Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk nimmt an einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj (nicht im Bild) nach ihrem Treffen im Büro des Premierministers teil.
Hat viele seiner Landsleute enttäuscht: Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk Bildrechte: picture alliance/dpa/PAP | Pawel Supernak

Wahlkampfversprechen Polen: Von der Regierung Tusk enttäuscht

18. Februar 2025, 20:56 Uhr

Über ein Jahr nach dem Regierungswechsel ist die Stimmung im Lande durchwachsen. Zwar freuen sich viele Menschen, dass sie die rechtspopulistische PiS losgeworden sind – doch warum geht es mit den versprochenen Reformen nicht voran? Und welche Erfolge hat Ministerpräsident Donald Tusk dennoch zu verzeichnen?

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Die Menschen in Polen sind ungeduldig: Sie erwarten, dass das politisch breit gefächerte Bündnis von Ministerpräsident Donald Tusk, das sie vor knapp anderthalb Jahren in Regierungsverantwortung gebracht haben, liefert und seine Wahlkampfversprechen wahr macht. Vielen geht die Veränderung deutlich zu langsam vonstatten.

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Dabei geht es nicht um das Vetorecht des PiS-treuen Präsidenten Andrzej Duda gegen neue Gesetze, sondern um den fehlenden Konsens in der Regierungskoalition selbst, was viele Fragen betrifft. Es herrscht der Eindruck, dass die Regierung  nicht effizient ist. Die Stimmung schlägt sich in den Umfrageergebnissen nieder: Einer Umfrage des CBOS-Forschungsinstituts aus dem Januar zufolge unterstützten 31 Prozent der Befragten das Kabinett von Donald Tusk, während 43 Prozent dagegen waren.

Duda (li.) und Tusk im Europäischen Rat
Kontrahenten: Der PiS-nahe Präsident Andrzej Duda und Ministerpräsident Donald Tusk. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland.

Nach Ansicht von Łukasz Pawłowski, Chef der Gesamtpolnischen Forschungsgruppe (OGB), die die öffentliche Stimmung und Meinungsumfragenergebnisse analysiert, "wird 'Enttäuschung' ganz oben auf der Liste der wichtigsten Emotionen des Jahres 2025 in Polen stehen." Das sagte er in einem Podcast der Tageszeitung Rzeczpospolita.

Verschleppte Legalisierung der Abtreibung

Eine der größten Enttäuschungen ist, dass die Legalisierung der Abtreibung immer noch auf sich warten lässt, da die Mehrheit der Politiker der Bauernpartei (PSL) auf der Bremse steht. Selbst das Gesetz zur Entkriminalisierung der Abtreibungsbeihilfe scheiterte an fehlenden Mehrheiten. Das führte zu einem Rückgang der Unterstützung für die Regierung bei Frauen und jungen Menschen, deren Stimmen für den Wahlsieg dieser Koalition entscheidend waren. Andere Gesetzentwürfe, z. B. über gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften, stecken in den Beratungen fest, ohne Aussicht auf eine schnelle Verabschiedung.

Polen Abtreibung
Das Thema Abtreibung bewegt und spaltet die Menschen in Polen: Hier Proteste gegen ein nahezu komplettes Abtreibungsverbot im Oktober 2020. Auf dem Plakat: "Mein Körper ist kein Sarg". Bildrechte: imago images/ZUMA Wire

Für die meisten Polen sind jedoch der Lebensstandard und die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, insbesondere im Gesundheitswesen, das wichtigste Thema. Doch auch hier hat sich nichts verbessert. Zudem klagen die Menschen über die Inflation und die hohen Preise, insbesondere für Energie und Lebensmittel. Viele haben den Eindruck, dass sich ihr Leben verschlechtert hat, obwohl die Wirtschaftsindikatoren dem widersprechen. 

Für den harten Kern der Wählerschaft der Bürgerkoalition (KO) hingegen gelten die mangelnden Fortschritte bei der Reform des Justizsystems und bei der Aufklärung der Skandale der PiS-Regierung als größtes Versagen der neuen Regierung. Sie sind ungeduldig und wollen die Beschuldigten endlich auf der Anklagebank sehen.

Aroslaw Kaczynski, Vorsitzender der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), hält eine Rede während einer Abschlussveranstaltung des Wahlkampfs in Krakau 4 min
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Mission impossible für den neuen Justizminister?

Die Sanierung des Justizwesens und die juristische Abrechnung mit der PiS-Regierung war das wichtigste Versprechen der Bürgerkoalition, doch es geht nur mühsam voran. Das Oberste Gericht und das Verfassungsgericht sind immer noch mehrheitlich mit PiS-treuen Richtern besetzt. Das wird sich unter dem jetzigen Präsidenten nicht ändern, schließlich ist er es, der die Richter ernennt. Dasselbe gilt für die Staatsanwaltschaft, die schätzungsweise zu einem Drittel immer noch in der Hand der Vertrauten des ehemaligen Justizministers Zbigniew Ziobro ist.

