Wladimir Putin und Alexander Lukaschenko, auf einem Plakat als Mörder dargestellt.
Demo-Plakat: Die Machthaber von Belarus, Aleksander Lukaschenko, und Russland, Wladimir Putin, liefern sich ein blutiges Rennen in Sachen Unterdrückung. Bildrechte: IMAGO / NurPhoto

Repressionsapparat Wahlzirkus in Belarus: Will Lukaschenko Putin beeindrucken?

24. Februar 2024, 05:00 Uhr

Belarus wählt ein neues Parlament, doch viel Einfluss haben die Bürger nicht. Das Regime in Minsk habe "jede Imitation von Demokratie aufgegeben", so ein Journalist. Das Interesse der Bürger hält sich entsprechend in Grenzen. Nur für den Repressionsapparat ist die Wahl enorm wichtig – sie gilt als Generalprobe für die 2025 anstehende Präsidentschaftswahl. Massenproteste wie 2020 sollen sich dann nicht wiederholen. Auch nach dem Tod Nawalnys ist das Regime in Minsk repressiver als das in Moskau.

Leonid Wolkow galt seinerzeit als wichtigster Vertrauter Alexej Nawalnys. Vor etwa zwei Jahren verglich er in einem Interview die Entwicklung der Regime in Russland und Belarus. Er sagte, dass Wladimir Putin in der Entwicklung seines Systems "vor zehn Jahren wahrscheinlich fünf Jahre hinter Lukaschenko war, und heute eher fünf Monate hinter ihm ist."

Nawalnys Tod als Zeitenwende

Jetzt ist Nawalny tot. Und wie auch immer die genauen Umstände seines Ablebens gewesen sind, so ist doch offensichtlich, dass der Staat den bekanntesten Oppositionellen Russlands zerstören wollte. Im vergangenen Jahr verbrachte Nawalny die meiste Zeit in Isolationshaft, klagte über unzureichende gesundheitliche Versorgung und Schlafentzug. Die letzten Wochen seines Lebens verbrachte er in einem Hochsicherheitsgefängnis am Polarkreis.

Demonstrant mit einem Bild von Alexej Nawalny
Demonstrant mit einem Bild des verstorbenen russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny Bildrechte: IMAGO/snapshot

Damit wollte das putinistische System Russlands offenbar im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Mitte März eine unverhohlene Botschaft an alle Sympathisanten Nawalnys senden: Wir haben alles im Griff, jeglicher Widerstand ist zwecklos. Oder wie es der ukrainische Politologe Serhiy Kudelia auf der Plattform X ausdrückte: "Es gibt wenig Zweifel, dass Nawalny hingerichtet wurde. Putin weiß, dass es keine Proteste geben wird und dass Nawalny und alles um ihn herum nach zwei Jahren der Militarisierung der russischen Gesellschaft für die durchschnittlichen Russen kaum noch relevant ist. Er weiß, dass er mittlerweile fast die totale Kontrolle über die russische Gesellschaft hat, sowohl ideologisch als auch mittels Repression."

Auch im benachbarten Belarus stehen am kommenden Wochenende Wahlen an. Gewählt wird nicht ein neuer Präsident (diese Wahl ist erst auf 2025 terminiert), sondern "lediglich" die 110 Abgeordneten des Parlaments. Gleichzeitig finden auch Regional- und Kommunalwahlen statt. Anfang April bestimmen die neu gewählten Regionalvertretungen 56 der 64 Mitglieder des neuen Oberhauses, die übrigen werden vom Präsidenten ernannt. Eine solche Wahl wäre in den meisten Ländern ein bedeutender Wegweiser in die Zukunft. In Belarus, wo Alexander Lukaschenko noch viel mehr Alleinherrscher und Alleinentscheider ist als Putin in Russland, ist es lediglich eine Farce.

Wähler liest Informationen zu Kandidaten auf einer Tafel.
Wahlplakate als Farce – 5.411 Wahllokale wurden eingerichtet, doch eine echte Wahl haben die Bürger von Belarus bei der diesjährigen Parlamentswahl ohnehin nicht. Bildrechte: IMAGO / SNA

Verdächtige Todesfälle auch in Belarus

Was das alles mit dem Tod Nawalnys zu tun hat? Führenden Vertretern der belarusischen Opposition zufolge verheißt dieses Ereignis nichts Gutes für das Schicksal der politischen Gefangenen Lukaschenkos. So schrieb der ehemalige Kulturminister Pawel Latuschka aus seinem Exil in Polen: "Nicht der erste und nicht der letzte Mord an einem politischen Gefangenen, eine menschliche Tragödie. Wenn die demokratische Welt nicht hart und prinzipiell auf Nawalnys Tod reagiert, werden sowohl Putin als auch Lukaschenko dazu übergehen, ihre politischen Gegner langsam in den Gefängnissen zu töten."

