Klimaschutz Warum Elektromobilität für die Klimaziele im Verkehr nicht reicht
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17. Dezember 2023, 10:18 Uhr
Bis zu 25 Millionen Tonnen Treibhausgas-Emissionen sollen bis 2030 durch mehr Elektromobilität eingespart werden. Nach jetzigem Stand kommt der Ausbau der E-Mobilität aber zu langsam voran. Selbst wenn das Ziel erreicht würde, würden nur 60 bis 70 Prozent nötigen Einsparungen im Verkehrssektor erreicht werden.
- Je früher Emissionen verringert werden, desto nachhaltiger.
- Ab 2024 müssten zwei Millionen E-Autos pro Jahr genauso viele Verbrenner ersetzen – um 60 Prozent Emissionen im Verkehr einzusparen.
- Reduzierung und Verlagerung von Verkehr sind wichtiger Baustein für Emissionsminderung
Gute Ideen für die Mobilitätswende gibt es genug, ist Philipp Kosok sicher. Der Projektleiter Öffentlicher Verkehr beim Thinktank "Agora Verkehrswende" beschäftigt sich unter anderem mit Strategien für den ländlichen Raum und verweist insbesondere auf Baden-Württemberg. Bis zum Jahr 2030 sollen dort auch in kleineren Städten Busse oder Regionalzüge im Halbstundentakt fahren.
Die ÖPNV-Strategie von Baden-Württemberg sieht vor, dass Kommunen selbst Abgaben zugunsten des öffentlichen Nahverkehrs erheben dürfen, um diesen finanziell zu stärken. "Um Fahrgastzahlen auch in ländlichen Räumen deutlich zu steigern, gibt es sehr ambitionierte und vielversprechende Konzepte", stellt Kosok fest. Denn mit mehr Elektromobilität allein ist es nicht getan, um die Klimaziele im Verkehr zu erreichen.
Bei den Emissionsminderungen zählt jedes Jahr
Bis zum Jahr 2045 will Deutschland klimaneutral werden. Auf dem Weg dorthin sind im Klimaschutzgesetz Ziele festgeschrieben, wie die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen in einzelnen Sektoren pro Jahr sinken sollen. Einer dieser Sektoren ist der Verkehr. Für diesen sind derzeit als Obergrenze 84 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente für das Jahr 2030 vorgeschrieben.
CO2-Äquivalente Mehrere Treibhausgase tragen – unterschiedlich stark – zum Klimawandel bei. Das Kyoto-Protokoll nennt beispielsweise Kohlenstoffdioxid (CO2), Methan (CH4) oder Lachgas (N2O). Um die Klimawirkung einzelner Treibhausgase miteinander zu vergleichen, werden diese in CO2-Äquivalente umgerechnet, anhand ihres Global Warming Potentials (GWP). Das GWP normiert die Wirkung aller Treibhausgase auf die Wirkung von CO2, dem am meisten von Menschen emittierten Treibhausgas, welches daher den GWP-Wert 1 erhält. Methan ist pro Molekül ungefähr 27-mal so klimawirksam wie CO2 und hat daher ein GWP von 27 CO2-Äquivalenten. Stiftung Allianz für Entwicklung und Klima
Manuel Hendzlik vom Umweltbundesamt betont, wie wichtig aber auch der Blick auf die Jahre bis dahin ist. Hendzlik ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich "Umwelt und Verkehr" und befasst sich insbesondere mit Szenarien, wie Deutschland die Klimaziele erreichen kann. "Die Emissionen, die wir jetzt Jahr für Jahr ausstoßen, sammeln sich in der Atmosphäre an und sorgen für den Treibhauseffekt, also für die Erwärmung der Erde", betont er. Je früher die Emissionen reduziert werden, desto besser ist das also für die Bilanz bis zum Jahr 2030. Kurzfristig wäre etwa ein Tempolimit besonders sinnvoll, während andere Maßnahmen erst später zur Emissionsminderung beitragen können.
Verkehrssektor vor weiteren Zielverfehlungen bei Treibhausgasen
Denn insbesondere der Verkehrssektor hat seine Klimaziele wiederholt verfehlt. Im vergangenen Jahr lag die Höchstgrenze bei 139 Millionen Tonnen Emissionen, aber ausgestoßen wurden fast 148 Millionen Tonnen. Die Differenz gilt es in kommenden Jahren auszugleichen. Doch nach bisherigen Berechnungen des Umweltbundesamtes werden die Höchstmengen auch in den kommenden Jahren wiederholt deutlich überschritten. Bis zum Jahr 2030 könnten sich die jährlichen Zielverfehlungen in unterschiedlichen Szenarien auf 187 bis 210 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente summieren.
Dass seit Anfang Dezember eine CO2-Abgabe zur Lkw-Maut hinzugekommen ist, könnte laut Hendzlik zumindest das optimistischere der beiden Varianten begünstigen. "Es muss eben zeitig angefangen werden, Emissionen zu reduzieren, damit die Lücke gar nicht erst so groß wird", stellt Hendzlik fest.
Hochlauf von Elektromobilität kommt nur schleppend voran
Um die Klimaziele im Verkehrssektor zu schaffen, gilt die Elektromobilität als wichtiger Baustein. Hendzlik verweist auf unterschiedliche Berechnungen von Umweltbundesamt, Agora Energiewende/ Verkehrswende und dem Bundesverband der Deutschen Industrie. Etwa 60 bis 70 Prozent der nötigen Emissionsminderungen im Verkehrssektor könnten demnach allein durch eine stärkere Elektrifizierung des Verkehrs erreicht werden.
