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Serbien Kostenlose Busse und blutige Hände
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06. Februar 2025, 05:00 Uhr
Während in Serbien die Proteste gegen die Staatsführung anhalten, versucht der Bürgermeister von Belgrad mit einer ungewöhnlichen Maßnahme die Wogen zu glätten: kostenlose Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Mutige Reform oder Ablenkungsmanöver?
"Willkommen in Belgrad, der Stadt des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs!" So könnte seit Kurzem ein touristischer Werbeslogan für die serbische Hauptstadt lauten, neben den altbekannten Lobliedern auf das Nachtleben der Stadt und Hinweisen auf die Grabstätte von Tito, das Nikola-Tesla-Museum oder den wunderschönen Blick von der mittelalterlichen Burg Kalemegdan auf die Mündung der Save in die Donau.
Kostenloses Bus- und Bahnfahren ab 1. Januar wurde aber nicht wegen der rund 1,3 Millionen Touristen eingeführt, die Belgrad jedes Jahr besuchen. Die freuen sich natürlich, kostenfrei kreuz und quer durch die Stadt fahren zu können, zumal es für Ausländer ohne Sprachkenntnisse ziemlich kompliziert war, in Belgrad Tickets zu kaufen.
Es handelt sich auch nicht um eine "grüne Agenda" der Stadtverwaltung, einen Versuch, die Bewohner zum Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel zu bewegen – auch wenn das durchaus angezeigt wäre, denn Belgrad zählt zu den Städten mit der höchsten Luftverschmutzung weltweit.
Eine soziale Maßnahme?
Belgrads Bürgermeister Aleksandar Šapić ist unbeliebt, er und sein Umfeld werden die Verwicklung in zahlreiche Skandale vorgeworfen. Das reicht von einer mutmaßlich plagiierten Doktorarbeit und Veruntreuung von Haushaltsmitteln bis hin zu Korruptionsvorwürfen etwa bei öffentlichen Aufträgen. Die Liste ließe sich fortführen. Mit dem "Geschenk", das er erst Mitte Dezember angekündigte, will er offenbar die Gunst der Belgrader zurückgewinnen. "Das ist eine soziale Maßnahme", erklärte der Bürgermeister, der einst als einer der besten Wasserballspieler der Welt galt, der Presse. Und prahlte, dass Belgrad die einzige Großstadt Europas mit komplett kostenlosem öffentlichen Nahverkehr sein werde. Es handele sich um die "größte Reform des Stadtverkehrs in der Geschichte Belgrads".
Šapić versicherte, die Stadt könne sich das leisten. Die Maßnahme würde "nur" 40 Millionen Euro jährlich kosten, und außerdem habe der Ticketverkauf bisher ohnehin nur 15 Prozent der Kosten des Belgrader Stadtverkehrs gedeckt.
Einem geschenkten Gaul ...
Unerwartet sei das alles nicht, sagte der Verkehrsingenieur Ivan Banković im Gespräch mit der serbischen Redaktion von BBC. Als Vorsitzender der Gewerkschaft "Centar GSP Beograd", einer der Gewerkschaften des öffentlichen Nahverkehrs in Belgrad, weiß er, wovon er spricht. De facto bringe der Belgrader Stadtverkehr ohnehin seit einem Jahr nur wenig Einnahmen über Fahrscheinverkäufe, denn viele Menschen fahren schwarz: Von etwa 800.000 Fahrgästen, so Schätzungen, würden nur 180.000 das Ticket zahlen.
Banković bezeichnete die Reform des Bürgermeisters als "populistisch". Wenn man für ein Fahrticktet Geld ausgeben müsse, könne man auch eine gewisse Qualität erwarten. In Belgrad ist Qualität aber Fehlanzeige: "Wir können euch zwar keinen zuverlässigen, komfortablen und pünktlichen Nahverkehr bieten, aber er ist wenigstens umsonst – was habt ihr also zu meckern?", fast Banković die Absicht zusammen, die seiner Meinung nach hinter dem kostenlosen ÖPNV in Belgrad steht. Frei nach dem Motto: Einem geschenkten Gaul schaut man nichts ins Maul.