Für Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja ist Nawalnys Tod "ein weiterer Beleg dafür, dass für Diktatoren ein Menschenleben keinen Wert hat. Putins Regime entledigt sich seiner Gegner mit allen Mitteln, um die Macht zu erhalten – genau wie Lukaschenkos Regime. In Belarus sind in diesem Moment Dutzende von politischen Gefangenen in Isolationshaft – das Leben von Mikolaj Statkewitsch, Mascha Kolesnikowa, meinem Mann Sergej und anderen ist unmittelbar bedroht."

Swetlana Tichanowskaja
Die belarussische Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja trägt immer ein Porträt ihres inhaftierten Mannes mit sich, zu dem sie seit einem Jahr keinen Kontakt mehr hat. Bildrechte: IMAGO / Lehtikuva

Tichanowskaja erinnerte außerdem daran, dass auch in belarusischen Gefängnissen in den vergangenen zwei Jahren bereits zahlreiche politische Gefangene unter dubiosen Umständen ums Leben gekommen seien. Im Mai 2021 starb der Aktivist Witold Aschurok erst 50-jährig in der Haft in Schklow. Im Januar 2022 beging Dmitri Dudoit (†43) Suizid, weil er die Misshandlungen nicht mehr ertrug. Im Mai 2023 kam Nikolai Klimowitsch (†61) in einer Strafkolonie ums Leben. Wenig später verstarben der erst 37-jährige Lyriker Dmitri Sorokin im Polizeigewahrsam in Lida sowie der bekannte Künstler Ales Puschkin (†57) im Gefängnis in Grodno. Im Januar 2024 überlebte Wadim Chrasko (†50) eine Lungenentzündung in einer Strafkolonie in Witebsk nicht und nur wenige Tage nach dem Tod von Nawalny stand das Herz des oppositionellen Aktivisten Igor Lednik (†64) plötzlich still.

Lukaschenko rücksichtsloser als Putin?

Auch nach dem Tod Nawalnys scheint immer noch zu gelten: Das belarusische Regime ist noch repressiver als das russische. So konnte Nawalny zum Beispiel bis zum Schluss seinen Anwalt empfangen und mit seiner Hilfe Videos und Nachrichten aus dem Gefängnis schleusen. Im Gegensatz dazu fehlt von belarusischen Häftlingen wie Kolesnikowa, Tichanowski oder Babariko seit einem Jahr jegliche Spur.

Und auch was die anstehenden Parlamentswahlen betrifft, agiert man in Minsk deutlich ungenierter als in Moskau. Die OSZE-Wahlbeobachter wurden erst gar nicht eingeladen, was der Chef der Wahlkommission, Igor Karpenko wie folgt kommentierte: "Wir hätten an sich kein Problem damit. Aber wozu sollen wir die ausländischen Beobachter einladen, wenn wir die Wahlen doch in erster Linie für uns selber abhalten?" Und so ähnele die Wahl, wie der Journalist Wjatscheslaw Korosten auf dem belarusischen Portal Pozirk schrieb, eher einer "Betriebsweihnachstfeier".

Ein mann wirft seinen Wahlzettel in eine Wahlurne.
Der eigentliche Wahltag in Belarus ist am Sonntag, doch bereits seit Dienstag können Wähler bei der "vorzeitigen Stimmabgabe" im Wahllokal erscheinen – wie hier in Minsk. Bildrechte: IMAGO / SNA

Generalprobe für Lukaschenkos Wiederwahl 2025

Die Behörden haben, so Korosten in seinem sarkastischen Kommentar, "jede Imitation von Demokratie aufgegeben und verbergen nichts mehr: Sie werden die Kandidaten eigenhändig auswählen, die Abgeordneten selbst ernennen und die Wähler nicht unnötig mit der Illusion einer Willensäußerung verunsichern." Und wenn jemand meine, von seiner Stimme hänge irgendetwas ab, oder – schlimmer noch – auf die Idee komme, auf seine Rechte hinzuweisen, dann würden ihn spezielle Leute per "Alarmknopf" umgehend eines Besseren belehren.

