Bundesregierung vor Gericht Milliarden-Streit um Corona-Masken: Es wird immer teurer
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27. April 2025, 05:00 Uhr
Die milliardenschwere Beschaffung von Corona-Masken durch die Bundesregierung beschäftigt seit Jahren die Gerichte. Vertrauliche Listen offenbaren nun die chaotischen Zustände bei der Vergabe im Open-House-Verfahren – das Jens Spahn eröffnet hatte.
- Das Open-House-Verfahren von Gesundheitsminister Jens Spahn
- Zugespielte Listen über die Maskenbeschaffung
- Corona-Masken geliefert: Viele Unternehmer haben Erfolg mit Klage
- Emix Trading und der CSU-Kontakt zu Jens Spahn
- BMG kann genaue Maskenbeschaffung nicht rekonstruieren
Die Beschaffung von Corona-Masken durch die Bundesregierung vor fünf Jahren beschäftigt bis heute die Gerichte. Es geht um Milliarden Euro. "Ich finde es unverantwortlich von der Bundesregierung, dass diese Prozesse ohne jede Aussicht auf Erfolg weitergeführt werden", sagte Unternehmerin Tanja Gulden. Sie hat damals Masken geliefert, aber ist bis heute nicht bezahlt worden. Sie hat die Bundesregierung verklagt.
Der Bund hat ja letztes Jahr einen Gesamtstreitwert von 2,3 Milliarden Euro bestätigt.
Rund 100 ähnliche Gerichtsverfahren laufen derzeit. "Wir sind ja nicht die Einzigen", sagte Gulden. "Der Bund hat ja letztes Jahr einen Gesamtstreitwert von 2,3 Milliarden Euro bestätigt. Wir gehen mal davon aus, dass das der Netto-Streitwert ist, also ohne Steuern." Zudem kämen täglich fast eine Million Euro an Verzugszinsen hinzu.
Das Open-House-Verfahren von Gesundheitsminister Jens Spahn
Die Maskenbeschaffung hatte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn Anfang 2020 zentral an sich gezogen. Kurz zuvor eröffnete der CDU-Politiker ein sogenanntes Open-House Verfahren.
Vereinfacht gesagt: Das Ministerium fordert weltweit Unternehmen auf, Masken anzubieten, und wer mitmacht, erhält in der Regel auch den Zuschlag und damit einen Vertrag. Der Preis war festgeschrieben: 4,50 Euro für FFP-2-Masken, 60 Cent für OP-Masken. Das Angebot sollte für einen Monat gelten.
Zugespielte Listen zur Maskenbeschaffung
MDR Investigativ sind zwei vertrauliche Listen zugespielt worden. Diese dokumentieren die Angebote im Open-House-Verfahren und mehr. Daraus wird ersichtlich, wie rasant die Angebote Ende März 2020 eingegangen waren. Bereits nach vier Tagen war das Budget komplett ausgeschöpft: eine halbe Milliarde Euro. Danach lief das Verfahren aus dem Ruder – es ging tagelang weiter.
Die Lieferanten hat damals vor allem das nahe Zahlungsziel gelockt, erklärte Rechtsanwalt Axel Mütze, der bislang etwa 20 Mandanten im Streit gegen die Bundesrepublik vertreten hat: "Das war die Garantie, dass der solventeste Schuldner, den man sich in diesem Land vorstellen kann, nämlich die Bundesrepublik Deutschland, dieses Zahlungsversprechen einhält." Das Geld sollte binnen sieben Tagen nach der Rechnungsstellung auf den Konten der Unternehmer sein.
Corona-Masken geliefert: Viele Unternehmer haben Erfolg mit Klage
Anfang April hatte das Ministerium das Verfahren abgebrochen – drei Wochen früher als geplant. Kurz zuvor hatte Unternehmer Axel Völker den Zuschlag für 32.400 FFP-2-Masken erhalten. Er lieferte rechtzeitig.
Nach Wochen fragte Völker, wo das Geld bleibt: "Eine halbe Stunde später hatte ich den schriftlichen Rücktritt auf dem Rechner.” Begründung: Die Masken seien mangelhaft. Vor Gericht setzte sich Völker weitgehend durch. Das Ministerium habe die angeblichen Mängel zu spät moniert und eine Nachforderung versäumt.
Bis auf die Verzugszinsen soll Völker sein Geld bekommen. Doch er besteht auch darauf und so geht das Verfahren weiter. Vor dem Oberlandesgericht Köln hat die Bundesrepublik ähnliche Verfahren schon reihenweise verloren. "Ich verstehe es nicht", sagte Rechtsanwalt Mütze. "Weil mir kein Lieferant bekannt ist, der nicht bereit gewesen wäre, sich vergleichsweise zu einigen.”
