Versammlungsrecht Rechtsextreme Montagsdemos in Gera: Warum schreitet das Ordnungsamt nicht ein?
Hauptinhalt
04. März 2024, 14:46 Uhr
Immer wieder kommt es in Gera bei von Rechtsextremisten angemeldeten Demonstrationen und Kundgebungen zu Zwischenfällen wie Vandalismus oder Einschüchterungsversuchen. Warum wird das Ordnungsamt nicht aktiv?
Aktuelle Nachrichten des Mitteldeutschen Rundfunks finden Sie jederzeit bei mdr.de und in der MDR Aktuell-App.
- In Gera haben Ende Februar "Montagsspaziergänger" des Rechtsextremen Christian Klar eine Kundgebung der Kirchengemeinde gestört. Warum das Ordnungsamt nicht vor Ort war, ist unklar.
- In Deutschland gelten beim Versammlungsrecht zwar Regeln, aber Organisatoren müssen die Kundgebung lediglich anmelden.
- Der Rechtsextremist Christian Klar meldet in Gera regelmäßig Demonstrationen und Kundgebungen an. Für ihn als Veranstalter gilt die Unschuldsvermutung.
Eine halbe Stunde lang standen sich beide Gruppen direkt gegenüber am vergangenen Montag vor der Geraer Salvatorkirche - dazwischen Bereitschaftspolizisten. Die einen beteten und hielten Kerzen in der Hand. Die anderen brüllten ihnen vulgäre Schimpfworte entgegen.
Die rund 250 Menschen vor der evangelischen Kirche hatten sich wie jeden Montag unter dem Motto "Herz statt Hetze" versammelt. Die andere Demonstration (ca. 400 Teilnehmer) war von deren Anmelder, dem Geraer Rechtsextremisten Christian Klar, direkt vor die Kirche gesteuert worden.
Dort, während seiner Kundgebung, beschimpfte er minutenlang per Mikrofon die Menschen vor der Kirche. Nachdem er mehrere Fälle von Gewaltstraftaten aufgezählt hatte, an denen Ausländer beteiligt gewesen sein sollen, rief er in Richtung des Gotteshauses: "Ihr solltet euch schämen, für was ihr da oben steht! Wenn ihr Kinder habt, seid ihr die, die es verdient haben, dass es eure Kinder erwischt."
Gemeint war damit auch der Geraer SPD-Stadtrat Heiner Fritzsche, der ebenfalls zur Kundgebung der Kirchgemeinde gekommen war. MDR THÜRINGEN sagte er: "Es war sehr erschreckend, mit welcher Aggressivität und Niedertracht der Rechtsextremist Christian Klar und die Demonstranten die völlig passiven und friedfertigen Mitglieder der evangelischen Kirche diffamiert haben."
Versammlungsbehörde in der Kritik
Als es wieder still geworden war vor der Kirche, bedankten sich die Teilnehmer mit Applaus bei den Polizisten, die sie geschützt hatten. Mitarbeiter des Ordnungsamtes waren nicht vor Ort. Dazu sagt SPD-Politiker Fritzsche: "Es ist nicht nachvollziehbar, warum die Behördenmitarbeiter einerseits zu zweit und andererseits oft gar nicht bei Versammlungen vor Ort an der Seite der Polizei sind."
Dass das Ordnungsamt bei Klar-Demos nicht vor Ort ist, kommt häufiger vor. Auch Mitte Dezember und Ende Januar war das so, obwohl beide Veranstaltungen mehrere Tage zuvor auch im Internet angekündigt worden waren. Auch deswegen steht das Geraer Ordnungsamt mit Blick auf diese Veranstaltungen immer wieder in der Kritik. Vor kurzem hieß es dazu in einem Fernsehbeitrag des ARD-Magazins Kontraste: "In Gera, so scheint es, gehört den Rechtsradikalen die Straße."
Zu dieser Kritik hat der Leiter des Geraer Ordnungsamtes und beigeordnete Bürgermeister, Kurt Dannenberg, MDR THÜRINGEN ein ausführliches Interview gegeben. Zur Abwesenheit seiner Behörde bei Klar-Demos sagt der Behördenleiter: "Das Ordnungsamt war nicht vor Ort, weil die Versammlungsbehörde aus einer Abteilungsleiterin, einer Sachbearbeiterin und einem Teamleiter besteht, der aber auch schon für andere Themen zuständig ist wie Jagd-, Fischerei- und Waffenrecht. Das ist also eine reine Frage der Personalressourcen." Wenn das Ordnungsamt nicht vor Ort kommen kann, übernimmt die Polizei stellvertretend die Rolle der Versammlungsbehörde.
Zur Situation am vergangenen Montag vor der Salvatorkirche sagt Dannenberg, dass Klars Demo-Route juristisch nicht zu verhindern gewesen wäre. Deswegen habe er mit der Kirchgemeinde besprochen, "wie man tatsächlich zwei Versammlungen nah beieinander durchführen kann, um Gesicht zu zeigen".
Und Dannenberg ergänzt: "Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht Versammlungsbehörden über den Umfang von Versammlungsgeschehen entscheiden sollen, sondern die Zivilgesellschaft sollte ihre Meinung ausdrücken." Wie dies die Stadtkirchgemeinde mache, fände er "sehr beachtlich und sehr begrüßenswert".
Ich bin der festen Überzeugung, dass nicht Versammlungsbehörden über den Umfang von Versammlungsgeschehen entscheiden sollen, sondern die Zivilgesellschaft sollte ihre Meinung ausdrücken.