Allerdings kommt der Hochlauf der Elektromobilität bisher zu langsam voran, um das Ziel auch tatsächlich zu schaffen. 15 Millionen Elektro-Pkws will die Bundesregierung bis zum Jahr 2030 auf die Straßen bringen. Nach Berechnungen des Umweltbundesamtes werden es mit der bisherigen Entwicklung aber voraussichtlich lediglich 8,2 Millionen. Im Oktober 2023 lag die Zahl der E-Autos in Deutschland bei 1,3 Millionen.
Voraussichtlich erst 2039 mehr E-Autos als Verbrenner
Es müssten also bis 2030 jedes Jahr fast zwei Millionen Elektro-Pkws neu zugelassen werden und die gleiche Zahl an Verbrennern ersetzen – das entspreche zwei Drittel der üblichen Neuzulassungen von Pkws in Deutschland, sagt Hendzlik: "Ich sehe noch nicht, dass das mit dem aktuellen Politikinstrumentarium erreicht werden kann." Im Gegenteil: Seit die Förderung für Elektrofahrzeuge zurückgegangen sei, zeichne sich eher eine Konsolidierung ab "und im schlechtesten Fall gehen die Zulassungszahlen für Elektrofahrzeuge sogar wieder leicht zurück".
Verbrenner-Autos machen also noch einige Jahre den Großteil des Straßenverkehrs aus. Das Kraftfahrtbundesamt zählte Anfang 2023 insgesamt 48,8 Millionen Pkws. Bis zum Jahr 2030 dürfte die Zahl konventioneller Pkws dem Umweltbundesamt zufolge auf 41,5 Millionen sinken. Mit den E-Autos wären es dann zusammen 49,7 Millionen Pkws, mehr als heute. Erst im Jahr 2039 dürfte es den Berechnungen zufolge mehr elektrische als konventionelle Autos auf deutschen Straßen geben.
Weitere Steuerungsinstrumente im Verkehr nötig
Doch selbst wenn der Hebel noch rumgerissen wird und die 15 Millionen E-Pkws bis 2030 erreicht werden, ist damit nur ein Teil der Klimaziele im Verkehrssektor erreicht. Um weitere Emissionen zu reduzieren, setzen Klima- und Verkehrsforscher daher auf eine Reihe zusätzlicher Maßnahmen. Das Umweltbundesamt listet insgesamt acht Bausteine für einen klimaverträglichen Verkehr.
Wie viel CO2-Äquivalente einzelne Bausteine bis 2030 einsparen können:
1. Effizienz und Elektrifizierung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge: 13 bis 15 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
2. Effizienz und Elektrifizierung für schwere Nutzfahrzeuge: 7 bis 10 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
3. Ende für klimaschädliche Subventionen: 5 bis 6 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
4. Verursachergerechte Bepreisung: 3 bis 5 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
5. Tempolimit: 6 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
6. Stärkung der Schiene: 3 bis 5 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
7. Stärkung des Umweltverbunds: 2 bis 3 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente
8. Postfossile Kraftstoffe (bspw. e-Fuels): keine weiteren Emissionsminderungen
Umweltbundesamt
"Es müsste sofort eine Reform der Kfz-Steuer mit einer Klimaabgabe geben", betont Hendzlik, gerade mit Blick auf die Dringlichkeit der jährlichen Klimaziele. Je mehr Emissionen ein Fahrzeug verursacht, desto teurer würde es nach diesem Prinzip – die entsprechenden Einnahmen könnten dann klimaschonenderen Verkehrsmitteln zugute kommen. Ein solches System sei komplex, bei der Umsetzung könnten aber insbesondere auch soziale Aspekte berücksichtigt werden: Etwa durch Kaufprämien für Menschen mit geringem Einkommen und hoher Pkw-Abhängigkeit, weil sie mit schlechter Anbindung an den öffentlichen Verkehr wohnen.
Reduzierung und Verlagerung von Verkehr entscheidend
Die vielfältigen Wechselwirkungen und Verzahnungen der einzelnen Bausteine machen es nicht ganz einfach, welche Emissionsminderungen genau durch Antriebswende und welche durch eine grundsätzlichere Verkehrswende erreicht werden, betont Hendzlik. Fest steht aber: Der Reduzierung und Verlagerung von Verkehr kommt ebenfalls eine entscheidende Rolle zu. Allein durch ein attraktiveres Angebot auf der Schiene könnten drei bis fünf Millionen Tonnen CO2-Äquivalente bis 2030 eingespart werden.
Neben diesem sogenannten Pull-Effekt könnten aber weitere Steuerungsinstrumente mehr Menschen in klimaschonendere Verkehrsmittel bringen. "Beispielsweise führt ein CO2-Preis dazu, dass die Leute auf die gestiegenen Kraftstoffpreise so reagieren, dass sie weniger fahren oder sich ein anderes Verkehrsmittel suchen", erklärt Hendzlik. Ein Ende für klimaschädliche Subventionen und eine verursachergerechte Bepreisung wirken sich also indirekt ebenfalls auf die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln oder Elektrofahrzeugen aus und mindern so zusätzliche Emissionen.
Verkehrswende geht über Emissionsminderung hinaus
Neben der Reduzierung von Treibhausgasen geht es bei der Mobilitätswende aber noch um weitere Aspekte, betont Hendzlik. Denn während die Emissionsminderungen den Klimawandel begrenzen sollen, gilt es schon heute, mit Auswirkungen wie Starkregen oder Hitze-Inseln in Städten im Sommer umzugehen. Es gehe also auch darum, "Städte zu entsiegeln, nicht weiter zu versiegeln", sagt Hendzlik. Gerade das Thema Versiegelung hänge aber stark damit zusammen, welche Verkehrsmittel genutzt werden und überhaupt im öffentlichen Raum stehen.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. Dezember 2023 | 11:00 Uhr