
Drei Jahre Krieg Ukraine: Angst vor der Zukunft
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21. Februar 2025, 15:48 Uhr
Drei Jahre nach dem russischen Überfall steht die Ukraine vor enormen Herausforderungen: Während die Front (vorerst noch) hält, wächst die Angst vor der Zukunft, nicht zuletzt wegen der fragwürdigen Friedenspläne des erneut gewählten US-Präsidenten Donald Trump. Um die russische Offensive aufzuhalten, könnte sich zudem eine Herabsetzung des Mobilisierungsalters als nötig erweisen. Auch tägliche Luftangriffe und Stromausfälle zehren an den Nerven. Trotzdem bleibt der Widerstandswille ungebrochen.
Viele gute Nachrichten gibt es in diesem Winter nicht, um die Laune der Ukrainer drei Jahre nach Beginn des vollumfänglichen russischen Angriffs zu verbessern. Zwar hat sich das Vorankommen der Russen an der Ostfront im Januar etwas verlangsamt. Doch die russische Armee befindet sich in der Region Donezk weiterhin in der Offensive. Dass die Front nicht zusammengebrochen ist, wird daher bereits als eine Art positive Nachricht bewertet. Vor allem freut man sich im ukrainischen Hinterland aber, dass das Wetter in diesem Winter bisher auf der Seite der Ukraine war. Hätte es stärkere Minustemperaturen gegeben, wären angesichts der russischen Angriffe auf ukrainische Energieanlagen viel längere Stromausfälle nicht zu vermeiden gewesen.
Sind die Ukrainer "kriegsmüde"?
Immer öfter werde ich von Kollegen im Ausland gefragt, ob die Ukrainer zunehmend kriegsmüde werden. Den im Westen beliebten Ausdruck "Kriegsmüdigkeit" lehne ich jedoch kategorisch ab. Er klingt so, als ob meine Landsleute den russischen Angriffskrieg jemals genossen hätten. Dies war jedoch selbst an Tagen nicht der Fall, an denen die ukrainische Armee im Herbst 2022 große militärische Siege etwa in der Region Charkiw feierte. Man hat sich vielleicht für einen Moment gefreut. Danach ging aber das Leben unter Dauerbeschuss weiter.
Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass die Ukrainer die bisher schwerste Kriegsphase erleben. Diese begann im Herbst 2023, als endgültig klar wurde, dass die damalige Sommeroffensive der ukrainischen Armee nicht zum Erfolg geführt hatte. Seitdem ist das Kriegsende nicht in Sicht. Mit diesem Wissen seit mittlerweile fast eineinhalb Jahren zu leben, ist alles andere als einfach.
Zivilbevölkerung unter Beschuss
Gerade jetzt, wenn russische Drohnen selbst Hinterlandstädte wie Kiew so gut wie jede Nacht anfliegen. Früher haben sich in der Hauptstadt Phasen von verstärktem Beschuss mit ruhigeren Monaten abgewechselt. Seit Herbst 2024 gibt es in Kiew fast jede Nacht Luftalarm. Manchmal überhöre ich diesen im Schlaf. Doch wenn die Flugabwehr in deiner Nähe russische Drohnen abzufangen versucht, kann man es nicht überhören. Meine Freunde wirken oft nicht ausgeschlafen. Ich bin es auch nicht.
Hinzu kommen finanzielle Probleme bei vielen, denen es wirtschaftlich schlechter geht als vor Februar 2022. Gleichzeitig ist der Staat auf Steuererhöhungen angewiesen, um die aus fast einer Million Menschen bestehende Armee finanzieren zu können. Stromausfälle sind weiterhin Teil des Alltags. Und es gibt eine Frage, die sich gerade viele Männer stellen: Muss ich bald auch an die Front?
Wird das Mobilisierungsalter herabgesetzt?
Niemand bei Verstand würde behaupten, die Fortsetzung der Mobilisierung sei im Krieg gegen einen Feind wie Russland mit dessen Ressourcen unnötig. Jedoch wäre wohl in jedem Land nur eine begrenzte Anzahl Menschen bereit, selbst im klaren Verteidigungsfall ihr Leben freiwillig an der vordersten Front zu riskieren. Zumal sich der russisch-ukrainische Krieg innerhalb von diesen drei Jahren radikal veränderte. Der Dienst bei der Infanterie galt schon immer als besonders gefährlich. Mit der Weiterentwicklung der Kampfdrohnen ist er aber noch gefährlicher geworden.
