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Interview Reint Gropp: In zehn Jahren ist die Lohnlücke geschlossen
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19. Februar 2025, 12:28 Uhr
Sind spezielle wirtschaftspolitische Programme für Ostdeutschland noch zeitgemäß? Das haben wir IWH-Präsident Reint Gropp gefragt.
- Was gefördert werden sollte: Forschung und Entwicklung
- Was tun gegen ungleiche Einkommen und Vermögen in Ost und West?
- Gibt es eine "Gesamtrichtung der Wirtschaftspolitik?"
In den Programmen zur Bundestagswahl kommt der Osten kaum noch vor, obwohl es viel um die wirtschaftliche Entwicklung geht. Union und AfD nehmen dabei überhaupt nicht Bezug auf den Osten, die anderen Parteien reißen ihn lediglich an, nur die Linken gehen tiefer darauf ein. Wir haben Reint Gropp gefragt, den Präsidenten des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH), ob es spezielle wirtschaftspolitische Ost-Programme heute noch braucht.
MDR AKTUELL: Bei MDRfragt halten 71 Prozent der Leute gezielte Ost-Wirtschaftsförderung weiter für nötig. Sehen Sie das als Ökonom auch so?
Reint Gropp: Ich würde da gern anders anfangen. Interessant im Zusammenhang mit den wirtschaftspolitischen Herausforderungen ist, dass in Ostdeutschland viele Probleme deutlich sichtbarer sind und fortgeschrittener. Offensichtliches Beispiel ist die Demographie, der Arbeitskräftemangel und auch die Probleme in der Rentenversicherung, die sind in Ostdeutschland schon viel sichtbarer und dringender als in Westdeutschland.
Das zweite Thema ist die Gründer-Kultur und die Tatsache, dass die Wirtschaftsdynamik in Deutschland zu gering ist, um mit diesem sehr disruptiven Wandel umgehen zu können. Auch das ist in Ostdeutschland viel sichtbarer.
Insofern ist der Osten ein bisschen ein Laboratorium dafür, wo Westdeutschland noch hinkommt und was wir vielleicht verhindern müssen. Insofern halte ich Ostdeutschland für sehr lehrreich und wichtig für Politiker – sich das anzuschauen, um die Probleme aber gesamtdeutsch zu lösen. Ich bin nicht der Meinung, dass Ostdeutschland andere Lösungen braucht. Das sind eigentlich die gleichen, aber die Probleme sind in Ostdeutschland sehr viel klarer zu sehen.
Also keine Ost-Förderung mehr?
Ich bin nicht der Meinung, dass Ostdeutschland eine spezielle Förderung haben sollte, aus verschiedenen Gründen. Der eine ist, dass ich generell kein Fan zumindest von Einzelsubventionen an Unternehmen bin, weder in Ost- noch in Westdeutschland. Ich halte das für Unsinn.
Ich finde, dass Ostdeutschland raus aus der Opferrolle muss.
Wenn man jedoch meint, Forschung besser zu finanzieren und neue Einrichtungen oder Universitäten zu stärken, dann halte ich das für gut. Ich denke, dass da Ostdeutschland ein besonderer Fall ist, weil öffentliche Mittel hier noch knapper und Hochschulen noch schlechter finanziert sind als im Westen. Es gibt einfach weniger große Unternehmen und darum weniger private Forschung und Entwicklung. Das ist ein besonderer Fall, wo der Osten vielleicht proportional mehr Aufmerksamkeit verdient hätte.
Aber sonst bin ich gegen eine besondere Aufmerksamkeit. Ich bin übrigens auch dafür, den Ost-Beauftragten abzuschaffen, weil ich einfach finde, dass Ostdeutschland raus aus der Opferrolle muss.
Hat weniger Osten in den Wahlprogrammen vielleicht auch mit gescheiterten Ansiedlungen wie bei Intel zu tun – oder damit, dass der Politik mittlerweile auch die Ideen ausgehen?
Ich bin aber der Meinung, dass eine Fabrikansiedlung gar nicht so ein großer Erfolg ist, wie es die Politik gern hätte. Weil es eben so ist, dass Entscheidungen woanders getroffen werden: Über ostdeutsche Arbeitnehmer und Fabriken wird ja weiter im Westen oder im Ausland entschieden. Solange das so ist, ist das kein Quantensprung. Wenn TSMC seine Hauptverwaltung hierher verlegen würde, das wäre eine Sensation. Aber das passiert nicht und so bin ich der Meinung, dass das so gar kein Riesenerfolg ist.