Als spektakulärste Niederlage der neuen Staatsanwaltschaft gilt die Flucht des ehemaligen Vize-Justizministers Marcin Romanowski, dem die Veruntreuung von Staatsgeldern vorgeworfen wird. Er erhielt inzwischen in Ungarn politisches Asyl, ein Vorgang, der gegen EU-Recht verstößt. Solche Fälle lassen den Staat lächerlich und hilflos erscheinen und die Bürger an der Effizienz des Staatsapparates zweifeln.

Polens Justizminister Adam Bodnar.
Hat alle Hände voll zu tun: Polens neuer Justizminister Adam Bodnar Bildrechte: IMAGO/newspix

Der neue Justizminister und Generalstaatsanwalt Adam Bodnar steht tatsächlich vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Gerichte und  Staatsanwaltschaften sind ohnehin seit langem überlastet – knapp 6.000 Staatsanwälte bearbeiten rund eine Million Fälle jährlich. Gegen PiS-Politiker und Funktionäre wurden Hunderte von Anzeigen erstattet, Dutzende von Ermittlungsverfahren sind im Gange, Urteile wurden jedoch bisher nicht gefällt. Bodnar vermeidet die für die frühere Regierung typischen Schnellverfahren und setzt stattdessen auf Gründlichkeit und korrekte Verfahren. "In einem demokratischen Staat muss das alles eine gewisse Zeit dauern", sagt Polens oberster Ankläger und bittet um Geduld.

Obwohl die PiS die Macht verloren hat, bleibt sie eine starke Opposition mit einer sehr loyalen Wählerschaft und liegt in Umfragen kontinuierlich bei rund 30 Prozent. Sie ist auch sehr geschickt in ihrer Medienkommunikation, zu der auch die Begriffsumkehr gehört. Alle Versuche, Reformen durchzuführen und die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen, stellt sie als Akte der Gesetzlosigkeit und den Aufbau einer Diktatur dar.

Erste Erfolge

Trotz vieler Schwierigkeiten hat die Koalition einige Erfolge vorzuweisen, größtenteils im sozialen Bereich. Auch die Verbesserung der Position Polens auf der internationalen Bühne und der Aufbau neuer Allianzen im Bereich der Sicherheit ist für die Menschen von großer Bedeutung und wird daher überwiegend positiv gesehen.

PiS-Anhänger demonstrieren gegen Tusk-Regierung in Polen
PiS-Anhänger stellen die Reformen der neuen Regierung faktenwidrig als Angriff auf die Demokratie dar - hier bei einer Demonstration in Warschau. Bildrechte: IMAGO / SOPA Images

Die Freigabe der Corona-Wiederaufbau-Mittel in Höhe von 137 Milliarden Euro durch die EU ist ebenfalls gelungen. Diese hatte Brüssel wegen Verstößen der Vorgängerregierung gegen die Rechtsstaatlichkeit eingefroren und erst nach ersten Reformplänen der Regierung Tusk wieder freigegeben. Der Erhalt dieser Gelder hat sich allerdings noch nicht eindeutig auf den Lebensstandard der Bürger ausgewirkt. Zwar wurden damit beispielsweise 50.000 neue Krippenplätze geschaffen und der Zugang zum Breitband-Internet verbessert, doch die Regierung weiß nicht so recht, wie sie dies der Gesellschaft mitteilen soll. Und das erweist sich inzwischen als Problem.

Miserable Kommunikation

So ist Tusks Mehrparteienregierung die einzige in der Geschichte Polens, die keinen Pressesprecher hat. Das hatte Tusk noch im Wahlkampf selbst angekündigt, vermutlich, um ein gewisses Gleichgewicht zwischen den Koalitionären zu wahren. Doch dieses Modell funktioniert augenscheinlich nicht. Statt gemeinsame Ziele umzusetzen, tragen die Minister Kompetenzstreitigkeiten in die Öffentlichkeit und tauschen bissige Bemerkungen in den sozialen Medien aus, was den Eindruck von Chaos und Interessenkonflikten verstärkt.

Das wird inzwischen von vielen Beobachtern kritisiert. Auch Mirosław Oczkoś, Experte für politisches Marketing, teilt diese Meinung: "Die Informationspolitik der Regierung ist eine Katastrophe, deren Auswirkungen wir bereits jetzt und sicher auch in Zukunft zu spüren bekommen werden. Die Regierung ist nicht in der Lage, der Öffentlichkeit mitzuteilen, was sie tut, warum sie es tut oder warum sie etwas nicht tut. Und das ist der größte Nachteil."

MDR (tvm)

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