Ein Wohnblock der WBG Südharz in der Bochumer Straße in Nordhausen
Ein Wohnblock der WBG Südharz in Nordhausen. Den Leerstand konnte die Wohnungsbaugenossenschaft durch neu an Geflüchtete vermietete Wohnungene halbieren. Bildrechte: WBG Südharz

Trend gestoppt Thüringer Wohnungsbranche senkt Leerstand durch Vermietung an Flüchtlinge

13. März 2024, 18:04 Uhr

Thüringer Wohnungsunternehmen vermieten tausende Wohnungen an Flüchtlinge. Damit konnte der seit Jahren steigende Leerstand außerhalb von Erfurt, Weimar und Jena zumindest vorübergehend gestoppt werden. Manchmal profitieren davon auch alteingesessene Mieter. Nur bei einem Punkt gehen die Meinungen bei zwei Chefs von Wohnungsunternehmen auseinander.

Zehntausende Flüchtlinge kamen im Jahr 2022 nach Thüringen. Die Kommunen suchen seitdem händeringend Unterbringungsmöglichkeiten und nach Hilfe von Land und Bund. Die Landesregierung kämpfte bis heute damit, die Geflüchteten in den Erstaufnahmen des Landes angemessen unterzubringen. In dieser Situation sprangen Wohnungsunternehmen ein und vermieteten Tausende Wohnungen an Flüchtlinge - und konnten damit den jahrelangen Trend von immer mehr leer stehenden Wohnungen in Thüringen zumindest zeitweise stoppen.

Tausende Wohnungen würden in Thüringen sonst leer stehen

Allein in dem Jahr, als der Krieg Russlands gegen die Ukraine begann, habe die Thüringer Wohnungsbranche knapp 5.000 Wohnungen an Flüchtlinge vermietet, sagt Frank Emrich, Direktor des Verbandes der Thüringer Wohnungswirtschaft VTW, der über 220 Unternehmen vertritt. So konnten im Jahr 2022 rund 2.500 Wohnungen zusätzlich vermietet werden. Diese hätten sonst leer gestanden. Auch im vergangenen Jahr wurden nach seinem Überblick noch einmal bis zu 400 sonst leer stehende Wohnungen vermietet. Emrich hebt dabei hervor, dass die neuen Mieter keinem anderen eine Wohnung wegnehmen.

Frank Emrich, Vorstand Thüringer Wohnungs- und Immobilenwirtschaft e.V. (VTW)
Frank Emrich vom Verband der Thüringer Wohnungs- und Immobilienwirtschaft: "Wir haben von der Nachfrage nach Wohnungen von Flüchtlingen profitiert". Bildrechte: MDR/Andreas Kehrer

Von den neu vermieteten Wohnungen profitieren vor allem Thüringer Wohnungsgesellschaften außerhalb von Erfurt, Jena und Weimar. Der Leerstand wäre in diesen Regionen sonst wie in den fast zehn Jahren zuvor weiter gestiegen, ist sich der Wohnungsexperte sicher. Denn ohne die Flüchtlinge schrumpft Thüringens Bevölkerungszahl. Für den Wohnungsexperten steht fest: "Wir haben von der Nachfrage nach Wohnungen von Flüchtlingen profitiert." Denn leer stehende Wohnungen bedeuten für Vermieter nicht nur höhere Kosten, sondern auch weniger Einnahmen.

Wann erhalten Flüchtlinge in Thüringen eine eigene Wohnung? Ukrainer erhalten nach ihrer Registrierung in Deutschland eine zweijährige Aufenthaltserlaubnis, können damit Bürgergeld beantragen und können sich eine private Wohnung suchen.

Geflüchtete aus anderen Ländern müssen erst in einer Erstaufnahme des Landes leben und sich registrieren lassen. Danach werden sie an die Kreise / kreisfreien Städte übergeben, die sie in einer Gemeinschaftsunterkunft oder einer privaten Wohnung unterbringen.

Diesen Trend bestätigt auch die Wohnungsbaugenossenschaft Südharz aus Nordhausen (WBG): "Es ist definitiv so, dass wir durch die Vermietung an Flüchtlinge wirtschaftliche Vorteile erzielt haben", sagte Sven Dörmann, einer der beiden WBG-Vorstände. Aber er ergänzt: "Aber es muss auch richtig gemacht werden". Mit 7.000 Wohnungen ist die WBG der größte Vermieter in Nordthüringen.

