Ein Label an einer Stofftasche.
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Klimaneutral oder Greenwashing? Expertin: Es fehlt an einheitlichen Standards

11. Juli 2024, 13:20 Uhr

Produktsiegel, die ein nachhaltiges Produkt auszeichnen, gibt es mittlerweile sehr viele. Allerdings fehlt es an einer einheitlich geltenden Definition, welche Bedingungen für so eine Kennzeichnung erfüllt sein müssen. Das führt immer wieder zu Streit – auch vor Gericht. Für Verbraucher ist das Ganze derzeit vor allem unübersichtlich und verwirrend.

Wer beim Besuch im Supermarkt oder der Drogerie gerne nachhaltiger einkaufen möchte, der stößt mittlerweile auf eine Vielzahl von entsprechenden Siegeln. Einige zeichnen das Produkt zum Beispiel als klimaneutral aus. Das Problem: Bisher gibt es keine einheitliche Regelung für die Nutzung beziehungsweise Bedingungen solcher Siegel. "Derzeit gibt es hierfür keine konkreten gesetzlichen Vorgaben. Unternehmen nutzen daher aktuell eigene Siegel oder erwerben solche von privaten Zertifizierern. Da es an einheitlichen Standards fehlt, besteht oft Unsicherheit mit Blick auf die Seriösität von Umweltangaben wie 'klimaneutral', 'klimaschonend' oder 'mit reduziertem CO2-Fußabdruck'", erläutert Anne-Christin Mittwoch, Professorin für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Wirtschaftsrecht an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

3 Beispiele für Streite und Gerichtsurteile über Umweltfreundlichkeit

Erst im Juni gab es ein Urteil gegen den Süßwarenhersteller Katjes. Das Unternehmen hatte mit dem Begriff "klimaneutral" geworben. Allerdings hatte Katjes seine Produkte nicht emissionsfrei produziert, sondern das Ganze finanziell ausgeglichen, indem Klimaschutzprojekte unterstützt wurden. Das könne, so urteilte das Gericht, für Verbraucher irreführend sein. "Dass Kunden die Möglichkeit hatten, durch das Scannen eines QR-Codes auf der Verpackung weitere Informationen über die 'Klimaneutralität' der Produkte zu erhalten, änderte daran nichts. Dieses Urteil steht in Einklang mit einer Reihe von Unterlassungsurteilen gegen Unternehmen hinsichtlich der Verwendung des Begriffs 'klimaneutral' beziehungsweise 'umweltneutral'", sagt Anne-Christin Mittwoch.

Sie nennt noch ein weiteres Beispiel: "Das Landgericht Stuttgart hat unlängst einer Klage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg entsprochen und unter anderem untersagt, bei der Werbung für einen Impact-Fonds (Anm. d. Red.: eine Möglichkeit der nachhaltigen Geldanlage) einen direkten Zusammenhang zwischen einer bestimmten Anlagesumme und einer definierten, angeblichen Reduktion des persönlichen CO2-Fußabdrucks herzustellen."

Und es gibt noch weitere Streitfälle: zum Beispiel zwischen dem Discounter Lidl und der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Der Auslöser dieses Streits war eine große Werbekampagne von Lidl für seine "Kreislaufflasche" gewesen. Dabei wurde die Nachhaltigkeit der Plastikflasche mit der von Mehrwegflaschen verglichen. Das kritisierte die DUH. In Folge dessen warf Lidl der DUH Falschbehauptungen vor. Die Deutsche Umwelthilfe ging 2023 schließlich rechtlich dagegen vor.

