Teinehmer einer Kundgebung der rechtsextremen Idenditären Bewegung (IB) 8 min
Video: Wie sich die rechtsextreme Identitäre Bewegung in Ostdeutschland ausbreitet. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Statistik Linke: Zahlen der Bundesregierung zu rechtsextremen Veranstaltungen zu niedrig

31. August 2024, 15:50 Uhr

Die Bundesregierung hat für das zweite Quartal 2024 deutschlandweit 102 rechtsextreme Kundgebungen gemeldet – 89 davon in Sachsen. In Thüringen waren es demnach vier, in Sachsen-Anhalt gar keine. Doch die Zahlen liegen nach Angaben der Linken viel höher. Die Partei wirft den Behörden "schludrige" Angaben zu rechtsextremistischen Aktivitäten vor, die die Bedrohungslage von rechts verwässerten.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Andreas Sandig
Bildrechte: MDR/punctum.Fotografie/Alexander Schmidt

Wie viele Aufmärsche, Mahnwachen oder sonstige öffentliche Auftritte der extremen Rechten fanden im zweiten Quartal 2024 bundesweit statt? Wo und wer trat als Anmelder in Erscheinung? Das fragt die Linkspartei regelmäßig bei der Bundesregierung und auch in den Ländern an.

Daten der Bundesregierung ungenau

Die Antwort der Bundesregierung vom 5. August 2024 überrascht: Demnach wurden deutschlandweit im zweiten Quartal 2024 lediglich 102 von Rechtsextremisten organisierte oder dominierte Kundgebungen mit überregionaler oder nennenswerter Teilnehmermobilisierung erfasst – Infostände, Flugblattaktionen und lokale kleinere Veranstaltungen ausgenommen. Die Teilnehmerzahlen reichen von einstellig bis vierstellig, oft liegen auch keine genauen Zahlen vor.

89 der 102 Aktionen von Rechtsextremen wurden in dem Zeitraum in Sachsen verortet, vier in Thüringen, in Sachsen-Anhalt keine. Alle anderen Bundesländer kommen zusammen auf neun rechtsextremistische Kundgebungen. Teils wurden Veranstaltungen rechtsextremer AfD-Landesverbände in die Zahl einberechnet, teils nicht. Einige Bundesländer sammeln die Daten nicht.

Doch auch die vorliegenden Zahlen der Bundesregierung sind wenig plausibel, wurden doch allein in Sachsen-Anhalt im ersten Quartal dieses Jahres mehr als 200 rechtsextreme Kundgebungen und Aktionen offiziell registriert und auch in Thüringen sind Rechtsextreme sehr aktiv.

Sachsen-Anhalt und Thüringen: Hunderte rechtsextreme Aktionen statt nur vier

Auf Nachfrage von MDR AKTUELL bestätigte die Linkenpolitikerin Henriette Quade, Landtagsabgeordnete in Sachsen-Anhalt, dass diese Angaben der Bundesregierung für das zweite Quartal fehlerhaft seien. Denn schon seit der Einstufung der AfD in Sachsen-Anhalt als gesichert rechtsextrem im November 2023 gehörten deren Veranstaltungen in die Statistik. Die Abgeordnete im Magdeburger Landtag spricht von hunderten rechtsextremen Aktionen der AfD und anderer rechtsextremer Organisationen in diesem Jahr – allein in Sachsen-Anhalt.

Menschen bei einer AFD Demonstration
AfD-Demo in Thüringen (Archivbild) Bildrechte: MDR THÜRINGEN

Ähnliches gilt für Thüringen, wo die AfD bereits seit 2021 als erwiesen rechtsextrem vom Verfassungsschutz beobachtet wird und demnach ihre Parteiveranstaltungen erfasst werden sollten. Das Projekt "Mobile Beratung in Thüringen. Für Demokratie – gegen Rechtsextremismus. MOBIT e.V." hält die lediglich vier von der Bundesregierung gemeldeten rechtsextremen Veranstaltungen in Thüringen für offensichtlich falsch.

Christoph Lammert von MOBIT sagte MDR AKTUELL, möglicherweise fielen auch die Kundgebungen der rechtsextremen Gruppierung "Freies Thüringen" durchs Raster, weil sie keine Partei sei. "Freies Thüringen" organisiere regelmäßig landesweit "Montagskundgebungen". Dazu kämen noch die Veranstaltungen vom "Dritten Weg" und von "Die Heimat", der Nachfolgepartei der NPD sowie eben Aktionen der AfD und Jungen Alternative.