Größter Vermieter in Nordthüringen halbiert Leerstand

Fünf Prozent aller WBG-Mieter, das sind rund 330 Menschen, kommen aktuell aus der Ukraine. Durch die geflüchteten Menschen konnte der Leerstand von rund sechs auf nun etwa drei Prozent halbiert werden. Ein großer Erfolg für die Wohnungsbaugenossenschaft. Doch das hat auch eine Vorgeschichte. Der langjährige Vorstand Dörmann kann inzwischen auf eine große Erfahrung bei der Vergabe von Wohnungen an Geflüchtete und Studierende verweisen.

Seit 2015 seien Wohnungen an Menschen aus über 40 Nationen vermietet worden. Mit den neuen Mietern konnte der Einbruch bei der Zahl der dort früher lebenden Studierenden infolge der Corona-Pandemie aufgefangen werden. Und zudem konnte laut Dörmann eine Mieterhöhung für einen Großteil der Südharz-Mieter um ein Jahr verschoben werden. Diese wird zwar gerade vorbereitet, sollte aber eigentlich schon im vergangenen Jahr umgesetzt werden.

Auch die Städtische Wohnungsgesellschaft Altenburg mbH (SWG) kämpft seit Jahren mit einem hohen Leerstand. Sie vermietete Ende Februar sogar 15 Prozent, das sind etwa 490 aller Wohnungen, an Flüchtlinge - zu fast der Hälfte an Ukrainer. Die Zahl leer stehender Wohnungen verringerte sich auch aus diesem Grund bei der SWG in den vergangenen Jahren deutlich. Trotzdem: Weiterhin ist etwa jede siebte Wohnung nicht vermietet.

Lutz Schneevoigt, Geschäftsführer der Städtische Wohnungsgesellschaft Altenburg (SWG)
Lutz Schneevoigt, Geschäftsführer der Städtischen Wohnungsgesellschaft Altenburg (SWG). Etwa jede siebte Wohnung ist an Geflüchtete vermietet. Bildrechte: SWG Altenburg

Wohnungsgesellschaft Altenburg richtet jahrelang unbewohnte Wohnungen wieder her

Dabei stehe der SWG durch die zusätzlichen Einnahmen jedoch nicht mehr Geld für Investitionen bereit, erklärt Geschäftsführer Lutz Schneevoigt. Denn neben den hohen Baukosten standen die bereitgestellten Wohnungen zuvor oft schon viele Jahre leer und mussten zunächst umfangreich hergerichtet werden. Dies erhöhte die Ausgaben und verhinderte auch, dass kurzfristig noch mehr Wohnungen belegt werden konnten. "Trotzdem, wir machen das gern", sagt Schneevoigt.

Wenig soziale Konflikte, aber auch nur wenige arbeiten

Doch wie geht es nun weiter? Sven Dörmann von der Nordhäuser WBG wünscht sich natürlich, dass in der Ukraine endlich wieder Frieden herrscht und Ukrainer zurückkehren können. Trotzdem hofft er aber auch, "dass so viele Ukrainer wie möglich bleiben". Damit könne der Bevölkerungsrückgang in der Region ein Stück weit aufgefangen werden. Lutz Schneevoigt in Altenburg sieht dies ähnlich. Auch wenn die Geflüchteten oft mehrere Jahre in den Wohnungen leben: "Das Risiko bleibt. Keiner weiß, wie lange sie bleiben."

Wie die Nordhäuser WBG geflüchtete Mieter 2015 und 2016 integriert hat In Nordhausen hatte die WBG bereits 2015/2016 rund 100 Wohnungen für 300 Flüchtlinge bereitgestellt, die das Landratsamt dann untervermietet hatte. Damals gab es teils größere Probleme mit den neuen Mietern.

Daraufhin wurden Sozialarbeiter und ein Wachdienst eingestellt und die Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Afghanistan konnten auf freiwilliger Basis und unterstützt von der Genossenschaft selbst malern, Müll aus Treppenhäusern und von Spielplätzen beseitigen. "Da war die Kritik der anderen Mieter schnell verstummt", berichtet WBG-Vorstand Dörmann.