Wer nachhaltiger leben will, zahlt gern mehr

Wenn Unternehmen sich oder ihre Produkte für grüner verkaufen, als sie eigentlich sind, fällt gerne mal der Begriff "Greenwashing". Aber warum ist Nachhaltigkeit für Hersteller so interessant? Das liegt auch daran, dass man damit gut Geld verdienen kann. "Umfragen zeigen, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten Nachhaltigkeitsaspekte in ihre Kaufentscheidungen einbeziehen. Einige sind demnach sogar dazu bereit, mehr Geld für nachhaltige Produkte auszugeben. Es liegt in der Natur der Sache, dass gewinnorientierte Unternehmen auf diese Nachfrage reagieren und Produkte und Dienstleistungen auf den Markt bringen, die diesen Ansprüchen gerecht werden oder zumindest den Anschein erwecken, dies zu tun", erklärt Daniel Steffens auf MDR-Anfrage. Er ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Leipzig und promoviert derzeit zur Strafbarkeit von Greenwashing.

Was ist Greenwashing? "Eine allgemeingültige Definition des Begriffs Greenwashing hat sich bisher noch nicht herausgebildet. Bei einer eher weit gefassten Begriffsauslegung werden damit Verhaltensweisen beschrieben, die etwas umweltfreundlicher erscheinen lassen, als es tatsächlich ist", erläutert Daniel Steffens, Jurist.

Wenn es zu einem Urteil gegen ein Unternehmen kommt, das in täuschender oder irreführender Weise mit Nachhaltigkeit geworben hat, dann wird laut Daniel Steffens das nicht mit dem Begriff "Greenwashing" begründet. "Das Wort 'Greenwashing' wird in diesen Entscheidungen explizit nicht erwähnt, da es rechtlich keine direkte Bedeutung hat. Gegenstand der Beurteilung ist stets die Frage, ob ein Verhalten im Einzelfall gegen geltendes Recht verstößt. Unternehmen werden also nicht ausdrücklich wegen Greenwashing verurteilt oder bestraft, sondern wegen Verstößen, die man je nach Begriffsauslegung als Greenwashing bezeichnen kann", führt er weiter aus.

Fehlende Regelung auch für Unternehmen schwierig

Ohne eine klare Definition, wann ein Produkt als klimaneutral oder auch umweltfreundlich bezeichnet werden kann, wird auch den Herstellern die Arbeit erschwert. "Hier belegen die in der Rechtsprechung diskutierten Fälle, dass Greenwashing oft gerade nicht vorsätzlich erfolgt. Die uneinheitliche Rechtslage ist für Unternehmen oft schwer überblickbar, Anforderungen an die Kennzeichnung von Produkten werden daher immer wieder versehentlich verkannt", sagt Anne-Christin Mittwoch.

Die bestehenden Unsicherheiten führen laut der Professorin aktuell bereits nachweislich zum sogenannten Greenhushing. "Darunter versteht man das Phänomen, dass Unternehmen nachhaltigkeitsfördernde Aspekte ihrer Produkte oder Dienstleistungen verheimlichen, um den Vorwurf des Greenwashings zu vermeiden. Auf Englisch bedeutet 'hush' schweigen oder vertuschen", erläutert sie.  

EU arbeitet an verbindlichen Regeln

Für Verbraucher ist aufgrund der vielen unterschiedlichen Produktsiegel oftmals nur schwer zu erkennen, welches Unternehmen umweltfreundlich produziert. "Ob ein Produkt wirklich nachhaltig hergestellt wurde oder in der Anwendung umweltfreundlich ist, lässt sich oft nur durch eine gründliche eigene Recherche herausfinden", schreibt auch die Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz auf ihrer Webseite.

Diese unübersichtliche Lage könnte sich durch Pläne der EU in Zukunft bessern. "Die Europäische Kommission hat hierzu Richtlinien auf den Weg gebracht, mit dem Ziel, den Verbraucherinnen und Verbrauchern eine informierte Kaufentscheidung unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten zu ermöglichen", erläutert Daniel Steffens. Ein wichtiger Punkt in den Richtlinien: Bezeichnungen wie "klimaneutral" sollen nur noch dann verwendet werden dürfen, wenn das Produkt selbst oder dessen Herstellung emissionsfrei ist.

MDR (jvo)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Mittagsmagazin | 27. Juni 2024 | 12:00 Uhr

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