Ungleichheiten zwischen Ost und West bei Einkommen und Vermögen bleiben. Gewöhnen wir uns an 20 Prozent Lohnunterschied?
Ich bin tatsächlich der Meinung, dass die Löhne sich in den nächsten zehn Jahren tatsächlich angleichen werden. Ich glaube nicht, dass wir in zehn Jahren noch so viel Lohnungleichheit haben werden. Das hat einfach damit zu tun, dass die demografische Entwicklung so extrem ist. Und der einzige Weg für Unternehmen in Ostdeutschland, noch Arbeitnehmer zu kriegen, sind höhere Löhne. Der Trend in Richtung Angleichung wird sich verstärken. Da bin ich optimistisch.
Und bei den Vermögen?
Bei Vermögen ist es leider ganz anders. Das fällt nicht leicht, das auszugleichen. Westdeutsche hatten eben Jahrzehnte mehr Zeit zu sparen. Zudem legen Ostdeutsche, obwohl sie weniger Geld haben, das auch noch schlechter an. Hier gibt es eine höhere Risiko-Aversion, weniger Aktien, mehr Sparkonten. Dazu kommt, dass der oft größte Vermögensgegenstand eine eigene Wohnung oder ein Haus ist. Die Wohneigentümer-Quote ist im Osten niedriger, und wenn sie ein Haus haben, ist es oft auch viel weniger wert.
Die Vermögensungleichheit ist wirklich ein großes Problem, denn sie beeinflusst etwa auch Gründungen und ob man bereit ist, hier ein Risiko einzugehen. Wenn ich weiß, ich werde in 20 Jahren noch ordentlich erben, oder wenn ich geerbt habe, bin ich eher bereit, etwas zu wagen. Das hat auch Konsequenzen für die lokale wirtschaftliche Entwicklung und ihre Dynamik.
Würde eine Vermögenssteuer helfen?
Da würden wir zwar den Westdeutschen mehr wegnehmen, aber deswegen den Ostdeutschen nicht mehr geben. Das ist keine Antwort auf diese Vermögensungleichheit, die sicher das am schwersten zu behebende Phänomen nach der Wiedervereinigung ist.
Ich sehe nicht, was eine Regierung wirklich machen könnte. Wir müssen vielleicht mehr Westdeutsche nach Ostdeutschland kriegen. Da sehe ich fast die einzige Möglichkeit. Wir kommen immer wieder zu dem Punkt, dass der Osten attraktiver werden muss für Zuzug, abgesehen von Leipzig und Berlin, vielleicht noch Dresden. Da könnten die Städte vielleicht mehr tun. Aber da helfen natürlich auch 30 Prozent für die AfD nicht.
Was dafür tun – vielleicht auf längere Sicht?
Da können auch Unis viel tun. Wenn Studenten etwa nach Halle oder Rostock kommen, bleibt ein gewisser Prozentsatz immer da, zu wenige vielleicht, aber das heißt: Die Universitäten attraktiver machen, Forschungseinrichtungen, so dass man die Top-Leute auch international anzieht.
Der Ökonom Walter Eucken hatte mal eine "Gesamtrichtung der Wirtschaftspolitik" statt widersprüchliche Maßnahmen gefordert. War im Wahlkampf jetzt so eine "Vision" zu sehen?
Genau das war es, was die Ampel-Regierung komplett hat vermissen lassen: Heizungsgesetz hier, Industriestrompreis da – und so machen wir Klimawende. Das war eine Katastrophe, weil die Ziele im Konflikt stehen. Klimapolitik steht im Konflikt mit niedrigen Energiepreisen. Das ist nicht zu bestreiten. Da muss man also versuchen, ein Gesamtpaket hinzulegen. Das sehe ich bei der überwiegenden Mehrheit aber nicht. Die versuchen, Widersprüche zu verschleiern, statt zu sagen: So gehen wir damit um, das ist unsere Priorität und jetzt wichtiger.
Im Moment wollen es alle immer allen recht machen. Das ist vielleicht auch nötig als politische Partei. Das will ich nicht bestreiten. Ich habe es natürlich leichter, ich muss nicht gewählt werden. Aber ich glaube nicht, dass wir damit mittelfristig Erfolg haben können. Ich hoffe, dass irgendwann Parteien klar sagen, was die Prioritäten sind, was das Gesamtpaket ist: Wer etwas mehr leiden muss, wer profitiert, wie wir das ausgleichen wollen und so weiter. Das würde ich mir wünschen. Diese Gesamtstrategie sehe ich leider nicht.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | "Fakt ist!"-Wahlarena | 12. Februar 2025 | 20:15 Uhr