Momentan werden in der Ukraine nur Männer ab 25 Jahren mobilisiert, obwohl sowohl die Administration von Ex-US-Präsident Joe Biden als auch das aktuelle Team um Donald Trump die Herabsetzung dieser Altersgrenze forderten. Vorerst lockt das ukrainische Verteidigungsministerium aber nur mit auf ein Jahr befristeten, gut dotierten Verträgen, damit sich 18- bis 24-Jährige freiwillig der Armee anschließen. Trotzdem ist allen im Land bewusst, dass die allgemeine Senkung des Mobilisierungsalters irgendwann unausweichlich sein könnte.
Nicht nur deswegen überlegt Inna, eine mir gut bekannte Mutter eines 17-jährigen Sohnes, ihr Kind rechtzeitig ins Ausland zu schicken. Schon seit der Ausrufung des Kriegsrechts dürfen Männer ab 18 das Land nicht verlassen. Danylo, ein Freund von mir, der erst im Januar 24 geworden ist, versucht dagegen, eine Stelle bei einem als "kritische Infrastruktur" eingestuften Unternehmen zu bekommen, die einen Teil ihrer Mitarbeiter vom Dienst freistellen lassen dürfen. Vor der Einberufung zu fliehen, wäre für ihn keine Option. Nach legalen Umgehungswegen wird aber aktuell von vielen 23- sowie 24-Jährigen gesucht, die wohl als Erste eingezogen würden, sollte die Ukraine das Mobilisierungsalter senken. Denn dass dieses gleich bis auf 18 Jahre herabgesetzt wird, ist eher unwahrscheinlich.
Die "Friedensbemühungen" Donald Trumps
Eine neue Dynamik entsteht gerade durch die "Friedensbemühungen" des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Die Ukrainer sind schockiert über seine Gespräche mit Russland, über ihre Köpfe hinweg. Auch, dass Trump Russland nicht einmal verbal als Aggressor in diesem Krieg verurteilt, sondern Täter und Angegriffene auf eine Stufe stellt und vom Krieg spricht, als wäre er in einem Vakuum entstanden und müsse nun beendet werden, stößt auf Unverständnis. Dies wird in der Ukraine mit großer Sorge gesehen. Aber es bringt eine neue Einigkeit: Während sich innenpolitisch sonst viel und auch emotional gestritten wird, stellen sich jetzt auch viele Kritiker Selenskyjs hinter den ukrainischen Staatschef.
Dabei herrschte vor Trumps jüngsten Vorstößen ein gewisser Zweckoptimismus. Überraschenderweise vertrauten anfangs 44,6 Prozent der Ukrainer laut einer Umfrage der Nichtregierungsorganisation "Zentr Nowa Jewropa" (zu Deutsch: "Zentrum Neues Europa") Trump – es war der Höchstwert in Europa, gefolgt von Ungarn mit 37 Prozent. 54 Prozent der Befragten blickten einer anderen Studie zufolge positiv oder eher positiv auf seine erneute Präsidentschaft, vielleicht auch deshalb, weil ein Weiter-so wie unter Biden die Ukraine auch kaum weitergebracht hätte.
Nun ist man aber in der Realität aufgewacht. Und diese Realität ist trist. Es ist eine Realität, in der der Präsident der wichtigsten Großmacht der Welt außenpolitisch inkompetent zu sein scheint. Und weil dieser Präsident, den sein Verteidigungsminister Pete Hesgeth neulich als "besten Verhandlungsführer der Welt" bezeichnet hat, beim Kreml nicht vorankommt, übt er Druck auf die Ukraine aus und wiederholt dabei auch noch die primitivste russische Propaganda – etwa dass die Ukraine diesen Krieg begonnen hätte. Panik wäre angesichts dieser Situation grundfalsch. Die Lage nur als besorgniserregend zu bezeichnen, wäre aber auch eine Untertreibung.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 22. Februar 2025 | 07:17 Uhr