Damit sich die Neuen besser integrieren, achtet die Nordhäuser WBG darauf, dass die Geflüchteten vor dem Einzug zumindest einfache Deutschkenntnisse besitzen. "Wenn man sich nicht verständlich machen kann, entsteht Unfrieden oder ein sozialer Konflikt", erklärt Dörmann. Die neuen Mieter sollen sich bei Problemen selbst ausdrücken können. Grundsätzlich gebe es keine größeren Probleme als mit den alteingesessenen Mietern. Und in Altenburg sieht auch Lutz Schneevoigt keine größeren Unstimmigkeiten.

Probleme wie Mülltrennung, Hausreinigung, Lärm träten bei allen Nationalitäten gleich auf. Wichtige Informationen wie zur Mülltrennung gibt es daher in mehreren Sprachen. Und bei der Integration verweist er in Altenburg auf ein umfangreiches Netz an ehrenamtlicher Hilfe. Im täglichen Miteinander würden Übersetzungs-Apps gut funktionieren. "Nach individuellen, kurzen Anlaufschwierigkeiten funktioniert das generell recht gut", schätzt Schneevoigt ein.

Das bestätigt auch Frank Emrich für die Thüringer Wohnungsbranche insgesamt. Die Aufnahme und Integration von ukrainischen Flüchtlingen, vorwiegend Frauen mit Kindern oder Älteren, laufe besser als erwartet. Teils würden sie auf ukrainische Netzwerke vor Ort zurückgreifen, teils organisierten sie sich selbst. Das ist laut Emrich bei den eher allein reisenden jungen Männern etwa aus dem Nahen Osten oft anders. Er verweist auf Lautstärke, Schlafzeiten, aber auch auf Müll. Das könne zu sozialen Konflikten und Mehraufwand auch bei den Vermietern führen.

Sven Dörmann
Sven Dörmann ist einer der beiden Vorstände der WBG Südharz aus Nordhausen. Durch die höheren Einnahmen konnte eine geplante Mieterhöhung verschoben werden. Bildrechte: WBG Südharz

Wie hoch sind die Ausgaben für Miete an Flüchtlinge bei Jobcentern? In Gera zahlte das Jobcenter 2023 pro Monat im Schnitt 320.000 Euro für Mietkosten an Flüchtlinge mit Bürgergeld aus den acht wichtigsten Herkunftsländern. Gut 336.000 Euro Miete gab es für Flüchtlinge aus der Ukraine, die Bürgergeld erhalten haben. Insgesamt gab das Jobcenter im Vorjahr pro Monat gut 2,1 Millionen Euro an Mietkosten für alle Bürgergeld-Empfänger aus.

Im Altenburger Land zahlte das Jobcenter 2023 pro Monat im Schnitt 148.000 Euro an Miete für Flüchtlinge mit Bürgergeld aus den acht wichtigsten Herkunftsländern und 170.000 Euro an Flüchtlinge aus der Ukraine, die Bürgergeld erhalten haben. Insgesamt gab das Jobcenter im Vorjahr pro Monat gut 1,4 Millionen Euro an Mietkosten für alle Bürgergeld-Empfänger aus.

Die Zahlen gelten von Januar bis November 2023. Für Dezember liegen noch keine Zahlen vor. Die acht wichtigsten Herkunftsländer von Flüchtlingen waren im Vorjahr Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia und Syrien.

Doch bei einem Punkt gehen die Erfahrungen der beiden Chefs der Wohnungsunternehmen in Nordhausen und Altenburg auseinander. Bei der SWG berichtet Lutz Schneevoigt, dass viele der Ukrainer arbeiten wollten. Nur bleibe die Sprache oft das Problem. Dagegen sieht Sven Dörmann dies als Problem bei den in der WBG wohnenden Ukrainern: "Traurig ist, dass so wenige arbeiten".

Als Grund sieht er das Bürgergeld, "das alles bezahlt." So gebe es seiner Meinung nach zu wenig Anreiz, dass sich die Geflüchteten einen Job suchen. Die Geflüchteten hätten sogar manchmal Angst, dass sie bei einer eigenen Arbeit nicht genug verdienen, um etwa eine Nachzahlung für Heizkosten bezahlen zu können. "Doch eine Arbeit ist einfach die beste Integration." Der Erfolg von Initiativen, die Ukrainer in Jobs zu vermitteln, sei leider bislang sehr überschaubar: Nur drei Mal habe es bisher geklappt.

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MDR (rom)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 13. März 2024 | 12:00 Uhr

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