Worauf Korosten anspielt, sind die fast schon kriegsartigen Vorbereitungen des Minsker Regimes auf eine Wahl, die auch in Belarus selbst kaum einen interessiert. Dennoch: Nach den Massenprotesten 2020 mussten zahlreiche Spitzenbeamte auf Weisung Lukaschenkos ihren Hut nehmen. Die Neuen betrachten den anstehenden Urnengang als Generalprobe für die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr und wollen beweisen, dass sich ein 2020 nicht wiederholt. Oder wie es Korosten schrieb: "Traumata loswerden, Rache üben – das sind durchaus logische Motivationen für ein Regime, das bereits am Rande des Abgrunds stand."

Polizeieinsatzkräfte in Minsk kämpfen mit einem Mann auf der Straße.
Die Massenproteste nach der mutmaßlich gefälschten Präsidentschaftswahl von 2020 waren für den Repressionsapparat ein Schock – die "Ordnungshüter" wollen alles daran setzen, damit sich das nicht wiederholt. Die Parlamentswahl dient als Generalprobe für die Präsidentschaftswahl 2025. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

So kündigte Innenminister Iwan Kubrakow beispielsweise am 13. Januar im Staatsfernsehen an, jedes Wahllokal mit einem "Alarmknopf" auszustatten, wie ihn auch Bankangestellte für den Fall eines bewaffneten Raubüberfalls haben. Außerdem sind dem Minister zufolge "bereits jetzt in allen Regionen Überwachungskameras im Umkreis der Wahllokale installiert" worden. Am Tag der Wahl, erklärte er weiterhin, würden 50 Personen in einem "speziellen Raum" untergebracht, die jedes Wahllokal in Echtzeit überwachen würden. "Bei der kleinsten Gefahr", so der General, würden "schnelle Einsatzgruppen" die diensthabende Polizei verstärken, um eine "Störung der öffentlichen Ordnung" zu verhindern. Sogar der Einsatz der nach wie vor in reduzierter Zahl in Belarus stationierten Wagner-Truppen wurde vom stellvertretenden Innenminister Nikolaj Karpenkow, der auch öffentlich stolz ihr Abzeichen trägt, hinsichtlich möglicherweise aufkeimender Proteste ins Spiel gebracht.

Lukaschenko phantasiert von Staatsstreich

Natürlich meldete sich auch Lukaschenko persönlich mittels der staatlichen Nachrichtenagentur Belta zu Wort. Die Wahl war dabei weniger sein Thema als die angeblichen Putschpläne der Opposition und "ihrer ausländischen Betreuer aus den Geheimdiensten". Diese würden, so sagte es Lukaschenko bei einem von staatlichen Medien begleiteten Treffen mit dem belarusischen Sicherheitsapparat, "erneut versuchen, uns zu untergraben". Zwar sei die Organisation eines Staatsstreiches oder einer gewaltsamen Machtergreifung im Zuge der jetzigen Wahlen unwahrscheinlich, aber die Opposition im Ausland werde den aktuellen Wahlkampf "als Probe und Auftakt für die Vorbereitung eines Putsches" bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2025 nutzen. Lukaschenko sprach von einer "Verschwörung", für die die Opposition alle Kräfte und Ressourcen einsetze. Man suche nach neuen "Siedepunkten", so Lukaschenko, um "eine neue Welle des Protestes auslösen zu können".

Polizeieinsatzkräfte vor einem Metroeingang in Minsk.
Minsk nach der Präsidentschaftswahl von 2020: Einsatzkräfte verlassen eine Metrostation. Bildrechte: IMAGO / ZUMA Wire

Doch auch wenn die Parlamentswahl im Sinne Lukaschenkos reibungslos über die Bühne geht, kann bis zur wichtigeren Präsidentschaftswahl noch einiges passieren, das die Stabilität des Regimes gefährdet. Der Krieg in der Ukraine geht weiter, und niemand weiß, wie er enden wird. Der belarusischen Wirtschaft stehen nach dem Aufschwung im Jahr 2023 voraussichtlich schwierige Zeiten bevor. Und obendrein lässt den Machthaber Lukaschenko seine Gesundheit hin und wieder im Stich, was Gerüchte von einer vorzeitigen Machtübergabe schürt. Der Journalist Korosten brachte es treffend auf den Punkt: Der Preis für eventuelle Fehler sei für das Regime mittlerweile so hoch, dass es sich schlichtweg keine mehr leisten dürfe. "Entsprechend gibt es keinen Grund mehr, wie bei vorherigen Wahlen einen Wettbewerb zu imitieren. Die Zeiten sind einfach andere geworden."

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | ARD-Korrespondent Frank Aischmann zur Wahl in Belarus | 26. Februar 2024 | 09:45 Uhr

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