Wohnungsbau Ostdeutsche Wohnungswirtschaft schlägt Alarm

11. April 2024, 19:05 Uhr

Weniger Mieter, weniger Geld für Neubau, Sanierung und Schulden sind besondere Probleme von Wohnungsunternehmen und Genossenschaften in Ostdeutschland. Sie wollen Hilfe vom Bund, obwohl Bauförderung gerade bei Sozialwohnungen eine Sache der Länder wäre. Am Donnerstag haben die Branche und die Politik beim Wohnungsbau-Tag in Berlin beraten.

Ostdeutsche Wohnungsverbände schlagen Alarm. Eine anstehende zweite Sanierungswelle mit neuen Vorgaben zum Klimaschutz, immer weniger Mieter im ländlichen Raum und noch immer DDR-Altschulden führten Unternehmen und Genossenschaften an den Rand der Wirtschaftlichkeit, hieß es am Dienstag in Leipzig auf einer gemeinsamen Pressekonferenz. Vom Bund wird mehr Unterstützung für soziales Wohnen in Ostdeutschland gefordert.

Zwei Tage später wurden nun Antworten erwartet: In Berlin diskutierte am Donnerstag die gesamtdeutsche Branche beim 15. Wohnungsbau-Tag mit Politikern über die Frage: "Worauf wartet Deutschland" beim Wohnungsbau und warum hält der nicht Schritt mit der wachsenden Nachfrage?

Bei dem Treffen wies die Bundesregierung zwar Forderungen der Wohnungswirtschaft nach neuen Subventionen zurück. Wirtschaftsminister Robert Habeck und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) stellten jedoch andere Entlastungen etwa bei Baustandards und Vorschriften in Aussicht.

Der Grünen-Politiker Habeck sagte vor den Branchenvertretern, die Inflation gehe jetzt zurück, und absehbar sei das auch für die Zinsen zu erwarten. Man müsse nur noch ein ein wenig durchhalten.

Besondere ostdeutsche Situation

Die mehr als 1.000 Unternehmen und Genossenschaften in ostdeutschen Wohnungsverbänden verwalten mehr als 1,75 Millionen Wohnungen, viele davon aus DDR-Wohnungsbeständen übernommen. Ihnen machen wie ihren Kollegen im Westen höhere Zinsen und Preise für Bauland und Bauleistungen zu schaffen. Zugleich aber gibt es hier besondere Herausforderungen.

Man stecke aktuell in einem Dilemma, sagte der Direktor des Verbands norddeutscher Wohnungsunternehmen, Andreas Breitner, bei dem Termin am Dienstag: "Wir wollen keine hohen Mieten." Doch "wir müssen die Mieten weiter erhöhen, wir sind Getriebene", ergänzte Mirjam Philipp vom Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften vor der Presse.

Seit den 1990er-Jahren sind Philipp zufolge allein in Sachsen rund 16 Milliarden Euro in die Bestände investiert worden. Nun aber komme die gleiche Summe mit der jetzt nötigen zweiten Sanierungswelle und dem klimaneutralen Umbau der Wohnungen auf die Unternehmen zu. Hier müsse also weniger für die Förderung von Neubauten getan werden als für die Sanierung bestehender Wohnungen.

Wir brauchen Unterstützung für unsere bestehenden Wohnungen

Jens Zillmann, Verband der Wohnungswirtschaft Sachsen-Anhalt

Ähnlich äußerte sich Jens Zillmann, Direktor des Verbands der Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt: "Unsere ostdeutschen Wohnungen liegen vor allem im Bestand". Die im Ampel-Koalitionsvertrag angestrebten Neubau-Wohnungen seien "eine westdeutsche Zahl", sagte er. Hierzulande brauche es eher Unterstützung zur Erhaltung des Bestands.

Die ostdeutschen Verbände fordern deshalb auch eine höhere Bundesförderung für die Modernisierung von Wohnungen, sagte Alexander Müller, Direktor des Verbands der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft Sachsen, zudem eine Senkung der Mehrwertsteuer, um die explodierten Baukosten zu kompensieren. Es gehe aber nicht nur um Geld, auch um bessere Bedingungen, um Entbürokratisierung und Entschlackung der Bauvorschriften und beschleunigte Bauplanungsverfahren.

