Wolf
Slowakische Naturschützer sehen Karpatenwölfe in ihrer Existenz gefährdet. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Tierschutz Slowakei: Karpatenwölfe aus politischen Gründen zum Abschuss freigegeben?

11. Februar 2025, 15:30 Uhr

Seit Januar dürfen Jäger in der Slowakei bis Ende des Jahres mehr als 70 Wölfe erlegen. Das slowakische Umweltministerium sieht darin einen Erfolg versprechenden Weg, mit den Wölfen umzugehen. Widerspruch dagegen sei "Aktivistenhysterie". Naturschützer dagegen warnen, der Karpatenwolf stünde mit der Abschusserlaubnis vor der Ausrottung. Die Debatte ist hoch politisiert und läuft anders als in anderen Ländern.

"Zwei Wölfe wurden erschossen und damit ein Rudel zerstört. Die geschossenen Wölfe sind ein Paar gewesen, ein Männchen und ein Weibchen." Solche und ähnliche Meldungen setzte Lesoochranárske združenie VLK (dt. Waldschutzgruppe Wolf) in den sozialen Netzwerken Anfang des Jahres mehrmals ab. Legal auf Wolfsjagd zu gehen wurde da möglich, weil das slowakische Umweltministerium das für die ersten zwei Wochen des neuen Jahres erlaubt hatte. Im September geht die Jagdsaison weiter. Auf das ganze Jahr 2025 gerechnet, dürfen über 70 Tiere geschossen werden.

Mit der Maßnahme will das Umweltministerium Schafe und andere Weidetiere schützen. Der Vorsitzende des Wolfsschützer-Vereins Juraj Lukáč dagegen beklagt im Gespräch mit dem MDR, auf diese Weise seien im Januar insgesamt 23 Wölfe viel zu willkürlich geschossen worden: "Der ganzjährige Schutz wurde aufgehoben, was bedeutet, dass der Wolf jetzt auch geschossen werden kann, selbst wenn er weder Menschen noch Nutztiere bedroht."

Die effektive Populationsgröße beträgt bei uns 50 Tiere. Wenn wir 74 Wölfe zum Abschuss freigeben, ist es sehr realistisch, dass wir die typisch slowakisch-karpatische Wolfspopulation vernichten.

Juraj Lukáč | Slowakische "Waldschutzgruppe Wolf"

Die Naturschützer befürchten, dass beim "Fall" von mehreren einzelnen Tieren die gesamte Karpatenwolf-Population gefährdet sein könnte. Sie sprechen dabei von der "effektiven Population", also von den Tieren, die sich fortpflanzen und zur genetischen Vielfalt beitragen. Sie umfasst nur einen Teil der insgesamt etwa 600 Wölfe in der Slowakei und ist wichtig für die Gesundheit der Art. Die Jäger allerdings wissen meist nicht, ob sie die wichtigen Tiere eines Rudels schießen. "Die effektive Populationsgröße beträgt bei uns 50 Tiere. Wenn wir 74 Wölfe zum Abschuss freigeben, ist es sehr realistisch, dass wir die typisch slowakisch-karpatische Wolfspopulation vernichten", fügt Juraj Lukáč hinzu.

Problem für Wölfe über Ländergrenzen hinweg

Der Abschuss in der Slowakei betrifft aber nicht nur die Wölfe dort, sondern in ganz Mitteleuropa, denn sie leben auf einem recht großen Gebiet und kennen keine Ländergrenzen. Es gibt Fälle, in denen Wölfe auf der Suche nach einem Partner beispielsweise von Bayern durch ganz Polen bis an die polnisch-slowakische Grenze gewandert sind – also über 1.000 Kilometer weit. Viele Wölfe leben in den bergigen Grenzregionen zwischen Polen, Tschechien und der Slowakei. Juraj Lukáč von der Waldschutzgruppe Wolf warnt daher, dass durch den Abschuss von Wölfen in der Slowakei "im Grunde ganz Europa ärmer wird".

