Werbeplakat für die Grippe-Imfpung
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufgaben kümmert sich um viele Belange - auch um Informationen rund um die Grippeschutzimpfung oder darum, dass es genug Organspendeausweise gibt. Bildrechte: picture alliance / Snowfield Photography | Snowfield Photography

Gesundheitswesen BZgA wird BIÖG – Kritik an Lauterbachs Alleingang

13. Februar 2025, 12:18 Uhr

Politischer Alleingang: Zehn Tage vor der Bundestagswahl hat Gesundheitsminister Lauterbach Tatsachen geschaffen. Er benennt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung per Erlass um. Sein Gesetz dazu hatte es nicht mehr durch den Bundestag geschafft. Die Belegschaften von gleich zwei Bundesbehörden sind geschockt: Auch das Robert Koch-Institut (RKI) ist betroffen – hier droht eine Zerschlagung. Die Union ist empört.

Seit Donnerstag gibt es in Deutschland ein Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat die bisherige Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) umbenannt. Betroffen ist auch das Robert Koch-Institut (RKI). Dort fürchten die Mitarbeiter eine Zerschlagung. Zugleich brüskiert er die Opposition, denn er schlägt Pflöcke ein, mit denen alle künftigen Gesundheitsministerinnen umgehen müssen.

Von einem Schlag ins Gesicht der der BZgA- und RKI-Mitarbeiter spricht Tino Sorge, Unions-Politiker aus Magdeburg, und von einem Schritt, der der Bedeutung der Sache nicht gerecht werde. Sorge ist gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU. Lauterbach wolle auf den letzten Metern am Parlament vorbei Tatsachen schaffen, die seine Nachfolger binde und alle weiteren Reformvorhaben belaste.

Sorge wirft Lauterbach Missachtung vom Gesundheitsausschuss vor

Sorge sitzt außerdem im Gesundheitsausschuss des Bundestages. Dieses Gremium habe Lauterbach fortdauernd missachtet. Bis heute sei der Ausschuss nicht über sein Handeln informiert worden. So habe der Ausschuss im Dezember noch einmal nachgefragt, wie das BIÖG auf den Weg gebracht werden soll. Lauterbach habe sich nie dazu geäußert; sein Parlamentarischer Staatssekretär habe aber habe bekräftigt, eine Zerschlagung der Institute sei nicht geplant.

Aufgaben der BZgA bislang

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), künftig BIÖG, fördert Gesundheitswissen und Prävention. Sie entwickelt Kampagnen zu Themen wie Grippeschutzimpfung und weiteren Impfungen, Organspende(ausweis), Suchtprävention, Sexualaufklärung oder gesunde Ernährung. Zudem informiert sie über Krankheiten, bietet Beratungsangebote und unterstützt Ärzte mit Informationsangeboten.

Aufgaben des Robert Koch-Institutes (RKI)

Das Robert Koch-Institut (RKI) ist die zentrale Einrichtung der Bundesregierung für Krankheitsüberwachung und -prävention. Es erforscht Infektionskrankheiten, überwacht deren Verbreitung und entwickelt Maßnahmen zum Gesundheitsschutz. Zudem berät es Politik und ÖÖffentlichkeit, erstellt Statistiken, führt epidemiologische Studien durch und reagiert auf Gesundheitskrisen wie Pandemien.

Warum die öffentliche Gesundheit in Deutschland mehr Aufmerksamkeit braucht:


Es ist fraktionsübergreifender Konsens, dass die öffentliche Gesundheit in Deutschland mehr Aufmerksamkeit braucht. Der Grund: Obwohl Deutschland die höchsten Gesundheitsausgaben in der EU hat (laut Bundesgesundheitsministerium 2022 5.300 Euro pro Kopf), liegt die Lebenserwartung mit laut OECD 81,2 Jahren unter dem EU-Durchschnitt. Hauptverantwortlich für durch Tod verlorene Lebensjahre sind dem Ministerium zufolge zu fast 90 Prozent nichtübertragbare Krankheiten.


Sorge verweist zudem auf ein rechtliches Problem: Ein Passus im Grundgesetz verhindere die Gründung eines Bundesinstitutes per Erlass. Er sehe ausdrücklich ein Bundesgesetz als Grundlage vor. Sorge hatte sich bereits zuvor gegen die Pläne des Gesundheitsministers gestellt, unter anderem, weil diese aus seiner Sicht unter anderem das Robert Koch-Institut zerschlagen.

