Paul-Celan-Preis Was es heute bedeutet, russische und belarussische Texte zu übersetzen
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21. November 2024, 04:00 Uhr
Der Leipziger Übersetzer Thomas Weiler erhält den Paul-Celan-Preis des Deutschen Literaturfonds. Geehrt wird er im Besonderen für seine Übersetzung von "Europas Hunde" von Alhierd Bacharevič. Der Roman ist in Belarus verboten und wird dort als extremistisch eingestuft. Im Kulturpodcast des MDR "Aufgefallen" spricht Weiler über die Arbeit des Übersetzers, der außerdem als Agent unterwegs ist, sowie über die Lage der russischen und belarussischen Literatur seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine.
- Der Leipziger Übersetzer Thomas Weiler wird mit dem renommierten Paul-Celan-Preis geehrt.
- Weiler beklagt die niedrigen Honorare, die Übersetzer erhalten, beobachtet aber auch mehr Aufmerksamkeit für die geleistete Arbeit.
- Den Preis möchte Weiler auch nutzen, um auf die Lage der Autorinnen und Autoren in Belarus aufmerksam zu machen.
Der Paul-Celan-Preis 2024 geht an den Leipziger Übersetzer Thomas Weiler, der damit im Besonderen für seine Übersetzung des Romans "Europas Hunde" von Alhierd Bacharevič ausgezeichnet wird.
Vom Schwarzwald in die Millionenmetropole Minsk
Weiler ist nach eigenen Aussagen in Süddeutschland, im Schwarzwald, aufgewachsen. In der Schulbibliothek wurde Weiler Mitte der 1990er-Jahre auf einen Ökonomie-Workshop in Belarus aufmerksam – damals noch Weißrussland. Das Interesse an Sprache und Kultur war geweckt. Weiler verbrachte daraufhin seinen Ersatzdienst nach der Schulzeit in Minsk. Es ging für ihn aus dem Schwarzwald in die Millionenmetropole.
In Belarus beschäftigte er sich mit der russischen Sprache. Er übersetzte sich Texte so, dass sie auch im Deutschen literarisch funktionierten: Das sei zunächst eine Spielerei gewesen, erzählt Weiler, doch dann habe er ein Übersetzer-Studium für die Sprachen Russisch, Polnisch und Belarussisch begonnen.
Talentscout für osteuropäische Literatur
Gerade bei den "kleinen Sprachen" gäbe es kaum Vermittlungsagenturen und in den deutschsprachigen Verlagen könnten nur noch wenige Lektorinnen Russisch lesen, berichtet Weiler. Im Polnischen sei das ähnlich, vom Belarussischen brauche man gar nicht zu reden. Deshalb sei es häufig so, dass die Übersetzer Bücher entdeckten, führt Weiler aus.
Als freier Übersetzer arbeitet Thomas Weiler zum Beispiel oft für den Verlag Voland & Quist, der besonders auf das literarische Geschehen in Osteuropa schaut. Die Zusammenarbeit begann über die Veröffentlichung des Debütromans "Paranoia" des belarussischen Autors Viktor Martinowitsch.
Die Bedeutung eines Übersetzer-Preises
Der Paul-Celan-Preis ist mit 25.000 Euro dotiert. Das sei eine Summe, die sich allein mit der Übersetzung eines Buches kaum erwirtschaften ließe, berichtet Weiler. Die Situation für Übersetzer sei oft prekär.
Seit 2007 arbeitet Weiler als Übersetzer. Seitdem habe sich kaum etwas an der Honorierung geändert. Übersetzer werden nach Normseiten bezahlt, eine Sache, die noch aus Schreibmaschinen-Zeiten stamme. Aufgrund der Inflation seien die so berechneten Honorare im Grunde gesunken.
Für eine Normseite mit maximal 30 Zeilen á 60 Anschlägen bekäme er zwischen 15 und 25 Euro pro Seite – je nach Textsorte schaffe er zwischen fünf und zehn Normseiten pro Tag. Davon leben könne man nur, wenn der Übersetzer an den Verkaufserfolgen der Bücher beteiligt werde. Dazu kommt, dass die Gelder für den Deutschen Übersetzerfonds, der Stipendien und Preise für die Aufmerksamkeit von Übersetzern ausschreibt, jetzt um ein Drittel gekürzt werden sollen: Das wäre ziemlich dramatisch für die ganze Branche, so Weiler.
Übersetzung und Original
Mittlerweile gibt es laut Thomas Weiler zum Glück mehr Aufmerksamkeit für die Übersetzungen von Büchern. Seine Beobachtung: Übersetzer kämen mit auf das Cover, würden in Rezensionen erwähnt. Und trotzdem sei da noch immer bei manchen die Wahrnehmung, dass eine Übersetzung geringeren Wert habe als das Original, dass es sich bei der Übersetzung eher um einen Versuch handele.
Russische Literatur und der Angriffskrieg auf die Ukraine
Bei der Rezeption von Büchern aus Russland gebe es derzeit auf jeden Fall eine Veränderung, stellt Thomas Weiler fest. Er beobachtet, dass es ein größeres Interesse an dem Land und seiner Literatur gibt: "Ich glaube, der Bedarf zu verstehen, was dort vor sich geht, ist sehr groß." Gleichzeitig seien viele Verlage vorsichtig geworden und schauten genau, welche Texte sie übersetzen lassen – sie wollten keine Fehler machen.
Mit Blick auf Belarus sagt Weiler, dass viele Autorinnen, die er übersetzt, nicht mehr in ihrem Land leben können. Unabhängige Verlage hätten Belarus verlassen müssen. Es seien in ganz Europa Exilverlage entstanden – Entwicklungen, die an uns in Deutschland völlig vorbeigingen. Meist werde hier nur von Russland und Ukraine gesprochen. Weiler möchte nun die Preisverleihung und die damit verbundene Öffentlichkeit nutzen, um die Aufmerksamkeit auf Belarus zu lenken, denn die Lage dort sei dramatisch.
Quelle: "Aufgefallen", der sächsische Kulturpodcast vom 18.11.2024
Redaktionelle Bearbeitung: jb
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Aufgefallen | 18. November 2024 | 20:00 Uhr