Unklare Erfassungskriterien für rechtsextreme Veranstaltungen

Erschwert wird die Registrierung und Vergleichbarkeit der Daten durch ungenaue Erfassungskriterien für rechtsextreme Veranstaltungen sowie Unterschiede zwischen Bundes- und Landesstatistik. Linkenpolitikerin Quade nennt als Beispiel das Kriterium "überregionale Mobilisierung und nennenswerte Teilnehmerzahlen". Die Organisatoren machten zumeist im Internet und auf Social Media mobil. Da werde eine regionale Abgrenzung schwierig. Das gelte auch für die Erfassung auswärtiger Demonstrationsteilnehmer.

Der Verein "Tolerantes Sachsen" sieht im Freistaat einen regelrechten "rechtsextremen Wanderzirkus". An verschiedenen Orten träfen sich immer wieder die gleichen zehn bis 30 Menschen. Wenn es dann ein drängendes lokales Thema gebe, könne sich aber auch große Mobilisierungskraft entwickeln. Als Beispiel wird Bad Gottleuba-Berggießhübel in der Sächsischen Schweiz genannt, wo im Herbst vergangenen 2.000 bis 3.000 Menschen gegen die Unterbringung von Geflüchteten in einem leerstehenden Schloss protestierten.

Auch werden Teilnehmerzahlen bei Demos häufig gar nicht erfasst. Diese statistischen Details hält die Linkenpolitikerin Quade jedoch nicht für das Hauptproblem. Die Statistik sollte jedoch zumindest abbilden, dass rechtsextremistische Parteien, Gruppierungen und Protagonisten in den ostdeutschen Regionen immer aktiver und erlebbarer seien. Sie beanspruchten die Meinungsführerschaft und bestimmten zunehmend den politischen Diskurs.

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Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Linke: Ausmaß rechtsextremer Aktivitäten wiederholt geschönt

Die Linke im Bundestag kritisiert bereits seit geraumer Zeit ungenaue Antworten und Daten der Bundesregierung auf ihre Anfragen zu rechtsextremistischen Aktivitäten, speziell in den ostdeutschen Bundesländern. Das Büro von der Linken-Bundestagsabgeordneten Petra Pau teilte MDR AKTUELL mit, schon 2023 seien unrealistisch niedrige Zahlen gemeldet worden. Die Bundesregierung habe in einer Stellungnahme Fehler zu den Daten in Sachsen eingeräumt: "Aufgrund eines technisch bedingten Versehens waren in der ursprünglichen Beantwortung nicht alle Demonstrationen der Partei Freie Sachsen enthalten. Die fehlenden Angaben werden hiermit nachgeliefert."

Doch im ersten Quartalsbericht für 2024 wurden dann von der Bundesregierung deutschlandweit erneut sogar nur zwölf rechtsextreme Kundgebungen aufgelistet. Auf Nachfrage der Linken, warum die Zahlen sowohl im Vergleich zum Vorjahr als auch im Vergleich zu Zahlen des sächsischen Verfassungsschutzes im selben Zeitraum signifikant geringer seien und Veranstaltungen der "Freien Sachsen" erneut fehlten, hieß es wieder: "Aufgrund eines zwischenzeitlich erkannten und behobenen Übertragungsfehlers im Zusammenhang mit der Selektierung und Zuordnung der entsprechenden Kundgebungen ist es leider zur Nennung einer deutlich geringeren Zahl entsprechender Kundgebungen gekommen."

Es darf nicht sein, dass Dutzende eigentlich der Polizei bekannten Versammlungen von Rechtsextremen von der Bildfläche verschwinden. Hier wird die Beurteilung der Bedrohungslage von rechts verwässert.

Petra Pau Linken-Abgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestags

Die offiziellen Zahlen wurden auf bundesweit 136 Rechtsaußen-Kundgebungen erhöht, vor allem um Aktionen der Freien Sachsen. Und wieder ergab sich ein Missverhältnis zu rechtsextremen Veranstaltungen in anderen Bundesländern.

Linken-Abgeordnete Pau kritisiert das. "Es darf nicht sein, dass Dutzende eigentlich der Polizei bekannten Versammlungen von Rechtsextremen von der Bildfläche verschwinden. Hier wird die Beurteilung der Bedrohungslage von rechts verwässert."

MDR AKTUELL (ans)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL – Das Nachrichtenradio | 31. August 2024 | 16:00 Uhr

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