Treibhausgase Kommunen wollen Pendelverkehr reduzieren, um Klimaziele zu erreichen
Hauptinhalt
12. Dezember 2023, 11:37 Uhr
Pendlerverkehr sorgt in den Städten für einen Großteil der Treibhausgas-Emissionen. Dresden hat sich daher vorgenommen, den ÖPNV zu stärken, ihn attraktiver zu machen. Doch die Handlungsspielräume sind begrenzt.
- Ein Viertel aller Emissionen im Verkehr geht auf Pendlerinnen und Pendler zurück.
- Wie Dresden den ÖPNV stärken will und dabei an Grenzen stößt
- Agora Verkehrswende: Steuern und Abgaben im Verkehrssystem reformieren
Von einer "relativ ineffizienten Nutzung" spricht Philipp Kosok, wenn es um einen Großteil des Pendelverkehrs geht. Kosok ist Projektleiter Öffentlicher Verkehr beim Thinktank "Agora Verkehrswende". Dort hat er auch eine Studie begleitet, wie Pendelverkehr klimaschonender und sozialverträglicher gestaltet werden kann. Denn bisher werden im Schnitt etwa 63 Prozent der Berufswege mit dem Pkw zurückgelegt, bei Entfernungen über fünf Kilometer ist der Anteil noch höher – und nur in seltenen Ausnahmen sitzt mehr als eine Person im Fahrzeug.
Pendelverkehr verursacht 25 Prozent aller Emissionen im Verkehr
Dabei steigt die Zahl der Pendlerinnen und Pendler seit Jahren, die Distanzen werden länger: von durchschnittlich 8,6 Kilometer Hinweg im Jahr 1976 auf 16 Kilometer im Jahr 2017. Die Bundesagentur für Arbeit erfasste 2022 insgesamt mehr als eine Million Pendelnde in Sachsen und jeweils fast 600.000 Pendelnde in Thüringen und Sachsen-Anhalt. Die Statistik enthält allerdings nur die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und gibt auch keine Auskunft darüber, wie häufig die Beschäftigten zum Arbeitsort fahren oder beispielsweise im Homeoffice arbeiten.
Philipp Kosok von "Agora Verkehrswende" betont, gerade die Corona-Pandemie habe das Mobilitätsverhalten ziemlich durcheinandergewirbelt. An manchen Zählstellen sei das Verkehrsaufkommen noch immer nicht auf das Niveau vor der Pandemie zurückgekehrt. Mehr Optionen für Homeoffice könnten aber perspektivisch dazu führen, dass Menschen immer längere Pendeldistanzen in Kauf nehmen. Sie würden also insgesamt seltener pendeln, dabei aber längere Strecken zurücklegen – ein klassischer Rebound-Effekt, bei dem die CO2-Einsparung durch Homeoffice gleich wieder zunichte gemacht wird.
Nach jüngsten verfügbaren Daten macht der Pendelverkehr 25 Prozent aller Emissionen im Verkehrsbereich aus – in Städten mit hohem Pendelaufkommen nochmal mehr. Der Verkehrsökologe Jens Borken-Kleefeld von der TU Dresden rechnet damit, dass in der sächsischen Landeshauptstadt 40 Prozent der Emissionen des stadtbezogenen Verkehrs auf Pendlerinnen und Pendler zurückgehen. Wer die Klimabilanz im Verkehrssektor verbessern will, findet also im Pendelverkehr einen besonders wirksamen Hebel.
Mehr Pendelstrecken in den Nahverkehr verlagern
"Das ist ein wirklich ganz dickes Brett, an das wir müssen", sagt Dresdens Verkehrsentwicklungsplaner Frank Fiedler und verweist auf das vom Stadtrat beschlossene Ziel, Klimaneutralität in der Mobilität zu erreichen. Die sächsische Landeshauptstadt hat sich ambitionierte Ziele gesetzt. Bis zum Jahr 2035 sollen Pendelnde sowie Besucherinnen und Besucher zu mehr als 50 Prozent den Öffentlichen Nahverkehr und das Fahrrad nutzen. Das sieht der Dresdner Mobilitätsplan 2035+ vor.
Beschlossen hatte der Dresdner Stadtrat die Ziele bereits vergangenes Jahr. Inzwischen hat die Stadt genauere Berechnungen angestellt, wie sich der Verkehr und die Pendelverflechtungen in die Region entwickeln dürften. Dichtere Taktung von S-Bahnen und neue Direktverbindungen können demnach mehr Menschen für den Öffentlichen Nahverkehr gewinnen. Gleichzeitig macht der Ausbau des Straßennetzes mit besseren Anbindungen für das Umland auch den privaten Pkw attraktiver. Bisher geplante verkehrspolitische Maßnahmen könnten den Berechnungen zufolge so lediglich 8.400 Pkw-Pendlerfahrten bis zum Jahr 2035 einsparen – dabei müssten es 69.200 sein, um den Pkw-Anteil wie im Mobilitätsplan festgehalten auf 50 Prozent zu reduzieren.
