Erdgas und CO2 Wie die Stickstoffwerke Piesteritz klimaneutral werden wollen
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28. Juni 2024, 13:52 Uhr
Auch die chemische Industrie soll in Zukunft möglichst wenig fossile Rohstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl einsetzen. Die Stickstoffwerke Piesteritz nutzen Erdgas zum Beispiel, um Wasserstoff und CO2 zu gewinnen. Aktuell suchen sie nach Lösungen, um ihren Verbrauch zu reduzieren. Zwar gibt es dafür noch keine optimale Lösung, aber dafür liefern sie ihr überschüssiges CO2 an ein nahegelegenes Gewächshaus.
- Die Stickstoffwerke Piesteritz liefern ihr überschüssiges CO2 an ein Gewächshaus.
- Das Unternehmen sucht nach Lösungen, um weniger Erdgas zu verbrauchen.
- Die Stickstoffwerke würden gerne ihr CO2 unter der Erde speichern – aber das ist umstritten.
Helmut Rehhahn lässt mit überschüssigem CO2 Tomaten wachsen. Sachsen-Anhalts ehemaliger Landwirtschaftsminister arbeitet jetzt als Projektleiter in einem riesigen Gewächshaus. Das Besondere daran ist die Lage. Es steht direkt neben dem größten Chemiebetrieb Wittenbergs, den Stickstoffwerken SKW Piesteritz.
Die Stickstoffwerke liefern Rehhahns Gewächshaus nicht nur Abwärme, sondern auch CO2: "Das CO2 wird so, wie es bei SKW als Vorstufe für die Harnstoffproduktion genutzt wird, in sauberer Form zu uns geblasen, und wir können das dann unter den Pflanzen über perforierte Schläuche verteilen." Mit dem höheren CO2-Gehalt könnten die Pflanzen besser wachsen.
Jährlich nimmt Rehhahn dem Chemiebetrieb 22.000 Tonnen des Klimagases ab, das dadurch nicht in die Atmosphäre entweicht. Für die SKW Piesteritz ist es ein erster Schritt zu einer klimafreundlichen Produktion, wenn auch ein kleiner. Das Werk hat jährlich hunderttausende Tonnen CO2 übrig, die es nicht weiterverarbeiten kann.
Ich werde der grüne Punkt Deutschlands.
Hoher Erdgasverbrauch in den Stickstoffwerken
Über das große Ziel der Klimaneutralität grübelt Carsten Franzke schon länger nach. Denn der Chef der Stickstoffwerke benötigt wirklich viel Erdgas: "SKW Piesteritz ist der größte industrielle Erdgasverbraucher Deutschlands. Wir stellen Produkte auf Basis von Ammoniak, auf Basis von Harnstoff her. Unter anderem Düngemittel, Adblue oder Industriechemikalien für Anwendungen in technischen Bereichen."
Grundsätzlich gilt: Die Produkte lassen sich auch ohne Erdgas herstellen. Die Chemie ist ja ein Zauberkasten. Man kann grünen Wasserstoff aus der Elektrolyse einsetzen.
Außerdem kann man den benötigten Kohlenstoff statt aus Erdgas auch aus CO2 holen, das Firmen ausstoßen, die nicht ohne Weiteres klimaneutral werden können – wie die Zementindustrie. Auf dem Papier, sagt Franzke, sei das machbar: "Dann werden wir im Unternehmen langfristig vom größten CO2-Emittenten zur größten CO2-Senker. Ich werde der grüne Punkt Deutschlands."
Doch um das zu erreichen, braucht es Unmengen an Strom. Franzke sagt, unterm Strich koste das so viel Geld, dass seine Firma unwirtschaftlich würde, solange andere Länder mit der klassischen Produktion weitermachten.
Streit über CO2-Speicherung im Boden
Der SKW-Chef plädiert deshalb dafür, sich der Klimaneutralität anders zu nähern. Er würde das CO2, das bei ihm übrig bleibt, gerne erst einmal speichern: "Ich nehme das Erdgas, scheide das CO2, das über Dach geht, ab, verbringe das in eine Pipeline, die noch entstehen muss und verbringe das in den Boden. Das wäre technologisch in einem Rahmen." Dafür müsste Franzke Investitionen tätigen.
Die CO2-Speicherung ist allerdings umstritten. Die Grünen wollen sie nur unter bestimmten Voraussetzungen erlauben. Klimaschützer warnen vorm CO2-Endlager und werfen der Industrie vor, über diesen Weg so weitermachen zu wollen wie bisher.
Franzke widerspricht: Das gespeicherte CO2 könne man noch als Rohstoff nutzen. Es könne zur Kohlenstoffquelle werden, wenn man kein Erdgas mehr habe. "Über dieselbe Leitung, über die ich das CO2 entsorgt habe, kann ich mir das CO2 dann als Rohstoff besorgen und bei mir verarbeiten, ohne dass noch etwas in die Umwelt geht." Um über die Idee zu sprechen, hat Franzke Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck nach Wittenberg eingeladen. Auf eine Antwort wartet er noch.
Vorerst bleibt dem größten Erdgasverbraucher nur, einen Teil seines CO2 in Gewächshäuser zu pusten. Dort, sagt Landwirtschaftsminister a.D. Helmut Rehhahn, sorge es aber für exzellente Erträge: "Wir haben 7.500 Tonnen Tomaten, 3.500 Tonnen Paprika und 2.500 Tonnen Erdbeeren."
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Das Nachrichtenradio | 28. Juni 2024 | 08:08 Uhr