Brüskiert sind auch die Mitarbeiter der BZgA und des Robert Koch-Institutes (RKI), deren Chefs ebenfalls am Donnerstag auf Betreiben des Ministeriums eine Kooperationsvereinbarung unterzeichnet haben. "Ich habe diese Informationen wie alle anderen Beschäftigten des Hauses [am Montag; d. Red] um 17:03 Uhr per Mail erhalten", erzählt RKI-Personalratsvorsitzender Marco Sieslack MDR Investigativ. "Das war für mich erst einmal ein ziemlicher Schock, aber keine Überraschung."

RKI-Personalrat fordert von Lauterbach Richtigstellung

In der besagten Mail hatte der Bundesgesundheitsminister die Mitarbeiter von BZgA und RKI über die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung informiert. Zwar habe das Gesetz zur Errichtung des BIÖG nicht im Bundestag verabschiedet werden können, dennoch sei weiterhin beabsichtigt, die gesetzliche Grundlage für das BIÖG zu schaffen. Es freue den Minister, dass RKI und BZgA zentrale Punkte der Zusammenarbeit abgestimmt und in einer Kooperationsvereinbarung festgehalten hätten. Darunter auch die Umstrukturierung der Abteilung 2 im RKI und die Vorbereitung des Transfers des KI-Zentrums in das BIÖG für die nächste Legislaturperiode.

In beiden Behörden würden derzeit organisatorische und personelle Änderungen überprüft und mit den Gremien final abgestimmt. Diese Passage, so fordert der Personalrat am Mittwoch in einem Schreiben an den Minister, müsse dieser richtigstellen. Sollten mit Gremien wie üblich die Personalvertretungen gemeint sein, dann sei das nicht korrekt. "Die Personalvertretungen des Robert Koch-Institutes wurden erst mit ihrem o.g. Schreiben informiert, eine 'Abstimmung' oder gar 'finale Abstimmung' ist nicht erfolgt." Beide Schreiben liegt MDR Investigativ vor. 

Sieslack hofft, dass es sich bei der Umbenennung der BZgA in BIÖG nur um einen Türschildwechsel handelt. Würden die BIÖG-Pläne, so umgesetzt wie jetzt angedacht, wäre das BIÖG vollkommen unterfinanziert und mit Aufgaben überfrachtet, meint er. Zudem würde die die Arbeit des RKI massiv erschwert. Jeder Bundesregierung ist seiner Ansicht nach zu raten, das Vorhaben zu stoppen "und sich von neuem zu überlegen, wie ein modernes Public-Health-Institut für Deutschland aussehen kann". Aus Sicht des Personalrates nicht in dieser Form, sondern eher in einer Zusammenlegung von BZgA und RKI.

Mitarbeiter aus BZgA: Niemand weiß, was der nächste Tag bringt

Die Lage in der BZgA ist noch einmal eine andere: Denn mit dem neuen Namen müssen die Haushälter der Behörde erfinderisch werden. Man fürchtet monatelangen Stillstand, wie in einem Gespräch mit einer in der Behörde arbeitenden Person klar wird. Sie möchte namentlich nicht genannt werden, ist aber mit Vorgängen vertraut. Sie warnt vor der unklaren Haushaltslage infolge der Umbenennung und einer zu erwartenden langen Neuorientierung der Politik nach der Wahl.

Sieslack hatte die Reaktionen im RKI auf die kurzfristige Ankündigung mit "erschöpft, die anderen sind wütend, die anderen sind überrascht und schockiert" beschrieben. Viele könnten sich nicht vorstellen, dass ein de facto schon abgewählter Minister noch Änderungen durchdrücke, nur um seine politische Agenda zu befriedigen. Auch das Gespräch mit der BZgA-Quelle offenbart große Verunsicherung und auch Erschöpfung des Personals. Mitarbeiter würden im Blindflug immer wieder von Entscheidungen überrascht.