Fiedler kann der Stadt als Verkehrsentwicklungsplaner nur Vorschläge unterbreiten, wie die selbstgesteckten Ziele erreicht werden können. Was dann wie umgesetzt wird, ist ein politischer Aushandlungsprozess der Parteien im Stadtrat. Aber auch Fiedler sieht gerade Kommunen noch vor ganz anderen Problemen: Die Gestaltungsspielräume sind begrenzt, an vielen Stellen sind Bund oder Länder gefragt. Beispielsweise könne eine Stadt nur noch etwa die Hälfte der Einnahmen im ÖPNV über Ticketpreise bestimmen. Die andere Hälfte sei durch Deutschlandticket, Azubi-Tickets und ähnliche Angebote bereits fix.
Mit Steuern und Abgaben klimaschonende Mobilität fördern
Auch der Thinktank "Agora Verkehrswende" kritisiert, "dass der Bund den Kommunen mit den bestehenden Rahmenbedingungen weitreichendere Entscheidungsfreiheiten verwehrt" – sei es beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs, mehr Homeoffice, die Einführung von Tempo 30 oder Parkraummanagement. Projektleiter Kosok verweist darauf, dass die Finanzflüsse im Verkehrsbereich in erster Linie über Bundessteuern geregelt sind. Er plädiert dafür, die Steuern und Abgaben im Verkehrssystem grundsätzlich zu reformieren – nach sozialen und ökologischen Aspekten. "Agora Verkehrswende" setzt sich bereits seit einigen Jahren dafür ein, die Pendlerpauschale durch ein einkommensunabhängiges Mobilitätsgeld zu ersetzen.
Kosok verweist zudem auf das Dienstwagenprivileg, von dem vor allem Menschen profitieren, die ohnehin bereits über hohe Einkommen verfügen. Dabei entgingen dem Bundeshaushalt aber "genau die Milliarden, die uns aktuell fehlen, um zum Beispiel gute Ideen wie das Deutschlandticket und den Ausbau von Busangeboten im ländlichen Raum weiter zu finanzieren."
Wie schnelle Busverbindungen Schule machen
Denn um mehr Menschen für den öffentlichen Nahverkehr zu gewinnen, brauche es nicht immer und überall eine Schienenanbindung, betont Kosok. Entscheidend sei neben dem Preis gerade die Taktung und das Tempo. Wenn man etwa Busse schnell fahren lasse und nicht zu oft halten lasse, sodass die Reisegeschwindigkeit dem eines Autos vergleichbar sei, "dann sind die Menschen tatsächlich bereit umzusteigen".
Er verweist auf das Plus-Bus-Konzept: Wo bisherige Regionalbuslinien entsprechend umgestellt würden, habe man schon im ersten Jahr deutliche Fahrgastzuwächse. "Das sind die Konzepte, die gerade Schule machen", betont Kosok. Das Konzept, das ursprünglich vom Mitteldeutschen Verkehrsverbund gestartet wurde, sei inzwischen von fünf Bundesländern aufgegriffen und werde immer weiter umgesetzt. Würden die stündlich fahrenden Busse auf einen dichteren Takt von 30 oder 15 Minuten wechseln, könne man nochmal mehr Menschen gewinnen, ist Kosok überzeugt.
Arbeitsweg entscheidet Verkehrsmittel auch für andere Strecken
Die aktuell schwierige Haushaltslage stellt aber auch zukunftsorientierte Projekte im öffentlichen Nahverkehr in Frage. Erst vergangene Woche erklärte Stendal für seine Busse den Ausstieg aus dem 49-Euro-Ticket. "Da treten wir momentan eher auf der Stelle", findet Kosok mit Blick auf die Debatten der vergangenen Wochen und Monate.
Dabei gibt er noch einen weiteren Aspekt zu bedenken, der den Pendelverkehr so entscheidend macht: "Unser Weg zur Arbeit prägt ganz stark unser gesamtes Mobilitätsverhalten und damit auch die Klimabilanz des Mobilitätssektors." Denn wer mit dem Auto zur Arbeit fährt, nutzt das häufig auch für weitere Strecken nach Feierabend.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. Dezember 2023 | 09:10 Uhr