Das durchgestrichene Wort «Ostdeutschland» ist auf eine Hauswand in Altenburg gesprayt.
Muss die Politik noch gesondert über Ostdeutschland reden? Bildrechte: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Bundestagswahl Kaum noch Wahlkampf um Ostdeutschland

19. Februar 2025, 15:30 Uhr

In diesem Bundestagswahlkampf kam Ostdeutschland kaum noch vor. Die Union und die AfD blendeten das Thema ganz aus. Und andere Parteien, mit Ausnahme der Linken, rissen es eher an, als dass sie es klar angingen.

MDR AKTUELL Mitarbeiter Kristian Schulze
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Im Wahlprogramm der Union wird Ostdeutschland genau ein Mal erwähnt, ganz am Anfang in einer Aufzählung, worauf Deutschland stolz sein könne: "Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Weltmeistertitel, Westbindung, Friedliche Revolution, Wiedervereinigung und Aufbauleistung der Ostdeutschen".

Ansonsten wird der Osten bei CDU und CSU auf 81 Seiten gar nicht mehr gesondert adressiert. Zudem forderte die Union im Wahlkampf, das Amt des Ost-Beauftragen der Bundesregierung abzuschaffen. Im 139 Seiten starken Unions-Wahlprogramm von 2021 sah das noch anders aus. Da gab es zwei ganze Seiten unter der Überschrift "Zukunft Ost – Chancen für das geeinte Deutschland" und auf Seite 89 nochmal das Versprechen, Einrichtungen der Forschung und der Wirtschaft in Ostdeutschland weiter zu fördern.

Forschung im Osten fördern würde Reint Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), der Politik zwar auch heute noch empfehlen. Doch sagte er MDR AKTUELL im Interview auch, dass die Probleme hier gravierender seien, die Rezepte dagegen aber keine spezifischen. Es brauche insgesamt eine gute Wirtschaftspolitik.

Ähnlich war wohl die Überlegung bei der Union. Eine Antwort auf Nachfrage von MDR AKTUELL zur Abwesenheit von Ostdeutschland im Wahlprogramm gab sie zwar nicht. Aber sie hat wohl darauf gesetzt, mit ihrem Schwerpunkt auf Wirtschaft den Osten schon genug anzusprechen. Das deutete Bundestags-Fraktionsvize Sepp Müller schon im November an, der seinen Wahlkreis in Sachsen-Anhalt verteidigen will und am Programm beteiligt war.

Häufigere Erwähnung bei den Ampel-Parteien

Bei der SPD, die mit Carsten Schneider den Ost-Beauftragten der Bundesregierung stellt, findet Ostdeutschland im SPD-Programm weit häufiger an verschiedenen Stellen Erwähnung.

Carsten Schneider (SPD), Staatsminister für die neuen Bundesländer und Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland, präsentiert in der Bundespressekonferenz ein Dokument
Der Ost-Beauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, mit dem Bericht zum Stand der Einheit 2024. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

So heißt es schon auf der ersten Seite in der Einführung über das, was die SPD als Erfolge wertet: "Die Renten sind kräftig gestiegen – und mehr als 30 Jahre nach dem Mauerfall in Ost und West endlich angeglichen."

Danach wird der Osten bei der SPD unter verschiedenen Aspekten eigens erwähnt, bei Netzentgelten, kommunalen Altschulden, der EU-Regionalförderung, den Pflege-Kosten und nicht zuletzt bei den Löhnen, wo die SPD mit dem nicht gerade vollmundigen Versprechen aufwartet, sie in Ostdeutschland "langfristig oberhalb des Mindestlohns zu sichern".

Und natürlich kommt der Osten auch beim Thema Extremismus vor, wobei die SPD hier die "wertvolle und mutige Arbeit" von Vereinen und Akteuren der Zivilgesellschaft lobt, ohne etwa deren Finanzierung genauer anzugehen.

Ostdeutschland bei Grünen und FDP

Im Grünen-Programm sind explizite Erwähnungen schon dünner gesät. Es soll mehr große Naturschutzgebiete nach ostdeutschem Vorbild geben sowie in Regionen "wie der Lausitz" neue "Infrastruktur und Wirtschaftsförderung, Renaturierung und Investitionen in Zukunftstechnologien".

Bei der ländlichen Gesundheitsversorgung "gerade in Ostdeutschland" regen die Grünen "zusätzliche Programme für Gemeindegesundheitspfleger*innen, früher die Gemeindeschwester", sowie eine "Medizin auf Rädern" an. Und bei den gesetzlichen Renten sollen die Erträge einer zusätzlichen Kapitaldeckung "insbesondere Frauen und Menschen in Ostdeutschland" unterstützen.

