Ein Verkehrsteilnehmer (r) zieht bei einer Blockade der Letzten Generation auf der Autobahn 100 eine Aktivistin von der Straße.
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Soziologe Nils Kumkar "Letzte Generation" – Schreckgespenst des Klimaschutzes

08. Dezember 2023, 14:36 Uhr

In der Debatte rund um die Klimakrise führte auch 2023 kein Weg an der "Letzten Generation" vorbei. Prägend war dabei vor allem die einhellige Verurteilung der Klimaschutzgruppe, die sich von links nach rechts durch Gesellschaft und Politik zieht. Soziologe Nils Kumkar erklärt im Interview mit MDR AKTUELL, woher diese Ablehnung kommt und was sie über uns aussagt.

MDR AKTUELL: Was hat in diesem Jahr die öffentliche Debatte rund um die Klimakrise geprägt?

Nils Kumkar
Soziologe Nils Kumkar beschäftigt sich schon seit ihrer Gründung mit der "Letzten Generation". Bildrechte: Falk Weiss

Nils C. Kumkar: 2023 hat man sich politisch und medial vor allem lang und breit gefragt, ob sich die Klimabewegung radikalisiert. Und verhandelt wurde diese Frage am Beispiel der "Letzten Generation". Die Gruppe war 2022 schon im Fokus und das hat sich in diesem Jahr fortgesetzt.

Nils C. Kumkar Nils C. Kumkar ist Soziologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am SOCIUM der Universität Bremen. Der 38-Jährige forscht zu sozialer Ungleichheit, Kommunikation und politischem Protest. Im letzten Jahr erschien sein Buch "Alternative Fakten: Zur Praxis der kommunikativen Erkenntnisverweigerung" in der edition Suhrkamp.

Und welches Urteil wurde von der Öffentlichkeit über die Letzte Generation gefällt?

Das kommt zwar immer darauf an, wen man fragt, bei der "Letzten Generation" aber viel weniger als sonst. In der Politik ist man sich ziemlich einig: Von den Grünen bis zur FDP wird betont, dass die Aktionen der "Letzten Generation" illegitim seien. Und dabei wird vor allem immer wieder unterstrichen, dass die "Letzte Generation" dem Klimaschutz einen Bärendienst erweisen würde.

Und es ist fast schon amüsant zu beobachten, wie viele Leute mit der Entstehung der "Letzen Generation" ihre Liebe zu "Fridays for Future" entdeckt haben. Das sind die Gleichen, die sich vorher übers Schule-schwänzen empört haben. Auch damals hieß es schon, das schade dem Anliegen.

Wie kommt es, dass man sich da politisch so einig ist?

Ein wichtiger Punkt ist wohl, dass die Partei, die sich selbst den Klimaschutz besonders stark auf die Fahnen geschrieben hat, Teil der Regierung ist. Wären die Grünen noch in der Opposition, würden sie vermutlich die Forderungen der "Letzten Generation" aufgreifen und damit die Regierung unter Druck setzen. Aber als Teil der Regierung gewinnen sie ja nichts damit, anzuerkennen, dass nicht genug für den Klimaschutz getan wird.

Wie sie eben schon angedeutet haben, wird der Letzten Generation gern vorgeworfen, dass sie dem Klimaschutz schade. Ist das so? Erweist die Letzte Generation dem Klimaschutz einen Bärendienst?

Also tatsächlich haben wir sehr wenig Anzeichen dafür, dass der Protest der Letzten Generation dem Klimaschutz schadet. Die Zustimmung der Bevölkerung zu Klimaschutzmaßnahmen hat sich über diesen Zeitraum nicht merklich verändert. Und zumindest nicht so, dass man einen Zusammenhang zu den Aktionen der letzten Generation herstellen könnte.

Dabei werden die Aktionen der Letzten Generation von der Gesellschaft mehrheitlich abgelehnt.

Ja. Da ist aber historisch bei den meisten sozialen Bewegungen so, sobald sie Protestformen nutzen, die illegal bzw. dem zivilen Ungehorsam zuzuordnen sind.

Wenn die Letzte Generation aber von einer breiten Mehrheit in der Gesellschaft abgelehnt wird, wie politisch wirksam kann sie dann überhaupt sein? Um die Politik zum Handeln bringen, braucht es ja eigentlich auch Druck aus der Bevölkerung.

Ja, wenn es der "Letzten Generation" darum ginge, Mehrheiten für sich zu organisieren, dann wäre ihr Vorgehen wahnsinnig unproduktiv. Wenn es aber darum geht, Aufmerksamkeit zu erregen, dann sind diese spektakulären Aktionen zumindest in dieser Hinsicht sehr effizient.

Polizeikräfte lösen einen Aktivisten von der Straße. Am Dienstag fanden erneut Protestaktionen der Klima-Aktivisten der Letzten Generation in Berlin statt. 1 min
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Dabei wird aber gern kritisiert, dass es die falsche Aufmerksamkeit ist – für den Protest, anstatt für den Klimaschutz. Warum wird sich so an den Protestformen der Letzten Generation festgebissen?