Migration als Chance für den Osten

Die Verbände sehen dabei auch Migration als Chance für den ländlichen Raum im Osten. "Migration wirkt sich positiv gegen unseren Leerstand aus", sagte etwa Breitner. Dabei gehe es aber nicht nur um Wohnungen, es brauche auch Arbeitsplätze und Integration, meinte Müller aus Sachsen.

Maren Kern vom Verband der Wohnungsunternehmen in Berlin und Brandenburg verlangte schnellere Verfahren für geflüchtete Menschen: Integration sei wichtig und in der Regel gelinge die am Arbeitsplatz.

Immer weniger Sozialwohnungen

Ein wesentlicher Teil des ganzen Problems ist auch die sinkende Zahl von Sozialwohnungen – Mietwohnungen also, deren Preise nach der öffentlichen Förderung ihres Neubaus für eine bestimmte Zeit an eine bestimmte Miet-Höhe gebunden sind und laut Wohnraumfördergesetz (WoFG) auch nur an Menschen mit geringeren Einkommen vergeben werden dürfen.

Um 1990 gab es etwa 2,9 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Im Jahr 2006 waren es nach Angaben der Bundesregierung noch etwas mehr als zwei Millionen, Ende 2022 aber nur noch knapp über eine Million.

Seit der Föderalismusreform 2006 sind nun die Länder für den Bau von Sozialwohnungen zuständig. Der Bund gibt ihnen dafür zwar Milliarden. Da im Schnitt aber nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) jedes Jahr etwa 40.000 Wohnungen aus der sozialen Bindung fallen und das deutlich mehr sind, als neu gebaut werden, sinkt ihre Zahl immer weiter.

In Sachsen waren es nach offiziellen Angaben 2022 noch 12.541, was etwa drei pro 1.000 Einwohner sind. Für Sachsen-Anhalt wurden zur selben Zeit nur noch 5.070 angegeben, gerade noch etwa zwei Promille. Am besten sah es im mitteldeutschen Vergleich 2022 Thüringen aus mit 12.725 Sozialwohnungen, eine Quote von ungefähr sechs pro 1.000 Einwohner.

Das sind die Herausforderungen im Osten

Auch wenn kommunale Vertreter wie der CDU-Landrat im Kreis Mansfeld-Südharz in Sachsen-Anhalt, André Schröder, den düsteren Prognosen eines drastischen Bevölkerungsrückgangs bis 2040 nicht folgen, dürften sie den Neubau von Wohnungen und Sozialwohnungen in einigen Regionen stören, da solche Erwartungen die Investitionsbereitschaft senken.

Dabei sieht auch das IW das politische Ziel von jährlich 100.000 neuen Sozialwohnungen kritisch, da es nicht empirisch begründet sei, ein konkreter Bedarf sei nicht quantifizierbar und bestenfalls regional differenziert zu prüfen. Dabei sind die regionalen Unterschiede nicht nur beim Bedarf groß. Es gibt auch besondere Bedingungen, wie eben in Ostdeutschland:

1. Bevölkerungsrückgang und Leerstand

Nach Angaben der Verbände gibt es besonders im Osten abseits der Metropolen immer weniger Mieter. Gravierend sei die Situation in Sachsen-Anhalt. "Derzeit stehen bei uns 32.000 Wohnungen leer", sagte Jens Zillmann vom Verband der Wohnungswirtschaft in Sachsen-Anhalt. Die demografische Entwicklung stelle besonders viele Klein- und Mittelstädte vor immense Herausforderungen und sei exemplarisch für Ostdeutschland.

Matthias Kuplich, Direktor des Verbands der Wohnungsgenossenschaften Sachsen-Anhalt spricht von einem "strukturellen Leerstand, der sich immer noch aus den Systemumbrüchen ableiten lässt". Man habe seit der Wende 95.000 Wohnungen vom Markt genommen und der Leerstand sich bei zehn Prozent eingepegelt, auch wenn es etwa in Dessau-Rosslau rund 20 Prozent seien. "Wir brauchen eine demographiegerechte Stärkung der Bestände", sagte er und meint einen seniorengerechten Umbau vieler Wohnungen.

