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Supermarkt-Boykotte Kroatien: Die Macht der Verbraucher
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17. Februar 2025, 11:48 Uhr
Aus Wut über die hohen Lebensmittelpreise haben die Menschen in Kroatien begonnen, Einzelhandelsketten zu boykottieren. Nur was bringt das? Und warum ist alles so teuer?
Der kleine slowenische Ort Brežice direkt hinter der slowenisch-kroatischen Grenze ist zum Einkaufsparadies der Kroaten aus Zagreb und Umgebung geworden. Vor allem an den Wochenenden sieht man hier auf den Parkplätzen Autos mit kroatischen Kennzeichen. Denn rund 20 Minuten Autofahrt bedeuten für viele eine spürbare Ersparnis bei ihrem wöchentlichen Lebensmitteleinkauf: In Slowenien liegt die Mehrwertsteuer auf viele Lebensmittel lediglich bei 9,5 Prozent, während sie in Kroatien 25 Prozent beträgt. So kommt es zur absurden Situation, dass manche kroatischen Produkte in Slowenien billiger sind als in Kroatien.
Ein Beispiel ist der beliebte Brotaufstrich "Lino Lada", der laut dem Portal tportal.hr in Slowenien für 5,79 Euro zu haben ist, während er in Kroatien 6,19 Euro kostet. Doch nicht nur kroatische Produkte sind dort billiger - ein Lebensmitteleinkauf in Slowenien für rund 130 Euro würde in Kroatien 40-50 Euro mehr kostet, wie Željko und Irena Jolić für die Tageszeitung Novi list berichten. Sie fahren aus Rijeka etwa zwei Mal im Monat die knapp 40 Kilometer bis Ilirska Bistrica in Slowenien, um dort einzukaufen. Auch in Brežice, nahe Zagreb, sieht man vor allem an den Wochenenden deutlich mehr Autos mit kroatischen Kennzeichen auf den Supermarkt-Parkplätzen als mit slowenischen.
Manch einen erinnern die Einkaufs-Ausflüge an längst vergangene realsozialistische Zeiten. In den 1960er und 1970er Jahren war die italienische Hafenstadt Triest das Mekka der Shoppingausflügler und die Wochenenden standen ganz im Zeichen der jugoslawischen Reisebusse, die frühmorgens an der Uferpromenade Heerscharen kauflustiger Vorzeigesozialisten ausspuckten, um dann spät nachmittags schwer beladen mit Westwaren die Serpentinen zurück ins Land der Brüderlichkeit und Einheit zurückzufahren. Blue Jeans, Kaffee und andere Importwaren aus Triest waren heiß begehrt und zu Hause im Sozialismus Zeichen eines bescheidenen Wohlstandes.
Auf Facebook organisierte Boykotte
Heute müssen wegen steigender Lebenshaltungskosten viele Menschen in Kroatien jeden Cent zweimal umdrehen. Laut dem Kroatischen Statistikamt müssen Kroaten durchschnittlich rund 27 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, im EU-Durchschnitt sind es lediglich 13,6 Prozent. Für viele sind die Lebensmittelpreise im eigenen Land kaum noch erschwinglich. Doch nicht jeder lebt in Grenznähe und kann im Ausland billiger einkaufen.
Inzwischen ist der Frust derart angewachsen, dass sich Verbraucher auf Facebook organisiert haben, um den Einzelhandel zu boykottieren. Denn viele sehen die angeblich exorbitanten Gewinnspannen der Handelsketten als Preistreiber. Das ist laut Experten zwar nur ein Teil der Wahrheit – die hohen Preise sind auf zahlreiche Faktoren, u.a. die hohen Steuern, zurückzuführen – aber die Wut der Menschen hat ein konkretes Ziel bekommen.
Was als Aufruf zum Freitagsboykott von Lebensmittelgeschäften in einer Facebook-Gruppe begann, entwickelte sich in den letzten Wochen lauffeuerartig zu einem landesweiten Verbraucherprotest. Viele Kroatinnen und Kroaten kaufen freitags nicht mehr ein, meiden Banken, die Post oder Restaurants. Laut Josip Kelemen, dem Organisator der Verbraucherproteste, verbuchte der Einzelhandel Einnahmeverluste von 108 Millionen Euro während der ersten drei Freitagsboykotte.