Zwei Klimaaktivistinnen bemalen das Brandenburger Tor mit oranger Farbe.
Die "Letzte Generation" hat 2023 zahlreiche Gebäude und Sehenswürdigkeiten mit oranger Farbe beschmiert, darunter auch das Brandenburger Tor. Bildrechte: picture alliance/dpa | Annette Riedl

Weil es die Aktionen der "Letzten Generation" leichtmachen, sich über sie zu empören. Zum einen weil sie kein spezifisches Ziel haben. Diese Verkehrsblockaden zum Beispiel sind zwar eindeutig symbolisch, aber symbolisch auch ziemlich diffus. Sie treffen sowohl konkret als auch bildlich  ganz normale Leute und das macht es leicht, daraus Schlagzeilen a la "Letzte Generation nimmt Bevölkerung als Geisel" zu generieren.

Der andere Aspekt ist, dass die "Letzte Generation" ja selbst immer wieder sagt, sie machen das so lange, bis etwas passiert. Das suggeriert, dass über den Druck auf die Bevölkerung Druck auf die Politik aufgebaut wird, der diese zum Handeln bringen könnte. Und da muss man dann wohl damit rechnen, dass es heißt, das sei Erpressung.

Nun kann man ja diese Art von Protest ablehnen und trotzdem für Klimaschutz sein. Es scheint aber als schlüge die Ablehnung der Letzten Generation bei manchen Menschen in Trotz, ja in ein Jetzt-erst-recht um. Warum?

Diese Trotz-Reaktionen haben nach meiner Einschätzung damit zu tun, dass der Klimawandel so ein schwieriges Thema ist. Da ist dieses Wissen, dass der menschengemachte Klimawandel real ist und eine Verhaltensänderung von uns fordert. Das weiß eigentlich jeder, die Frage ist dann nur, wer "uns" ist. Gleichzeitig ist das Problem nämlich so global, dass der Einzelne völlig richtigerweise annimmt, dass das, was er tut, keinen großen Unterschied macht.

Es wird den Menschen also etwas zugemutet, was sie gefühlt gar nicht leisten können und worauf sie vielleicht auch einfach keine Lust haben. Um sich aus diesem Dilemma zu befreien, kommt es ganz recht, wenn man sich über die Art des Protests empören und sagen kann: "Na so erst recht nicht."

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Sie haben in einem Essay geschrieben, dass sich in der Gesellschaft eine "Moralpanik" gegenüber der "Letzten Generation" entwickelt. Was meinen Sie damit?

Eine Moralpanik ist im Prinzip ein selbstverstärkender Zyklus öffentlicher Aufregung über ein Thema. Klassischerweise fängt es damit an, dass es einzelne Berichte über von der Norm abweichendes Verhalten gibt, das Sorgen machen sollte. Dann entsteht verstärkte Aufmerksamkeit für das Thema. Dadurch häufen sich wiederum die Berichte. Und in dem Moment, wo sich die Berichte häufen, entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, die Situation eskaliert.

Im nächsten Schritt wird aus dem problematischen Verhalten einer abgegrenzten Gruppe der Zerfall der gesamten Gesellschaft abgeleitet. Dann wird danach gerufen, mit staatlichen Maßnahmen wieder Ordnung herzustellen, es werden vielleicht sogar neue Gesetze erlassen und irgendwann flaut die Panik wieder ab.

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Hängt die verstärkte strafrechtliche Verfolgung der Letzen Generation damit zusammen?

Bei Moralpaniken ist das öfter so – für den Gegenstand der Panik gibt es irgendwann juristische Konsequenzen, weil sich die Gesetzgeber und die Institutionen der Strafverfolgung unter Druck gesetzt sehen. In den Massenmedien zirkuliert der Verdacht, bei der "Letzten Generation" gäbe es eine gefährliche Radikalisierung. Durch die Kriminalisierung der "Letzten Generation" ist er schließlich scheinbar bestätigt worden.

Gleichzeitig war das aber auch der Punkt, an dem zum ersten Mal die Frage gestellt wurde, ob die Verfolgung der "Letzten Generation" nicht ein Stück zu weit geht. Nach meinem Gefühl, hat das erstmal die Luft aus dieser Radikalisierungs-Panik gelassen. Das hängt aber sicher auch damit zusammen, dass andere Themen gerade einfach drängender sind. Man kann nur begrenzt viele moralische Sorgen über den Zustand der Bevölkerung gleichzeitig haben.

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Wie macht man denn jetzt von hier aus weiter?

Ich glaube, die Berichterstattung ist weniger eindimensional geworden. Klar, es gibt immer noch reißerische Schlagzeilen. Es verkauft sich eben gut, wenn man die Klimabewegung kritisieren kann, wenn man da Skandale aufdecken kann. Aber es wird inzwischen sehr viel häufiger die Frage gestellt, warum wir eigentlich so wenig über den Klimawandel und so viel über die Klimabewegung sprechen. Es wird mehr darüber reflektiert, warum eigentlich was wie zum Thema gemacht wird, und das ist realistischer Weise fast alles, was Medienberichterstattung in dieser Hinsicht leisten kann. Der Rest ist eben eine politische Frage.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 08. Dezember 2023 | 12:17 Uhr

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