Präsidentschaftswahl Belarus: Letzte "Wahl" für Machthaber Lukaschenko?
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24. Januar 2025, 05:00 Uhr
In Belarus inszeniert Machthaber Lukaschenko erneut eine Wahl ohne echte Konkurrenz. Die Opposition sitzt währenddessen im Exil oder Gefängnis. Dennoch wird es Belarusen im Ausland zusätzlich erschwert, ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl abzugeben. Es könnte die letzte sein, bei der sich Lukaschenko wiederwählen lässt.
Präsidentschaftswahlen in Belarus waren für Machthaber Alexander Lukaschenko schon immer eine heikle Angelegenheit. Zwar regiert der 70-Jährige, seit er 1996 das gewählte Parlament einfach auflöste, im Alleingang, aber die Illusion einer freien Wahl wollte er dennoch aller fünf Jahre immer wieder neu entstehen lassen. Zur Show gehörte ein sorgsam inszenierter Wettbewerb, der fast immer mit der Verhaftung oder Vertreibung seiner Konkurrenten und nach einem fantastischen Wahlergebnis mit der Neuinstallierung des "letzten Diktators in Europa" endete.
Doch der nun am kommenden Sonntag stattfindende "Volksentscheid" ist selbst nach den autoritären Maßstäben von Alexander Lukaschenkos Regime grotesk. Denn zum ersten Mal in der Geschichte von Belarus gibt es nicht mal mehr Anzeichen eines Wettbewerbs. Nach dem Schock vor fünf Jahren, als die Bilder von friedlichen Massenprotesten um die Welt gingen, geht das Regime nun auf Nummer sicher. Alternative Kandidaten sind durch die Bank weg Marionetten, die offen ihre Unterstützung für den Präsidenten erklären. Die zahlreichen Exilanten haben keinerlei Möglichkeiten, im Ausland zu wählen.
Kritik an Lukaschenko ist gefährlich
Vor fünf Jahren erklärte der renommierte belarusische Philosoph und Literaturkritiker Valentin Akudowitsch in einem Interview: "Man konnte in Belarus schon immer ein ganz ruhiges und beschauliches Leben haben. Vorausgesetzt, man zeigt keine politischen Ambitionen. Bis jetzt ist noch jeder ernsthafte Gegenkandidat von Lukaschenko im Gefängnis oder im Exil gelandet." Zuletzt traf das Dmitri Kutschuk, den Vorsitzenden der inzwischen aufgelösten Grünen Partei. Der plante im vergangenen Jahr – ungefragt – für die Parlamentswahlen zu kandieren und wurde prompt zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt.
Bis jetzt ist noch jeder ernsthafte Gegenkandidat von Lukaschenko im Gefängnis oder im Exil gelandet.
Länder wie Polen und Litauen haben bereits öffentlich erklärt, dass sie die Präsidentschaftswahlen nicht anerkennen werden. Die OSZE hat ebenso floskelartig ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass Belarus ihr die Wahlbeobachtung verweigert hat. Da das in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren noch nie anders war, ist es ausländischen Medien noch nicht einmal mehr eine Meldung wert.
Neben Lukaschenko nur Alibi-Kandidaten zugelassen
Auch die Marionettentruppe der sogenannten "Gegenkandidaten" des alternden Präsidenten wäre keine Zeile wert, wenn sie nicht so kurios wäre. Einer von vier Herausforderern kandidiert für die kommunistische Partei. Er möchte – wohlgemerkt "gemeinsam mit dem Präsidenten" – etwas gegen die "LGBT-Propaganda" unternehmen. Stalindenkmäler sollen wieder errichtet und Casinos verboten werden. Dann ist da noch die Tochter eines von Lukaschenko geduldeten Oligarchen, der Vorsitzender der Liberaldemokratischen Partei ist, die Lukaschenko bereits seit 1994 unterstützt und ein besonders farbloser Kandidat, welcher der völlig unbedeutenden Republikanischen Partei vorsteht.
Kurzfristig ausgestiegen aus dem "Rennen um das Präsidentschaftsamt" (so skurril formulierte es tatsächlich die staatliche Nachrichtenagentur Belta) waren vorher Olga Tschemodanowa, Milizoberst der Reserve, und Sergej Bobrikow, Generalmajor der Reserve und Vorsitzender des belarusischen Offiziersverbandes. Letzterer war zuvor mit einem Wahlplakat aufgefallen, auf dem er eine obszöne Geste gegenüber der durchlöcherten EU-Flagge zeigt.