Strenge Regeln beim Versammlungsrecht
Wer in Deutschland demonstrieren möchte, braucht dafür keine Genehmigung. Die Organisatoren müssen ihre Veranstaltungen lediglich anmelden und sich an bestimmte behördliche Auflagen halten. Dabei darf es allein um die öffentliche Sicherheit und Ordnung gehen und keinesfalls um politische Inhalte.
Dieses Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nehmen regelmäßig auch Islamisten, Corona-Leugner, Reichsbürger, Abtreibungsgegner, Linksradikale oder eben Rechtsextremisten für sich in Anspruch. Dabei ist der Spielraum von Versammlungsbehörden mit Blick auf die politischen Vorlieben der Demo-Anmelder denkbar gering.
"Grundsätzlich sollte es einer Behörde völlig egal sein", sagt dazu Amtsleiter Dannenberg, "ob es eine links-, rechts- oder mitte-gerichtete Demonstration ist, weil eine Behörde nach rein rechtlicher Grundlage beurteilen sollte, ob eine Versammlung zu beauflagen ist oder nicht. Ich bin der Überzeugung, dass wir in einem Staat leben - und da bin ich sehr froh drüber - in dem die Politik keine Vorgaben macht, was eine gute und was eine schlechte Demonstration ist."
Grundsätzlich sollte es einer Behörde völlig egal sein, ob es eine links-, rechts- oder mitte-gerichtete Demonstration ist.
Zur Versammlungsfreiheit gehört auch, dass diese Versammlungen nervend, ätzend und vielen ein Dorn im Auge sein dürfen. Auch deswegen sollen Demonstrationen in Hör- und Sichtweite der Kritisierten stattfinden können. Dabei fragt sich allerdings stets, wo legitimer Protest endet und zur Einschüchterung wird?
Kurt Dannenberg sagt vor diesem Hintergrund über die Situation vor der Salvatorkirche: "Natürlich fühlt man sich davon eingeschüchtert, was Christian Klar und seine Anhänger dort gemacht haben. Ich gehe davon aus, dass es für viele Menschen, die dort teilgenommen, haben einschüchternd war."
Bei Christian Klar gilt Unschuldsvermutung
Es kommt äußerst selten vor, dass extremistischen Anmeldern, wie etwa Pegida-Gründer Lutz Bachmann, die Zuverlässigkeit als Versammlungsleiter abgesprochen wird. Nötig dafür wären beispielsweise Vorstrafen, die etwas mit Demonstrationen zu tun haben.
Bei Christian Klar ist dies nicht der Fall. Auch die zahlreichen strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, die gegen ihn derzeit laut Thüringer Justiz geführt werden, spielen bei dessen Demo-Anmeldungen keine Rolle. "Hier gilt die Unschuldsvermutung", erklärt Dannenberg.
Allerdings werde genau beobachtet, wie die Demos ablaufen, ergänzt der Behördenleiter. Auch Fälle von Vandalismus wie Mitte Februar, als Klars Anhänger eine Absperrung vor der Johanniskirche zerstörten, werden registriert. "Eine Versammlung ist per se kein rechtsfreier Raum", sagt Dannenberg. "Und jedem, der bei mir anruft, sage ich: Wenn etwas nicht in Ordnung war, dann schreibt eine Anzeige, weil das fließt wiederum ein in die Bewertung für die nächste Versammlung."
Konkret gehen diese Informationen in die so genannten Gefahrenprognosen ein, anhand derer der mögliche Ablauf von Veranstaltungen vorab eingeschätzt wird und Auflagen erlassen werden können.
Eine Versammlung ist per se kein rechtsfreier Raum.
Vermeintlich guter Draht ins Amt
Christian Klar meldet in Gera regelmäßig Demonstrationen und Kundgebungen an. Dabei inszeniert er sich als eine Art "Widerstandskämpfer" in Stiefeln und Tarnhosen. Am Wochenende kündigte er in einem Video an, ein "Protestcamp ab Mittwoch 18:00" vor einer geplanten Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete in Gera "bei der Ordnungsbehörde anzumelden". Auch in anderen Videos bezieht er sich immer wieder auf seine Kommunikation mit der Versammlungsbehörde.
Dabei erweckt er nicht selten den Eindruck, einen guten Draht zu den Sicherheitsbehörden zu haben: "Und das Schöne ist, wenn einem die Polizei auch noch viel Erfolg wünscht." Auch über den Geraer Ordnungsamtschef äußert sich der Rechtsextremist freundlich. Kurt Dannenberg tritt in diesem Jahr für die CDU als Geraer Oberbürgermeister-Kandidat an. Auf Facebook teilte Klar dazu mit: "Da wählt Gera lieber Kurt, ganz ohne Helm und ohne Gurt … ganz einfach KURT!!!!!"
Der Angesprochene selbst allerdings scheint nichts zu halten von dieser Unterstützung: "Grundsätzlich denke ich", sagt Dannenberg, "dass er mir damit schaden will, dass er das formuliert, weil er das vor 500 Leuten ruft. Insofern kann ich ja wohl kaum davon begeistert sein, dass Christian Klar hier so einen Post absetzt und etwas suggeriert, was tatsächlich nicht stimmt."
MDR (dst)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Fazit vom Tag | 04. März 2024 | 18:00 Uhr
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/eee20c3d-c505-4372-976a-8c5c505c143e was not found on this server.