Kuplich sagt allerdings auch: "Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass manche Wohnungen einfach dauerhaft leer bleiben", denn laut Prognosen werde die ostdeutsche Bevölkerung weiter schrumpfen.

2. Zweite Sanierungswelle mit neuen Anforderungen

Viele Wohnungen, vor allem in ostdeutschen Neubaugebieten sind in den 1990er-Jahren grundlegend saniert worden. Nach etwa 30 Jahren komme jetzt eine zweite Sanierungswelle, sagt Mirjam Philipp vom Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften: "Gleichzeitig müssen wir bis 2045 klimaneutral werden. Das sind alles Kosten, die nur durch die Mieten refinanziert werden können." Dazu kämen höhere Betriebskosten, kommunale Wärmeplanung, CO2-Kosten und Altschulden. "Sozial orientierte Wohnungswirtschaft will aber keine hohen Preise", so Philipp: "Wir brauchen die Unterstützung der Politik."

Allein die Instandhaltung fresse etwa 30 Prozent der Mieteinnahmen auf. Rund 351 Millionen Euro seien in Sachsen 2023 in die Instandhaltung der Genossenschaftswohnungen geflossen. Die Baukosten seien "verheerend", sagte Philipp. Hinzu kämen hohe Tilgungskosten durch Altschulden. Übrig blieben als Gewinn nur zwei Cent pro Quadratmeter.

Eine große Herausforderung sei auch die klimagerechte Sanierung, sagte Maren Kern vom Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen, zumal diese Investitionen allein über Förderung und Mieten refinanzierbar seien. Das könne zu einer Verdopplung der Mieten oder der Schulden führen, was sich in etwa auch auf die anderen Ost-Bundesländer übertragen lasse.

Auch Alexander Müller von der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Sachsen sieht die Altschulden als Hemmnis bei der energetischen Sanierung: "Es fällt schwer, bei den Fakten nicht in eine Depression zu verfallen."

3. Altschulden noch immer nicht abgetragen

Altschulden sind ein besonderes Ost-Problem. Ihre Tilgung verschlingt laut Alexander Müller von der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Sachsen rund 30 Prozent der Miet-Einnahmen, ein "Architekturfehler der Einheit": Die Schulden der DDR-Genossenschaften beim Staat wurden damals auf die neuen Genossenschaften und kommunalen Wohnungsbauträger übertragen, die dadurch mit einem Schuldenberg in die neue Zeit starten mussten.

Müller sagt dazu, die Verbindlichkeiten seien damals "völlig willkürlich" und "per Gießkanne je Quadratmeter vorhandener Wohnfläche verteilt" worden. Es habe zwar Hilfen gegeben, teilweise aber geknüpft an "kontrapoduktive Bedingungen" wie den Verkauf kommunaler Wohnungen. Diese Schulden seien eine weitere und anhaltende Belastung, die jedoch "weitgehend aus dem Fokus der Politik und Öffentlichkeit verschwunden ist".

Diese Gemengelage macht es zumindest den kommunalen ostdeutschen Wohnungsbauträgern schwer, handlungsfähig zu bleiben – im Neubau wie auch bei der Sanierung oder auch nur der Erhaltung ihres Bestands.

Auch darum wird erwartet, dass bis Ende 2024 bei rund 43 Millionen Wohnungen insgesamt die Zahl der Sozialwohnungen unter eine Million fallen könnte und bis 2035 nach IW-Berechnungen auf rund 554.000 weiter.

Den Experten zufolge funktioniert sozialer Wohnungsbau nur, wenn die Förderbedingungen wirklich gut sind. Gefragt ist also der Staat. Nach dem Wohnungsbau-Tag vor einem Jahr, einem Gipfel im Kanzleramt im September und einem 14-Punkte-Plan der Ampel-Koalition hat sich an der Grundfrage aber nichts geändert: Wann kommt der "Wohnungsbau-Wumms?"

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