Bobrikow war wohl von Anfang an dafür vorgesehen, extreme Positionen gegenüber jedweden liberalen Ideen zu vertreten. Den zahlreichen Exilanten in Polen, Litauen, der Ukraine und anderen europäischen Ländern drohte er noch kürzlich: "Kommt her – sitzt ab, was ihr abzusitzen habt, zahlt, was zu zahlen ist, und lebt hier danach in Ruhe!" Ein Hinweis auf einen weiteren besonderen Aspekt dieser Präsidentschaftswahl, nämlich das völlige Fehlen einer Möglichkeit, außerhalb des Landes abzustimmen.
Keine Wahllokale im Ausland
Begründet wurde dies mit angeblich ernsthaften Gefahren für die belarusischen Wahlkommissionen in EU-Staaten, insbesondere in Polen. Dort leben mittlerweile mehrere Hunderttausend Belarusen, die nach den letzten Präsidentschaftswahlen vor den Repressionen geflohen waren.
Statt der üblichen Wahlbüros in den Botschaften schlugen die Behörden allen ihren im Ausland lebenden Staatsbürgern vor, doch ins Heimatland zu reisen und dort den Wahlzettel einzuwerfen. In jeder Kreisstadt werde ein Wahllokal für sie eingerichtet werden. Ein sarkastischer, ja drohender Unterton war dabei durchaus gewollt. Immerhin wurden im Dezember mindestens ein Dutzend belarusische Staatsbürger wegen politischer Vorwürfe verhaftet, nachdem sie nach mehrjährigem Exil zu Weihnachten nach Belarus zurückgekehrt waren. Einige wurden dabei direkt an der Grenze in Gewahrsam genommen, anderen erst an ihren Wohnorten die Handschellen angelegt.
Prominente Inhaftierte als Abschreckung
Auch einige der bekanntesten Protagonisten der Proteste von 2020 waren wichtiger Bestandteil der Wahlvorbereitungen. So wurden zwei von Lukaschenkos inhaftierten Gegenkandidaten bei der letzten Präsidentschaftswahl, Maria Kolesnikowa und Wiktor Babariko, kürzlich in Propagandaaufnahmen gezeigt. Zuvor hatte seit mehr als anderthalb Jahren kein Kontakt mehr zu ihnen bestanden. Gerade dem Banker und Philanthropen Babariko war deutlich anzusehen, wie sehr ihm die nunmehr fast fünf Jahre andauernde Haft zugesetzt hat. Für den Osteuropa-Experten Alexander Friedman ist klar, welche Nachricht Machthaber Lukaschenko damit übermitteln will: "Die abschreckende Botschaft lautet: 'Seht her, wer sich mir widersetzt, endet wie sie!'"
Gleichzeitig versucht Lukaschenko, den Westen davon zu überzeugen, dass er gesprächsbereit ist. Die Gerüchte über tote politische Gefangene will er entkräften und die Wahlen möglichst "normal" erscheinen lassen. Lukaschenkos Botschaft an den Westen ist: "Wir können eventuell über deren Freilassung reden. Macht mir ein gutes Angebot."
Sehr hohe "Zustimmungswerte" für Lukaschenko erwartet
Auch zum Ausgang der Wahl hat Belarus-Experte Friedman eine klare Prognose. Ihn würde es nicht überraschen, wenn die Wahlkommission dieses Mal ein Ergebnis von über 90 Prozent für den Präsidenten bekanntgeben würde. "Er sieht sich schon seit Putins Amtsantritt im Jahr 2000 in einem Wettbewerb mit jenem. Bei Putins letzter Wahl standen am Ende 87,3 Prozent auf dem Zettel. Diese Zahl will Lukaschenko in jedem Fall übertreffen."
Gleichzeitig scheint der Alleinherrscher wegen seiner nachlassenden Gesundheit zu ahnen, dass dies seine letzte Wahl sein könnte. Er wirkt zunehmend angeschlagen und müde und es gibt Anzeichen dafür, dass Lukaschenko schon mit den Vorbereitungen einer Machtübergabe beschäftigt ist.
Deshalb könnte er das Ergebnis besonders hervorragend aussehen lassen wollen. Auch für Alexander Friedman ein wahrscheinliches Szenario: "Bei der letzten Wahl 2020 malte man ihm 80,1 Prozent, was von der Bevölkerung als dreist und unglaubwürdig empfunden wurde und zu massiven Protesten führte. Diesmal könnte es eine Trotzreaktion geben. Die Message an alle, die an seiner Macht zweifeln: 'Damals habt ihr bei 80 Prozent protestiert, jetzt schreibe ich 90 Prozent und ihr werdet alle schweigen.'"
MDR (usc)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 25. Januar 2025 | 07:17 Uhr