Wissen

Die Illustration zeigt eine junge Frau mit dunklen Haaren, einer Halskette und einem gelben Shirt. 37 min
Bildrechte: MDR/Jessica Brautzsch

Beraterin: "Große Baustellen bleiben"

Die Umstrukturierungsprozesse haben den Mitarbeitern der BZgA zugesetzt. Auch Maike Voss hat von den Problemen gehört. Sie kritisiert die oft ad hoc und wenig nachvollziehbare Kommunikation des Ministeriums und rät, die Belegschaften sowie die Fach-Community stärker in die Entscheidungsprozesse einzubinden. Die Experten wüssten, welche Rahmenbedingungen es brauche, um Gesundheit für alle zu verbessern. Sie warnt zudem vor dem Preis der geplanten Umsetzung des BIÖG per Erlass für Mitarbeiter, aber auch bei der interministeriellen Akzeptanz.

Voss ist Gesundheitswissenschaftlerin und Agenturleitung bei "neues handeln", einer Agentur für unter anderem für Politikberatung. Als Direktorin des Centre for Planetary Health Policy (CPHP) hat sie als Sachverständige im Bundestag zum Thema gesprochen. "Ein Gesetz hätte eine Debatte im Bundestag – und damit eine gesellschaftliche Befassung mit der Thematik und eine Auseinandersetzung der anderen Bundesministerien mit dem BIÖG bewirkt", sagt sie. Mit dem Alleingang stelle sich die Frage, inwiefern das Bundesgesundheitsministerium einen Health-in-all-policies-Ansatz verfolge und ob das BIÖG von anderen Ressorts mitgetragen werde. Beides sei dringend notwendig. "Gleichzeitig ist ungewiss, wie eine neue Regierung mit dem BIÖG weiterverfahren würde. Herr Lauterbach versucht hier also seine Pläne in trockene Tücher zu bringen – gleichzeitig bleiben große Baustellen."

Zusammenarbeit beider Behörden vereinbart

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) hat am Donnerstag den Namen erhalten, der zuletzt im Gesetzentwurf für ein neues Public-Health-Institut für Deutschland vorgesehen war: Bundesinstitut für Öffentliche Gesundheit (BIÖG). Allerdings konnte das Gesetz nach dem Bruch der Koalition nicht mehr abschließend im Bundestag behandelt werden. Ebenfalls am Donnerstag haben der Präsident des Robert Koch-Institutes, Lars Schaade, und der bislang kommissarische Leiter der BzGA, Johannes Nießen, eine Vereinbarung über die künftige Kooperation unterzeichnet.

Ziel ist es laut Bundesgesundheitsministerium, künftig die Datenexpertise des RKI mit der Kommunikationskompetenz der BZgA zu verbinden und dafür zu sorgen, dass Fakten und Wissen über gesunde Verhaltensweisen laienverständlich und zielgruppengerecht vermittelt werden, so ein Sprecher des Ministeriums. Dafür ebne die Kooperationsvereinbarung den Weg. Praktisch ist das aus rechtlichen Gründen erst unter einer neuen Regierung möglich, denn dafür braucht es die gesetzlichen Grundlagen. Bleibt abzuwarten, wer dann das Gesundheitsministerium bekommt.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 13. Februar 2025 | 09:24 Uhr

Mehr aus Politik

Olaf Scholz 2 min
Bildrechte: picture alliance / Flashpic | Jens Krick
2 min 12.02.2025 | 20:13 Uhr

Bundeskanzler Scholz sieht sich wegen einer Äußerung auf einer privaten Feier mit Rassismusvorwürfen konfrontiert. Er nannte die Vorwürfe "absurd und künstlich konstruiert".

MDR AKTUELL Mi 12.02.2025 17:36Uhr 01:45 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/politik/audio-rassismus-vorwurf-kanzler-scholz-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Mehr aus Deutschland

Rene Spandler 4 min
Bildrechte: MDR
Auto fährt in Menschengruppe in München 1 min
Auto fährt in Menschengruppe in München Bildrechte: TNN
1 min 13.02.2025 | 13:13 Uhr

In München ist ein Mann mit einem Auto in eine Menschengruppe gefahren. Nach Angaben der Feuerwehr wurden mindestens 20 Menschen verletzt, mehrere von ihnen schwer. Der Fahrer, ein 24-jähriger Afghane, wurde festgesetzt.

MDR FERNSEHEN Do 13.02.2025 12:05Uhr 00:31 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/video-muenchen-auto-gruppe-verletzt-demo102.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video