Gewinnverschiebung und ungeahnte Effekte
Doch diese Zahl ist mit Vorsicht zu genießen: Meist haben die Menschen ihre Einkäufe nur auf den Donnerstag oder den Samstag verschoben, denn ganz auf Lebensmittel können sie ja nicht verzichten. Daher ist der Effekt des Boykotts ziemlich begrenzt, das weiß auch Organisator Kelemen. Deshalb entschloss sich die Verbrauchergruppe, die er auf Facebook versammelt hat, ihre Taktik zu ändern und einzelne Lebensmittelketten nun für eine komplette Woche zu boykottieren. "Die Panik, die in den Einkaufszentren und Ketten herrscht, zeigt, dass sie Angst vor einem Verbraucherboykott haben. Aber die Verbraucher haben beschlossen, weiterzumachen. Also lasst uns weitermachen!", sagte Kelemen dem Portal telegram.hr. Nach einer Facebook-Abstimmung fiel die Wahl auf die einheimische Supermarktkette Konzum, in der nun sieben Tage lang niemand einkaufen soll. Warum die Wahl auf genau diese Kette gefallen ist, wurde bei der Abstimmung nicht begründet.
Doch die Proteste könnten statt einer Preissenkung auch ungeahnte negative Auswirkungen haben, vor allem für lokale Nahrungsmittelhersteller. "Die Einzelhandelsketten bestellen seit Beginn des Boykotts 30 Prozent weniger als zuvor", klagte der Vorsitzende des kroatischen Obstanbauverbandes, Branimir Markota, in einem Interview für Dnevno.hr. Die Herstellungspreise in Kroatien seien nicht mit denen ausländischer Großbetriebe zu vergleichen. Da sei es nur eine Frage der Zeit, bis der Einzelhandel auf billigere, ausländische Produkte zurückgreifen würde, fürchtet Markota: "Leider ist der kroatische Hersteller der Leidtragende, denn im Vergleich zur Konkurrenz aus der EU und anderen Märkten sind wir kleine Fische."
Regierung: Preisdeckel, aber keine Steuersenkungen
Damit die Lage nicht gänzlich eskaliert, beschloss die kroatische Regierung einen Preisdeckel für 70 lebensnotwendige Produkte, wie etwa Brot, Fleischwaren und Toilettenpapier. Dadurch sollen Grundnahrungsmittel und andere Waren des täglichen Bedarfs trotz steigender Inflation für Verbraucher erschwinglich bleiben. Experten sehen diese Maßnahmen eher skeptisch: "Die Preisdeckelungen sollten abgeschafft werden, denn es ist erwiesen, dass sie nicht zu Preissenkungen führen", sagt etwa Wirtschaftsexperte Andrej Grubišić in einem Interview mit Večernji list. "Sie können dazu führen, dass manche Produkte nicht lieferbar oder anders verpackt sind. Und sie führen auch zur Diskriminierung. Heute begrenzt man beispielsweise den Preis einer Schweinekeule, und dann kommt jemand und sagt, dass die Preise für Wohnungen und Papier begrenzt werden müssen. Jeder von uns hat Präferenzen, und das öffnet die Büchse der Pandora."
Ökonomen sind sich einig – es müssen grundlegende Reformen her. Das glaubt auch Grubišić und sieht den Staat in der Verantwortung. Er soll durch eine restriktivere Geldpolitik, die Reduzierung der Staatsausgaben, den Abbau administrativer Hindernisse für den Eintritt von neuen Wettbewerbern und durch niedrigere Steuern die Preise langfristig senken und die Kaufkraft der Bürger erhöhen.
Doch solche Reformen brauchen Zeit. Bis dahin werden sich Regierung und Einzelhandel weiter die Schuld für die hohen Preise zuschieben – nicht zuletzt, weil im Frühling Lokalwahlen anstehen. Der Regierung kommt es gelegen, dass sich der Unmut der Wähler auf den Einzelhandel konzentriert, anstatt auf die eigene Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig kann der Handel mit Maßnahmen wie günstigeren Importwaren, kleineren Verpackungen oder Personalabbau auf die Boykotte reagieren. Für die Verbraucher bedeutet das: Wer kann, wird weiterhin im Ausland einkaufen. Aber nur, wenn nicht auch noch die Spritpreise steigen…
MDR (tvm)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 08. Februar 2025 | 07:16 Uhr