Kommunalwahlen Alles außer Volksparteien? Sachsen wählen häufiger Wählervereinigungen
Hauptinhalt
11. Juni 2024, 05:00 Uhr
Die Ergebnisse der Kommunalwahlen in Sachsen sind fast alle da. Dabei fällt auf, dass Vertreterinnen und Vertreter der bekannten Parteien im ländlichen Raum immer seltener in den Gemeinderäten und ähnlichen kommunalen Vertretungen sitzen. Die Tendenz geht in Richtung Wählervereinigungen verschiedener Couleur. Das fängt schon beim Wahlzettel an. MDR SACHSEN hat sich die Wahlergebnisse mit diesem Fokus genauer angesehen und mit der Landeszentrale für politische Bildung daüber gesprochen.
- Dass immer weniger Grüne, Linke und Liberale in den Gemeinderäten sitzen, macht dem Chef der Landeszentrale für politische Bildung in Dresden Sorgen.
- Teilweise holten Wählervereinigungen in Sachsens Gemeinden exorbitante Ergebnisse und kommen dadurch zu absoluten Mehrheiten.
- Der Trend zu parteiungebundenen Zusammenschlüssen auf kommunaler Ebene scheint sich zu verstärken.
Bei den Wahlen zu den sächsischen Gemeinderäten am Sonntag sind - neben der AfD - vor allem verschiedene Wählervereinigungen als Sieger hervorgegangen. Das hat eine Analyse von MDR SACHSEN ergeben. Verschwinden die Volksparteien immer mehr aus dem ländlichen Raum?
Der Direktor der Landeszentrale für politische Bildung Sachsen, Roland Löffler, sagt dazu im Gespräch: "Dass wir in Sachsen eine sehr heterogene kommunale Landschaft haben, ist nicht neu. Bereits vor den Kommunalwahlen war das Feld sehr gemischt." Es sei in kleineren Orten bereits so, dass viele der klassischen Parteien gar nicht mehr antreten. "Eigentlich sind nur die CDU, die Wählervereinigungen und jetzt so langsam die AfD flächendeckend vertreten", so Löffler weiter.
Löffler: Eine ganze politische Richtung fehlt
Er beurteilt dieses Verschwinden als durchaus problematisch: "Dass Grüne, Linke und Liberale zum Teil gar nicht mehr oder nur in Miniaturform vertreten sind, da fehlt natürlich dann eine ganze politische Richtung. Es gibt ja trotzdem Bürgerinnen und Bürger in den Städten oder Gemeinden, die eben nicht so konservativ sind wie vielleicht die Mehrheit derer, die gewählt worden sind", gibt Löffler zu bedenken.
Teilweise nur Wählervereinigungen auf Wahlzettel
Im Landkreis Nordsachsen gewannen freie Wählervereinigungen beispielsweise in 17 von 30 Gemeinden. In Jesewitz hat es keine der bekannten Parteien in den Gemeinderat geschafft, sondern insgesamt fünf verschiedene Vereinigungen, die auch die dazugehörigen Ortsteile vertreten. Dort konnte man zu dieser Wahl ausschließlich für Vertreterinnen und Vertreter der Wählervereinigungen stimmen. In Zschepplin hat von den bekannten Parteien lediglich die CDU eine Liste aufgestellt und ist mit knapp 30 Prozent gewählt worden.
Im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge haben vor allem in den Gemeinderäten kleinerer Kommunen die Wählervereinigungen gewonnen. Ein Gegenbeispiel ist das Ergebnis in der Gemeinde Lohmen. Dort ist keine Wählervereinigung vertreten. Dafür hat die CDU knapp 80 Prozent geholt, die Linke 13,6 Prozent und die Grünen 7,4 Prozent. Auch die AfD ist dort nicht vertreten.
Wählervereinigungen holen zum Teil exorbitante Ergebnisse
Im Vogtlandkreis ist es ähnlich wie in den anderen Kreisen: Die Freien Wähler oder ähnliche Vereinigungen haben die meisten Stimmen in den meisten Kommunalparlamenten erhalten. Im Gemeinderat Mühlental sitzt - ähnlich wie in Jesewitz - keine einzige etablierte Partei im Gemeinderat, nicht einmal die AfD. Auch in der Gemeinde Werda haben nur Wählergemeinschaften gewonnen. Selbst eine Kirchgemeinde hat sich da aufstellen lassen: die Kirchgemeinde Werda. Sie holte fünf Prozent der Stimmen. In Neustadt hat die "Wählervereinigung Neustadt" gleich 99,9 Prozent der Stimmen erhalten und sitzt somit alleine im Gemeinderat.
Im Landkreis Mittelsachsen sind vier Kommunen noch nicht ausgezählt (Stand: 10.06.2024, 16:00 Uhr). Hier lässt sich jedoch bereits sagen, dass die AfD nicht die meisten Ratssitze geholt hat. In der Gemeinde Seelitz hat die Bürgerbewegung Kirche 43,7 Prozent geholt und ist damit stärkste Kraft. Die Parteien wie CDU, SPD, Grüne, Linke sowie AfD sind nicht in jedem Gemeinderat vertreten, Wählervereinigungen oder Freie Wähler dagegen schon.
Alles in allem wird die Mehrheitsfindung in den nächsten Jahren sehr viel komplizierter werden.
Von "Freunde der Feuerwehr" bis zum Männergesangsverein
Bei der Kommunalwahl haben auch Gruppierungen und Vereinigungen Stimmen erhalten, deren politisches Interesse nicht auf den ersten Blick klar wird. In Parthenstein im Landkreis Leipzig hat die meisten Stimmen die örtliche Wählervereinigung erhalten, die den Beinamen "Freunde der Feuerwehr" trägt. Auch im Landkreis Zwickau holte der Verein der Feuerwehr Hartenstein ein Viertel aller abgegebenen Stimmen.
In Arzberg im Landkreis Nordsachsen hat die Bürgerinitiative gegen unsoziale Kommunalabgaben (kurz: BIKO) 78,5 Prozent aller Stimmen bei der Wahl zum Gemeinderat geholt - die absolute Mehrheit. In Lampertswalde im Landkreis Meißen haben der örtliche Männergesangsverein und der Sportverein zusammen etwa 50 Prozent der Stimmen bekommen.
Teilhabe von Wählervereinigungen als Chance
Der Trend, dass mehr Wählervereinigungen in die Gemeinderäte einziehen und die etablierten Parteien das Nachsehen haben, zeichnete sich bei der vorigen Kommunalwahl 2019 bereits ab. Dazu sagte Landeszentralen-Chef Löffler im Gespräch mit MDR SACHSEN: "Da sieht man aber auch eine Chance für bürgerschaftliches Engagement in der Kommunalpolitik, dass sich nicht an Parteigrenzen orientiert. Der Trend verstärkt sich jetzt, er ist selbst aber nicht neu. Alles in allem wird die Mehrheitsfindung aber in den nächsten Jahren sehr viel komplizierter werden."
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Leipzig | 10. Juni 2024 | 14:30 Uhr