Gemeinschaften der Siedler gezeigt. Es soll offenbar deutsche Aussteiger anziehen.
Anastasia versucht, ein Gegenentwurf zur westlichen Lebensweise zu sein
"Hier entsteht eine neue Gesellschaft, eine neue Art von Beziehungen", heißt es in einem der Videos, während eine Gruppe Menschen in traditionellen Gewändern in einer Blockhütte zusammen im Kreis tanzt. "Wenn in der Stadt viele Menschen ihre Nachbarn nicht einmal kennen, ihre Verwandten zweimal im Jahr sehen und mit Freunden hauptsächlich per Telefon kommunizieren, kennt jeder jeden in der Siedlung."
Es soll eine heile russische Welt als Gegenentwurf zur dekadenten westlichen Lebensweise zeigen, in der die wahren Werte – Familie, Heimat, Natur – verraten wurden. Doch: Erstrebenswert sei das Leben in homogenen Gemeinschaften, in sogenannten Familienlandsitzen. Die offene Gesellschaft sei ein Irrweg.
Antisemitische und völkische Ideologien: Die dunkle Seite der Anastasia-Siedlungen
Der Sektenexperte Matthias Pöhlmann weiß, es geht diesen Siedlern nicht nur um eine harmlose Verbundenheit mit der Natur und ein Leben in Familie. Verbreitet werde antisemitisches und völkisches Gedankengut: "Probleme zeigen sich vor allem im Menschenbild, dass also nur sozusagen weiße, reine Menschen dort leben können. Gleichgeschlechtliche Paare sind dort nicht vorgesehen."
Probleme zeigen sich vor allem im Menschenbild, dass also nur sozusagen weiße, reine Menschen dort leben können.
Für den Religionswissenschaftler Pöhlmann gleichen die Siedlungen auch einem Rückzugsort. Aber: "Ich habe den Eindruck, das gleicht einem Einstieg in den Ausstieg aus dem System." Die Menschen würden offenbar mit schönen Bildern gelockt. "Damit man nicht auf den Gedanken kommt, dass sich dahinter etwas Böses, etwas Gefährliches verbergen könnte."
Hybride Kriegsführung: Russische Propaganda zielt auf deutsche Aussteiger
Im Sommer war Influencerin Maksheewa persönlich nach Deutschland gekommen, um für das Leben in russischen Anastasia-Siedlungen zu werben. In einem privat betriebenen Kulturraum in Bautzen hielt sie dazu einen Vortrag vor 30 Interessierten. MDR Investigativ war mit versteckter Kamera dabei. Auch dort ging es darum, Deutsche für das Leben in Russland zu begeistern.
Doch warum wird in Deutschland dafür geworben? "Wir wissen ja, wie gut die russische Propaganda auch aufgestellt ist", sagt Pöhlmann. "Es ist ja teilweise auch schon von einem hybriden Krieg die Rede, den wir erleben, und da nutzt man natürlich alle möglichen Einflussmöglichkeiten." Er vermutet, dass gerade alternative und ökologische Menschen eine interessante Zielgruppe für Russland sein könnten.
Anastasia-Veranstaltung in Bautzen und Montagsdemos
Bei der Anastasia-Veranstaltung in Bautzen ist auch Eckhard S. dabei. Er gehört zu den Organisatoren der rechten Montagsdemonstrationen in Bautzen. Im dazugehörigen Telegramkanal wurde auch für die Anastasia-Veranstaltung geworben.
Auf einer dieser Montagsdemonstrationen hat MDR Investigativ Eckhard S. auf die Werbung für die Veranstaltung angesprochen. Er antwortet: "Das war wahrscheinlich bloß weitergeleitet. Da kann ich nichts zu sagen." Daran habe er keine Aktien. Kurz danach verschwindet die Ankündigung vom Telegramkanal.
Was zieht deutsche Aussteiger nach Russland?
Es bleibt die Frage, warum manche Menschen tatsächlich nach Russland gehen – so wie Julia. Die junge Frau hat in einem Youtube-Video aus dem Herbst 2022 ihr Leben auf der russischen Scholle vorgestellt. Bei sommerlichem Sonnenschein zeigt sie eine frisch angelegte Streuobstwiese und ihren Mann bei der Arbeit.
Verschwiegen wird, dass der russische Staat die Anastasia-Siedlungen unterstützt. Von den politischen Repressionen in Russland oder vom Krieg in der Ukraine ist nicht die Rede. Im Gegenteil, hier könne der Mensch sich frei entfalten und seiner Bestimmung folgen, heißt es.
Inzwischen ist Julia wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Hier hält sie jetzt ebenfalls Vorträge über russische Anastasia-Siedlungen. Fragen dazu wollte sie MDR Investigativ in einem Interview nicht beantworten.
Die Ideologie hinter Anastasia
Die Anastasia-Ideologie wurde in den Büchern des russischen Autors Wladimir Megre entwickelt. Dessen problematische Lehre verbreiten viele Anhänger. "Es gibt an verschiedenen Stellen in diesen Büchern", so Sektenexperte Pöhlmann, "stereotype antisemitische Aussagen, wonach Juden wohlhabend und einflussreich seien."
Das sei das eine. "Das zweite, der rassistische Gedanke, zeigt sich in diesem Konzept der sogenannten Telegonie", so Pöhlmann. Dies solle besagen, dass der erste Sexualpartner einer Frau maßgeblich den Geist und das Blut der Kinder bestimme. "Da wird es natürlich sehr, sehr problematisch. Dieses Konzept hat auch den Nürnberger Rassegesetzen der Nazis Pate gestanden."
Anastasia-Siedlungen in Deutschland und der Verfassungsschutz
Auch in Deutschland leben völkische Anastasia-Anhänger – in insgesamt 17 Siedlungsprojekten quer über die Bundesrepublik verteilt. Jeweils zwei befinden sich in Sachsen und Sachsen-Anhalt. Seit dem vergangenen Jahr werden diese vom Bundesverfassungsschutz als rechtsextremer Verdachtsfall beobachtet.
MDR Investigativ hat beim Sächsischen Landesamt für Verfassungsschutz angefragt, wie man dort die Werbeveranstaltungen für ein Leben in russischen Anastasia-Siedlungen bewertet. Schriftlich heißt es, man dürfe sich nur "zu erwiesenen extremistischen Bestrebungen öffentlich äußern. Bei der Anastasia-Bewegung handelt es sich nicht um eine solche."
Die russische Anastasia-Influencerin Maksheewa hat auf Telegram geschrieben, sie sei begeistert von der Resonanz und kündigt an, dass sie noch weitere Treffen plane.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 18. Dezember 2024 | 20:15 Uhr