Ein junger Mann hebt seine geballte Faust
Rassistische und antisemitische Gewalt hat in Deutschland zugenommen. Bildrechte: picture alliance / Karl-Josef Hildenbrand/dpa

Politisch motivierte Angriffe Deutliche Zunahme bei rassistischer und antisemitischer Gewalt

21. Mai 2024, 22:34 Uhr

Opferberatungsstellen in Deutschland haben einen deutlichen Anstieg rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt registriert. Rassismus ist dabei ein dominantes Motiv ‒ auch in den mitteldeutschen Bundesländern.

Die Opferberatungsstellen in Deutschland haben im vergangenen Jahr eine deutliche Zunahme rechter, rassistischer und antisemitisch motivierter Gewalt verzeichnet. Der Verband der Beratungsstellen (VBRG) registrierte für 2023 insgesamt 2.589 derartige Angriffe - gut ein Fünftel mehr als im Vorjahr, wie aus der in Berlin vorgestellten Jahresbilanz hervorgeht. In der Statistik sind allerdings nur elf von 16 Bundesländern berücksichtigt; nicht alle Länder stellten laut VBRG entsprechende Zahlen zur Verfügung.

Von den 2.589 politisch rechts motivierten Angriffen waren laut Opferberatungsstellen insgesamt 3.384 Menschen betroffen. Rassismus sei bei mehr als der Hälfte der Fälle das dominante Tatmotiv gewesen. Bei antisemitisch motivierten Angriffen habe es einen "alarmierenden Anstieg" um ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr gegeben. 

VBRG-Vorstandsmitglied Judith Porath sprach von einer deutlichen Zunahme antisemitische motivierter Angriffe seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober.

Beratungsstellen alarmiert

Die Beratungsstellen zeigten sich besorgt über die Entwicklung. "Der Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Jahr 2023 hat zu einer dramatischen Ausweitung der Gefahrenzonen für viele Menschen geführt", sagte Porath. "Eine vielerorts unerträgliche Normalisierung von Antisemitismus, Rassismus und extrem rechter Ideologien belastet und verändert den Alltag sehr vieler Betroffener."

Gedenkstätten-Direktor berichtet von Hass und Hetze

Der Direktor der Gedenkstätten an den beiden früheren nationalsozialistischen Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora, Jens-Christian Wagner, erklärte: "Wir werden seit Jahren mit Hetze und Hass aus dem rechtsextremen Milieu, aber auch aus der AfD und ihrem Vorfeld konfrontiert." Er berichtete von Hassmails, Schreiben, Beschimpfungen am Telefon, Störungen bei Führungen, rechtsextremen Schmierereien oder abgesägten Gedenkbäumen. Es entstehe ein Klima, dem aus den Parlamenten heraus "eine gewisse Legitimität" gegeben werde, durch Hetze gegen Erinnerungskultur und die Abwertung der Arbeit der Gedenkstätten als "Schuldkult". Rechtsextremisten fühlten sich dadurch zur Begehung von Gewalttaten ermutigt.

Meiste Angriffe in Berlin

In die Jahresstatistik des Verbands flossen Angaben aus den fünf ostdeutschen Bundesländern sowie aus Bayern, Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein ein. Die Entwicklung in den einzelnen Ländern war demnach uneinheitlich, vor allem in Brandenburg und Sachsen-Anhalt sei die rechte Gewalt 2023 deutlich gestiegen.

Gemessen an der Einwohnerzahl wurden die meisten rechten Gewalttaten in Berlin (8,20 pro 100.000 Einwohner), Sachsen-Anhalt (6,6 pro 100.000 Einwohner), Brandenburg und Hamburg (jeweils 5,2 pro 100.000 Einwohner) registriert - die wenigsten in Bayern (0,8 pro 100.000 Einwohner) und Baden-Württemberg (0,5 pro 100.000 Einwohner).

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen

In Sachsen verzeichneten Opferberatungsstellen vergangenes Jahr 248 rechtsmotivierte Angriffe, von denen 380 Personen betroffen waren. Demnach wurden sechs antisemitische Angriffe in Sachsen gezählt - drei davon standen im Zusammenhang mit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel.

In Sachsen-Anhalt registrierte die Mobile Opferberatung 233 politisch rechts motivierte Angriffe. Betroffen seien davon 332 Menschen gewesen. In fast drei Viertel der Angriffe sei Rassismus das Tatmotiv gewesen. 20 antisemitische Angriffe hätten 22 Personen direkt betroffen.

Die Gewaltopferberatungsstelle ezra zählte in ihrer Statistik 147 Fälle in Thüringen, die 291 Menschen betrafen. Rassismus war demnach in 85 Fällen Tatmotiv und damit das häufigste Motiv.

Mehr politisch motivierte Straftaten

Auch die Gesamtzahl politisch motivierter Straftaten ist 2023 erneut angestiegen. 60.028 Fälle wurden registriert, wie aus der von Bundesinnenministerin Nancy Faeser und dem Präsidenten des Bundeskriminalamts, Holger Münch, präsentierten Statistik hervorgeht. Die meisten dieser Straftaten sind dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen, hier stiegen die Fälle um mehr als 23 Prozent. Um rund elf Prozent nahm dagegen die Zahl linksextrem motivierter Straftaten zu. Auch die Fälle in den Kategorien "ausländische Ideologie" und "religiöse Ideologie" stiegen laut der Statistik an. Einen Rückgang gab es in der Rubrik "sonstige Zuordnung" - in dieser Kategorie registrieren die Behörden vorwiegend Straftaten im Kontext der Proteste gegen die Corona-Maßnahmen.

Gründe für den Anstieg der politisch motivierten Straftaten sehen die Behörden auch in den Kriegen in der Ukraine und dem Nahen Osten. Der 7. Oktober sei für Jüdinnen und Juden eine tiefe Zäsur gewesen, sagte Faeser. Antisemitische Straftaten haben sich gegenüber dem Vorjahr fast verdoppelt. Der massive Anstieg ist laut den Behörden vor allem auf die Zunahme der Fälle nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zurückzuführen.

afp, dpa, kna, epd (lik)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 21. Mai 2024 | 16:30 Uhr

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