Genau deshalb kritisiert man die Strategie des slowakischen Umweltministeriums auch in Tschechien, da ein Teil der dortigen etwa 100-köpfigen Wolfspopulation direkt von der slowakischen Population abhängig ist. Michal Feller, Koordinator der tschechischen Naturschutzbewegung DUHA Šelmy, bestätigte dem MDR, dass es passieren könne, dass ein Wolf, der sich hauptsächlich auf tschechischem Gebiet aufhält, in der Slowakei erschossen wird.

Die Tschechen haben deshalb eine Beschwerde bei der Europäischen Kommission wegen Verstoßes gegen europäisches Recht eingereicht, erklärt Feller an einem Beispiel: "Wenn auf der slowakischen Seite eine Straße oder ein anderes Bauwerk in grenznahen Gebieten errichtet würde, müsste dies genehmigt werden, um sicherzustellen, dass keine grenzüberschreitenden Auswirkungen auftreten." Jedoch sei nichts dergleichen in puncto Folgen für die Wolfspopulation in den Beskiden geschehen.

Debatte in der Slowakei unterscheidet sich von anderen Ländern

Grundsätzlich findet der vermeintliche Kampf zwischen Wolf und Mensch, zwischen seinem Nutzen und den Schäden an Weidetieren seit Jahrhunderten statt. Und das in allen Ländern, in denen noch Wölfe leben. Wie viele Wölfe sind noch akzeptabel und wie kann man betroffene Landwirte entschädigen, die Teile ihrer Herden verlieren? In die Debatte in der Slowakei spielt jedoch noch etwas anderes hinein. Juraj Lukáč denkt, dass "der Wolf zur Geisel politischer Auseinandersetzungen geworden" sei. Naturschützer finden, die Entscheidung, mehr als 70 Wölfe zum Abschuss freizugeben, sei unter dem Druck der Jägerschaft gefallen, von denen große Teile den Wolf als wertvolle Trophäe betrachteten.

Wolf
Der Wolf in den Karpaten schert sich nicht um Ländergrenzen zwischen der Slowakei, Polen und Tschechien. Bildrechte: IMAGO / Depositphotos

Slowakische Naturschützer beklagen nun, dass Wölfe auch in Gegenden gejagt werden können, in denen sie gar keine Schafherden angreifen oder in denen sie eigentlich geschützt sein sollten. So wurden im Januar 2025 einige geschossene Tiere nur 50 bis 100 Meter von Schutzgebieten entfernt gefunden, wohin sie getrieben oder gelockt worden seien.

"Während im Ausland vor allem Jäger nach Abschussquoten für Wölfe rufen, setzt sich in der Slowakei das Umweltministerium, das die Natur schützen soll, für die Jagd auf Wölfe ein", erklärt Marián Hletko von der Bürgerinitiative My sme les (dt. Wir sind der Wald). Er behauptet, das von der national-populistischen Slowakischen Nationalpartei SNS geführte Umweltministerium ignoriere jede wissenschaftliche Studie über die Auswirkungen des Wolfes. "Schließlich hat der Minister selbst einen Wilderer zum Direktor des Hohe Tatra-Nationalparks ernannt, der wegen illegaler Jagd auf Wölfe verurteilt wurde." Kommentatoren sprechen sogar vom "Ministerium für Wilderei".

Während im Ausland vor allem Jäger nach Abschussquoten für Wölfe rufen, setzt sich in der Slowakei das Umweltministerium, das die Natur schützen soll, für die Jagd auf Wölfe ein.

Marián Hletko | Slowakische Bürgerinitiative "Wir sind der Wald"

Slowakisches Umweltministerium spricht von Hysterie

Das Umweltministerium dagegen betont gegenüber der staatlichen Nachrichtenagentur, wie rational man mit der Wolfspopulation in der Slowakei umgehe: "Die Hysterie, die in der Slowakei zum Thema Wolfs- und Bärenmanagement von Progresívne Slovensko [slowakische Oppositionspartei] und einigen Aktivisten geschürt wird, basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen."