Die Aktienrente, eigentlich eine Idee der FDP, wird so auch Thema für Ostdeutschland. Dabei ist der Osten auch im FDP-Programm präsent. So stehen für das Motto "Alles lässt sich ändern" schon gleich am Anfang "die mutigen Menschen in Ostdeutschland" von 1989 als Beispiel.

Die FDP sieht weiter "besondere wirtschaftliche Herausforderungen" im Osten: "Auch die Vermögenssituation unterscheidet sich erheblich." Helfen sollen dagegen "Steuersenkungen, Bürokratieabbau, die Umsetzung von Reallaboren und eine praxistaugliche Wirtschafts- und Forschungsförderung für die vielen kleinen und mittleren Unternehmen in Ostdeutschland".

Abwesenheit des Themas bei der AfD

Die AfD spricht den Osten direkt gar nicht an. Obwohl die Partei mit Tino Chrupalla einen ostdeutschen Ko-Vorsitzenden hat, gibt es im AfD-Programm keine Erwähnung. Unsere Nachfrage dazu ließ die AfD-Bundeszentrale unbeantwortet. Von Moderator Lars Sänger bei der "Fakt ist!"-Wahlarena direkt darauf angesprochen, sagte Chrupalla zwar, das erklären zu können. In der Hitze des Redegefechts wurde daraus jedoch nichts mehr.

Letztlich könnten die Überlegungen bei der AfD für den Wahlkampf aber ähnliche gewesen sein wie bei der Union: Auf Wirtschaft setzen, also die vermeintlich schwächste Stelle in der Ampel-Bilanz, und ansonsten stark gegen Migration und zu hoffen, dass den Ostdeutschen das reicht.

Beim BSW ist das Thema noch präsent

Dem mit zehn Seiten erst sehr knappen BSW-Kurzwahlprogramm war zu Ostdeutschland noch nichts zu entnehmen. In dem am 12. Januar in Bonn beschlossenen Programm hat der Osten aber noch Platz gefunden.

So heißt es auf Seite 21, "nach wie vor sind die Menschen im Osten Deutschlands benachteiligt". Das Lohnniveau liege teils weiter 21 Prozent unter dem im Westen. Weder in den Eliten der Verwaltung, an Gerichten, Hochschulen oder in Medien seien Ostdeutsche proportional zu ihrem Bevölkerungsanteil vertreten. Relativ vage wird dagegen eine "Förderung Ostdeutscher zumindest im Öffentlichen Dienst" in Wissenschaft und Kultur sowie bei Zugängen zu Stipendien als BSW-Forderung formuliert.

Linke setzt eigenen Schwerpunkt

Die Linke, die möglicherweise jetzt auch wieder stärker als Ost-Partei wahrgenommen werden will, ist bisher die einzige Partei mit einem eigenen Kapitel zum Thema im Programm. Unter der Überschrift "Gerechtigkeit für Ostdeutschland" ist dieses "noch immer die größte zusammenhängende strukturschwache Region Deutschlands".

So sind Bezüge bei der Linken am häufigsten. Sie will "höhere Renten und wirkliche Rentengerechtigkeit, insbesondere in Ostdeutschland" und Ost-Verdienste "noch bis 2030 hochwerten", damit sich Renten angleichen. Auch kritisiert sie "schlechte Löhne und unsichere Jobs", vor allem im Osten, und macht Vorschläge dagegen – etwa Genossenschaften sowie Betriebsübernahmen durch Belegschaften – und Probleme wie die Finanzen der Kommunen, die Gesundheitsversorgung in der Fläche oder den öffentlichen Nahverkehr.

Im Wahlkampf-Endspurt und die Fünf-Prozent-Hürde im Blick, wartete die Linke dann noch mit einem Fünf-Punkte-Plan zur Halbierung von Milliarden-Vermögen in zehn Jahren auf, durch eine "einmalige Vermögensabgabe", mit Steuern auf große Vermögen und höhere Steuern auf hohe Einkommen.

Ökonom empfiehlt Vermögensaufbau

Dem kann Marcel Thum, Leiter der ifo-Niederlassung Dresden, wenig abgewinnen, genau so wenig wie sein Kollege Reint Gropp. Wie der IWH-Präsident erklärte auch Thum auf Nachfrage von MDR AKTUELL, dass es keine spezielle Ost-Politik mehr brauche. Allerdings könnten einige Politik-Maßnahmen hier besonders helfen, Zuwanderung sowieso, aber auch "Politik, die den Vermögensaufbau voranbringt", etwa eine kapitalgedeckte zusätzliche Pflichtversicherung zur Rente. Wer etwa einen ETF-Sparplan schon habe, dem falle "zusparen leichter". Das aber sei eine Politik "des langen Atems".

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