Emix Trading und der CSU-Kontakt zu Jens Spahn
Während die einen klagen, um Geld für gelieferte Masken zu bekommen, haben andere Anfang 2020 viel Geld erhalten. Die Firma "Emix Trading" aus der Schweiz handelte mit Corona-Masken und hatte auch Bayern und Nordrhein-Westfalen als Kunden.
Am meisten lieferten sie an das Bundesgesundheitsministerium. Das BMG überwies dem Unternehmen von Luca Steffen und Jascha Rudolphi mehr als 700 Millionen Euro. Gegen beide läuft in der Schweiz ein Verfahren wegen Wucher, dem sich auch die Bundesregierung angeschlossen hat. Die Anfrage auf ein Interview von MDR Investigativ wird abgesagt, weil die beiden auf Reisen seien.
Pikant ist, wie die Emix-Geschäfte mit dem Bundesministerium für Gesundheit zustande kamen: Über CSU-Kontakte offenbar direkt zu Jens Spahn. Andrea Tandler – Tochter des früheren CSU-Politikers Gerold Tandler – hatte die Geschäfte eingeleitet.
Im Frühjahr 2020 vermittelte Tandler Schutzmasken an Ministerien in ganz Deutschland und kassierte Provisionen von Emix im Wert von über 48 Millionen Euro. Rechtlich war das nicht zu beanstanden, doch sie wurde 2023 wegen Steuerhinterziehung zu fast viereinhalb Jahren Haft verurteilt.
BMG kann genaue Masken-Beschaffung nicht rekonstruieren
Das BMG suchte im Frühjahr 2020 auf allen möglichen Wegen nach Corona-Masken. Im Februar 2025 hat MDR Investigativ angefragt, wie viele es genau waren. Die Antwort: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich eine monatlich genaue Maskenbeschaffung nicht exakt rekonstruieren lässt."
Die zweite zugespielte, vertrauliche Liste, enthält die Verträge, die außerhalb des Open-House-Verfahrens zusätzlich abgeschlossen wurden. Danach hat das BMG bis Mitte April 2020 weit über vier Milliarden Masken geordert. Nur 1,7 Milliarden waren während der Pandemie in Deutschland überhaupt verteilt worden.
Piechotta kritisiert überhöhte Preise für Masken
In dieser Liste sind mehrere Direktverträge mit Emix zu finden. Der letzte ist auf den 24. April 2020 datiert und umfasst knapp 67 Millionen FFP-2-Masken. Zu einem hohen Preis: "Also wir reden hier über fünf Euro für eine Maske bei dieser letzten Emix-Bestellung", sagte Paula Piechotta, die als Bundestagsabgeordnete für die Grünen im Haushaltspolitischen Ausschuss saß.
Das war auch in dieser Zeit ein völlig überhöhter Preis.
"Das war auch in dieser Zeit ein völlig überhöhter Preis", so Piechotta. "Und wenn man jetzt noch dazu weiß, dass es da die Verflechtung auch in die CDU/CSU gibt bei Emix." Da sehe dieser Vertrag zu diesem späten Zeitpunkt "extrem schlecht" aus und es wirke als ob Geld keine Rolle spielte.
Sonderbericht zur Maskenbeschaffung noch nicht vorgelegt
Anfang 2025 sollte im Haushaltspolitischen Ausschuss ein Sonderbericht vorgelegt werden, was bei den Maskendeals genau passiert ist. Doch es herrscht Funkstille, kritisierte Piechotta. Von dem Noch- Minister Karl Lauterbach (SPD) hört man dazu bislang nichts.
Jens Spahn – der in der neuen Bundesregierung unter Friedrich Merz erneut ein Ministeramt oder ein hohes Amt in der Union bekleiden könnte – will von der Kritik der Überbeschaffung nichts hören. Er verweist immer wieder auf die Besonderheit der Krise und verteidigt seine Milliarden-Ausgaben weiterhin.
"Würde ich mit dem Wissen von heute weniger Masken bestellen? - Ja! Weil im Nachhinein hat China nicht nochmal zugemacht", sagte Spahn im Juni 2024. "Würde ich mit dem Wissen von damals in der gleichen Situation nochmal die gleiche Entscheidung treffen. Vermutlich – ja."
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 15. April 2025 | 21:45 Uhr