Diese besagten, dass es in der Slowakei immer mehr Wölfe gebe und dass Wölfe Bauern und Viehzüchtern erhebliche Schäden zufügten. Daten der Züchterverbände bestätigen tatsächlich, dass die Angriffe durch Wölfe zunehmen und die Schadenssummen steigen. Während Wölfe im Jahr 2019 Schäden in Höhe von etwa 179.000 Euro verursachten, waren es im Jahr 2023 fast dreimal so viel, also über 533.000 Euro.

Die Hysterie, die in der Slowakei zum Thema Wolfs- und Bärenmanagement von Progresívne Slovensko [slowakische Oppositionspartei] und einigen Aktivisten geschürt wird, basiert nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Slowakisches Umweltministerium

Ohne Wölfe potentiell höhere Schäden

Die Verteidiger der Wölfe wiederum entgegnen, dass das Ministerium andere Forschungen aber ignoriere. Nämlich solche, die zeigt, dass man mit der Jagd auf Wölfe gar nicht erreicht, dass sie weniger Nutztiere reißen. Eher das Gegenteil sei der Fall, da die verbliebenen Wölfe weniger Rehe und Hirsche jagen. Marián Hletko von der Initiative My sme Les erklärt: "Die Wolfsfamilien, die wir in der Slowakei erschießen, werden wahrscheinlich nicht mehr in der Lage sein, ihre natürliche Beute zu jagen. Es kann passieren, dass sie dann umso mehr ungeschützte Schafherden angreifen."

Das liegt daran, dass ein Wolfsrudel wie eine Familiengemeinschaft mit klarer Hierarchie funktioniert. An der Spitze steht ein Wolfspaar, das über die Jagdstrategie entscheidet und damit für das Überleben sorgt. Wölfe ohne "Rudelführer" wählen sich leichtere Beute aus, etwa Schafe. Auch Juraj Lukáč bekräftigt, dass so durch die Abschüsse am Ende die Schäden an den Weidetieren eher steigen als sinken würden.

Herdenschutzhunde im Harz bewachen ein Gehege. 3 min
Bildrechte: MDR/ Annette Schneider-Solis
3 min

MDR SACHSEN-ANHALT Mi 25.09.2024 05:26Uhr 03:19 min

https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/audio-2753574.html

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Auch das Problem der Überpopulation an Wild verstärkt sich, wenn Rehe und Hirsche ihren natürlichen Feind, den Wolf, verlieren. Vor zwei Jahren mussten etwa 100.000 Tiere erlegt werden, im vergangenen Jahr waren es bereits doppelt so viele. Die Schäden, die Rehe, Wildschweine und andere Tiere in den Jahren 2018 bis 2022 verursacht haben, summierten sich auf 72 Millionen Euro – ein Vielfaches der Verluste, die Viehzüchter wegen der Wölfe beklagen. Außerdem jagen Wölfe auch krankes Wild, beispielsweise Tiere, die an Schweinepest erkrankt sind. Die Wölfe selbst sind in der Regel resistent gegen Infektionen.

Lösungssuche oder politische Instrumentalisierung?

Dennoch suchen sich Wölfe auch andere leichte Beute, einschließlich Schafherden, die in der Regel durch Zäune geschützt sind. Einiges deutet jedoch darauf hin, dass Herdenschutzhunde eine effektivere Lösung sind, weil sich die Wölfe von ihnen fernhalten. Laut Naturschützer Juraj Lukáč ist der slowakische "Čuvač" eine geeignete Rasse zum Schutz von Schafen. Er sieht ein Vorbild in Spanien, wo Hunde häufig zum Schutz von Herden eingesetzt werden.

Mit dem Beginn der Weidesaison im Frühjahr und der Jagdsaison im Herbst, werden die Debatten um den Karpatenwolf wohl weiterhin hitzig bleiben, zumal es in der Slowakei an innenpolitischen Spannungen nicht fehlt. Man denke nur an die Braunbären, auf die sich eine noch viel größere Aufmerksamkeit richtet. Sie wurden 2023 vor den Parlamentswahlen sogar zum Wahlkampfthema, nachdem einzelne Exemplare Menschen angegriffen hatten.

MDR (baz, usc)

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 15. Februar 2025 | 07:22 Uhr

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