"Krebsgeschwür" Belgrads
Der Belgrader Stadtverkehr ist in der Tat ein mysteriöser Organismus. Nicht selten wartet man über eine halbe Stunde auf einen Oberleitungsbus, und dann kommen drei gleichzeitig an. Warum? Das kann niemand erklären. Viele der insgesamt 1.200 Trolleybusse, Busse und Straßenbahnen sind klapprig, und bei den löchrigen Belgrader Straßen geht einem die Fahrt nicht selten "an die Nieren". In der Stoßzeit sind die Verkehrsmittel maßlos überfüllt – das Verkehrssystem ist für die rund 1,4 Millionen Belgrader einfach unterdimensioniert.
In den vergangenen Jahren sorgte der Stadtverkehr zudem mehrmals für negative Schlagzeilen. Mehrere Busse mit Passagieren an Bord fingen beispielsweise Feuer. Von einem Bus löste sich sogar ein Rad und tötete einen Passanten. Selbst Bürgermeister Šapić gab zu, dass der bankrotte Stadtverkehr ein "Krebsgeschwür" Belgrads sei. Warum das Städtische Verkehrsunternehmen (GSP) seit einem Jahrzehnt pleite ist, erklärte er unterdessen nicht. Kritiker sehen "maßlose Korruption" als Ursache.
Was hat sich eigentlich geändert?
Offizielle Angaben zur Nutzung des kostenlosen Personennahverkehrs gibt es nicht, aber wer vorher schon Busse und Bahnen nutzte, wird feststellen, dass es keine großen Zuwächse der Fahrgastzahlen gibt, nur weil die Verkehrsmittel jetzt kostenlos sind. Im Trolleybus der Linie 29 bezeichnet ein älterer Herr die Maßnahme als "nett". Zwei junge Frauen lächeln dagegen nur und sagen, für sie habe sich nichts geändert, sie seien sowieso schwarz gefahren. Die Reportagen der Belgrader Medien über den kostenlosen Stadtverkehr besagen unisono – es habe sich eigentlich nichts geändert.
Außer für diejenigen, die Angst haben, schwarz zu fahren – sie müssen nun nicht mehr auf der Hut sein, ob Kontrolleure in den Bus steigen. Dabei hatte Belgrad erst vor zwei Jahre ein sehr bequemes Bezahlsystem per SMS oder über eine App eingeführt. Eine Einzelfahrkarte kostete nur 50 Dinar, umgerechnet rund 40 Euro-Cent. Das Verbraucherbündnis Efektiva hält den kostenlosen Nahverkehr aber ohnehin für "Quatsch". Nichts gebe es umsonst, warnen die Verbraucherschützer. Zwar müsse man nun keine Tickets mehr bezahlen, dafür seien aber zur gleichen Zeit Heizen, Parken und die Immobiliensteuer beachtlich teurer geworden.
Kostenloser Nahverkehr angesichts von Massenprotesten
Der Zeitpunkt für die laut Stadtspitze "größte Reform des Stadtverkehrs in der Geschichte Belgrads" ist auch symptomatisch. Beim Einsturz eines Vordachs auf dem Bahnhof in Novi Sad am 1. November 2024. kamen 15 Menschen ums Leben. Das löste Massenproteste in ganz Serbien aus, die immer größer wurden. Die Demonstranten beschuldigten die Machthaber der Korruption, die die Ursache für die Tragödie gewesen sei. Das Symbol der Proteste sind blutige Hände.
Mitten in diesem Aufruhr gab der Bürgermeister Belgrads Mitte Dezember aus heiterem Himmel den wütenden Belgradern seine Idee zum kostenlosen Stadtverkehr bekannt. Doch die Lage hat sich seitdem weiter zugespitzt. Mittlerweile blockieren Studenten alle Universitäten im Land, organisieren täglich Straßenproteste, die Serbische Anwaltskammer legte mit einem siebentägigen Streik die Justiz lahm, Studentenanführer und Gewerkschaften rufen zu einem Generalstreik auf. Der Druck der Straße fegte Regierungschef Miloš Vučević aus dem Amt. Das Zentrum dieses gegen die korrupte Regierung gerichteten Aufstands ist Belgrad. In dieser Situation interessiert sich kaum jemand für den kostenlosen Stadtverkehr.
MDR (baz)
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 01. Februar 2025 | 07:17 Uhr