Kommentar zur Mobilitätswende Zeit für neue Vorsätze, Herr Wissing!
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05. Januar 2024, 11:20 Uhr
Wiederholt weigert sich Verkehrsminister Wissing, Klimaziele einzuhalten. Dabei wären manche Lösungen fast schockierend einfach. Und auch in Städten und Gemeinden haben schon viele verstanden, dass es beim Klimaschutz keineswegs um Parteizugehörigkeit geht, sondern um unsere Zukunft. Im neuen Jahr sollte dieser Gedanke endlich auch auf Bundesebene ankommen, kommentiert Rebecca Nordin Mencke.
- Der Mangel an günstigen E-Autos weist auf systemisches Versagen.
- Viele Kommunen wollen die Verkehrswende, aber scheitern an mangelnden Gestaltungsspielräumen.
- Schon einfache Maßnahmen können die Mobilitätswende voranbringen.
"Blöde Frage, aber was ist eigentlich die Verkehrswende?", fragte mich neulich eine Bekannte. Als ich ihr schilderte, dass wir die Treibhausgase im Verkehrssektor nur ausreichend senken können, wenn es weniger Autos gibt, aber derzeit jedes Jahr mehr Pkw in Deutschland unterwegs sind, riss sie die Augen auf. Damit steht sie bei weitem nicht allein. In persönlichen Gesprächen stoße ich immer wieder auf ganz grundlegende Missverständnisse. Dass Elektromobilität allein die Klimaziele im Verkehr nicht lösen kann, hat sich offenbar selbst bei eigentlich gut informierten Menschen noch nicht rumgesprochen.
Die Lösungsvorschläge liegen auf dem Tisch
Woran liegt das? Expertinnen und Experten werden jedenfalls seit Jahren nicht müde, mit einer Engelsgeduld zu erklären, wie sich die Treibhausgase im Verkehr reduzieren ließen. Ein zentraler Baustein: Umweltschädliche Subventionen zurücknehmen und stattdessen klimaschonende Mobiliät belohnen. Für ein solches sogenanntes Bonus-Malus-System werben neben dem Umweltbundesamt auch der Thinktank "Agora Verkehrswende" und erst kürzlich mit dem Expertenbeirat Klimaschutz in der Mobilität sogar ein von Volker Wissings Verkehrsministerium eigens ins Leben gerufene Gremium.
Viele Daten sind im Internet für alle frei verfügbar, zum Beispiel was sozial gerechter wäre als die Pendlerpauschale, welche konkreten Bausteine die Treibhausgase im Verkehrssektor senken können und für Fortgeschrittene sogar eine ganze Studie zu Klimaschutzinstrumenten. Zugegeben, so eine Studie liest man nicht mal einfach nach Feierabend. Aber als Bundesverkehrsminister hat Wissing besonders privilegierten Zugang zu den besten Beraterinnen und Experten. Zudem ist es schlicht sein Job, die Klimaziele in seinem Sektor einzuhalten und dabei gut zu kommunizieren, wie das gelingen kann. Allein in seiner Politik schlägt sich das noch nicht nieder.
Teure E-Autos zeugen auch von systemischem Versagen
"Toll Ein Anderer Macht's" scheint vielmehr das Team-Verständnis von Wissing zu sein, wenn es um Klimaschutz geht. Der Verkehr reißt wiederholt seine im Klimaschutzgesetz verankerten Sektor-Ziele? Sollen doch andere Sektoren umso mehr Treibhausgase einsparen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg urteilt, die Bundesregierung verstößt gegen das Klimaschutzgesetz? Wissing kündigt Revision an. Das ist in einem Rechtsstaat natürlich sein gutes Recht – nur Teil der Lösung wird er damit nicht.
Natürlich muss bei Instrumenten wie einem Bonus-Malus-System genau geschaut werden, wie sie konkret ausgestaltet werden, um Klimaschutz auch sozial verträglich umzusetzen. Dass E-Pkw aus deutscher Herstellung aber bisher fast nur im hochklassigen Preissegment angeboten werden, zeugt von systemischem Versagen.
Verkehrswende muss man erstmal wollen
Gleichzeitig ist es ein echtes Problem, wenn zukunftsweisende Projekte wie das 49-Euro-Ticket ständig kurz vor dem Aus zu stehen scheinen, wenn mangels Personal Züge den Fahrplan nicht einhalten können oder gleich ganze Buslinien eingestellt werden. Das sind die falschen Signale und um es noch deutlicher zu sagen: So wird das mit der Verkehrswende nichts.
Kommunen stoßen bei ihren Bemühungen um klimafreundliche Verkehrspolitik auf geradezu groteske Barrieren: Ob Radwege als rechtswidrig kassiert werden, Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Zebrastreifen aufkommen oder Rathäuser beim Einrichten von mehr Tempo 30-Zonen scheitern. Das alles zeigt, wie tief verankert die strukturelle Bevorzugung von Autos ist. Mehr als 1.000 Kommunen haben sich inzwischen der Initiative "Lebenswerte Städte und Gemeinden" angeschlossen, weil sie mehr Gestaltungsspielräume bekommen wollen.
Mit einfachen Schritten beginnen
Statt sich also in einer "Das funktioniert eh alles nicht"-Haltung zu verschanzen und mit dem Finger auf andere Sektoren zu zeigen, sollte Herr Wissing endlich anfangen, die Lösungen in den Blick zu nehmen. Die sind nämlich mitunter geradezu frappierend einfach und müssten vor allem schlicht besser kommuniziert werden.
Ein Tempolimit auf Autobahnen könnte je nach Studie rund 1,1 Millionen Tonnen oder sogar 6,7 Millionen Tonnen Treibhausgase pro Jahr einsparen – das fällt gerade jetzt besonders ins Gewicht, solange Elektromobilität noch eine kleine Nische ist. Andere Lösungen sind komplexer und brauchen mehr Vorbereitung für die Umsetzung. Aber auch damit sollte man zumindest anfangen und den Diskurs nicht völlig den sturen Lösungsverweigerern überlassen - gerade als Bundesminister. Ich bin jedenfalls überzeugt: 2024 ist ein gutes Jahr für einen Neustart in der Verkehrspolitik.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 04. Januar 2024 | 19:30 Uhr