14.07.2020 Belarus: Der Präsident versteht keinen Spaß!
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17. August 2020, 14:27 Uhr
Können Sie sich vorstellen, dass Angela Merkel kurz vor den Bundestagswahlen die Regierung auflöst? Nicht wirklich, oder? In Belarus ist das kein Problem, wie Präsident Lukaschenko unlängst bewies. Zwei Monate vor den am 9. August stattfindenden Präsidentschaftswahlen entließ er das Kabinett und ernannte einen neuen Premier. Dass der einen militärischen Hintergrund hat, ist eine unverhohlene Drohung gegen seine Herausforderer und die gesamte Opposition im Lande.
Regierungen löst Präsident Lukaschenko regelmäßig auf. So kurz vor einer wichtigen Wahl tat er es allerdings noch nie. Das lässt viele im Lande aufhorchen. Nach Ansicht des weißrussischen Politologen Artiom Schreibman reagiert der Diktator mit seiner Aktion auf die Corona-Krise im Land. Er will offenbar wieder Ordnung schaffen, nachdem er durch eine, sagen wir, sehr unorthodoxe Art, mit Corona umzugehen, viel an Rückhalt in der Bevölkerung verloren hat.
Mit Wodka und Traktor gegen die Coronakrise
Obwohl die Zahl der mit Covid-19 Infizierten pro 1 Million Menschen in Belarus höher ist als in Spanien und Italien, war Lukaschenko der Seuche mit einer eigenwilligen Strategie begegnet. Zuerst hatte er geleugnet, dass es überhaupt eine Krankheit gibt. "Sehen Sie Viren?", tönte er öffentlich. "Nein? Ich auch nicht. Das ist alles nur eine Psychose". Dann empfahl er Wodka und Traktorarbeit im Feld gegen Covid-19. Quarantänemaßnahmen gab es nicht. Obwohl es Corona auf Befehl des Präsidenten nicht gab, wurden jedoch Konzerte, Theateraufführungen und andere Veranstaltungen abgesagt. Bis auf eine Ausnahme: Die große Militärparade zum 75. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland fand pünktlich am 9. Mai statt. Das hatte sich nicht einmal Russland getraut! Aus Angst vor einer Ansteckung gingen viele Weißrussen schließlich freiwillig in Quarantäne und auf Distanz zu ihrem Präsidenten.
Sascha 3 Prozent
Die Beliebtheitswerte für Lukaschenko sind in den letzten Monaten erheblich gesunken. So scheint es jedenfalls. Denn unabhängigen Polit-Umfragen sind in Belarus mittlerweile verboten. Im Mai hatten jedoch drei Internet-Nachrichtenportale ihre Nutzer gefragt, wen sie am 9. August wählen würden. Für Alexander Lukaschenko sprachen sich nur 3 Prozent der Teilnehmer aus, was dem Amtsinhaber sofort den Spitznamen "Sascha 3%" bescherte (Sascha ist die Kurzform von Alexander). Die Umfragen verschwanden auf Druck der Regierung schnell wieder aus dem Netz. Und auch ein Souvenirshop, der das große Geschäft witterte, wurde auf Linie gebracht. Die vom Shop hergestellten T-Shirts mit der Aufschrift "Psychose 3%" wurden noch vor dem Verkauf vom Staat beschlagnahmt, der Laden geschlossen. Menschen, die vor der Schließung am Shop Schlange standen, um ihre Solidarität mit den Betreibern zu bekunden, wurden von der Polizei festgenommen.
Schlangestehen für mehr Demokratie
Alexander "Sascha" Lukaschenko versteht keinen Spaß, wenn es um seine Macht geht. Das bekommt derzeit auch die Opposition im Lande noch deutlicher zu spüren als sonst. Die offiziellen Wahlhürden lassen sich noch vergleichsweise leicht nehmen: Laut Gesetz darf nur kandidieren, wer 100.000 Unterschriften gesammelt hat. In den vergangenen Wochen drängelten sich also Tausende Weißrussen an den Ständen von Lukaschenkos Herausforderern. Und man hört Kommentare wie "Eine Schlange, wie in der Sowjetunion beim Lebensmitteleinkauf".
Doch Lukaschenkos Apparat arbeitet auch mit Einschüchterungen aller Art. So wurde einer der zunächst populärsten Präsidentschaftskandidaten, der Blogger Seirhei Tsihanouski, am Tag seiner Registrierung bei der Wahlbehörde verhaftet. Was man ihm vorwarf ist unklar. Der Blogger war zuvor auf Wahlkampftour im Land unterwegs gewesen. Kurz nach seiner Freilassung wurde er erneut festgenommen, weil er Gewalt gegen Polizisten ausgeübt haben soll. Zusammen mit ihm wurden acht andere Aktivisten verhaftet.
Oppositionspolitiker im KGB-Gefängnis
Im Untersuchungsgefängnis des weißrussischen Geheimdienstes KGB sitzen weitere Oppositionelle. Darunter Viktar Babaryka, der bei der Abstimmung der drei Nachrichtenportale die Mehrheit bekommen hatte. Er wollte als einer der Herausforderer von Präsident Lukaschenko ins Rennen gehen, wurde jedoch nicht als Kandidat registriert. Babaryka war 20 Jahre Chef der belarussischen Filiale der Gazprom-Bank. Mitte Juni waren er und sein Sohn verhaftet worden. Es gab Razzien in der Bank und eine neue Übergangsverwaltung wurde eingesetzt. Alle Gemälde aus einer von ihm in Minsk eröffneten Gallerie wurden beschlagnahmt. Was genau dem Politiker und seinen Anhängern vorgeworfen wird, ist noch nicht bekannt, die Rechtsanwälte dürfen dazu nichts sagen. Weder der russische Konzern Gazprom und noch die russische Regierung haben bisher aktive Schritte eingeleitet, um die Bank zu retten.
"Das Land werden sie nicht bekommen"
Trotz Lukaschenkos Repressalien lassen sich viele Belarussen nicht mehr einschüchtern. Immer wieder gehen Menschen auf die Straßen und klatschen. Für diesen zivilen Ungehorsam werden sie festgenommen und bestraft. Lukaschenko kommentierte die Proteste in gewohnt selbstbewusster Pose mit den Worten: "Das Land werden sie nicht bekommen." Und erwähnte so ganz nebenbei die Proteste 2005 in Usbekistan, als das Militär dort auf Demonstranten schoss. Es klang wie eine Drohung. Und so will es Lukaschenko auch verstanden wissen. Denn in Belarus vergeht derzeit kaum ein Tag, an dem keine Politiker, Blogger oder Journalisten festgenommen werden.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 20. Juni 2020 | 19:30 Uhr