Lucas Flöther, 2017
Lucas Flöther gehört zu den bekanntesten Insolvenzverwaltern Deutschlands. Der promovierte Jurist sanierte unter anderem das Leipziger Internetunternehmen Unister und machte auch den Ferienflieger Condor wieder flott. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Willnow

Wirtschaftskrise Experte über Insolvenzen: "Nachholeffekt aus der Corona-Zeit"

15. April 2025, 05:30 Uhr

In den vergangenen Wochen und Monaten haben sich die Meldungen über Insolvenzen auch in Sachsen wieder gehäuft. Doch wie schlimm ist die Lage? Ist es bereits eine Insolvenzwelle und welche Ursachen gibt es für es für die Krise? Darüber hat MDR SACHSEN mit Insolvenzverwalter Lucas Flöther gesprochen.

Herr Prof. Flöther, die Meldungen über Unternehmens-Insolvenzen häufen sich auch in Sachsen. Wie schlimm ist die Lage?

Wir sehen auf jeden Fall eine deutliche Zunahme der Insolvenzzahlen. Ich würde aber noch nicht von einer Welle, erst recht nicht von einem Insolvenz-Tsunami sprechen, weil wir uns immer die Bezugsgröße ansehen müssen. Häufig nehmen Journalisten die Zahl aus der Corona-Zeit. Wir hatten aber in der Corona-Zeit und unmittelbar danach historisch niedrige Insolvenzzahlen.

Das hatte zwei Gründe: Zum einen wurde die Insolvenzanmeldepflicht ausgesetzt, und außerdem wurde viel Staatsgeld in die Unternehmen gepumpt. Da hat kaum ein Unternehmer noch Insolvenz angemeldet. Wenn ich die heutigen Zahlen mit dieser Zeit vergleiche, dann ist die Kurve natürlich ganz steil. Vergleiche ich sie hingegen mit den Zahlen zur Zeit der Finanzkrise 2007 und 2008, ist das anders. Damals hatten wir fast doppelt so viele Insolvenzen. Diese Werte haben wir noch nicht wieder erreicht. Deshalb muss man die aktuellen Zahlen ein bisschen relativieren.  

Ein Mann mit Brille und weißem Hemd steht an einem Fenster und lacht. 1 min
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MDR FERNSEHEN So 13.04.2025 15:55Uhr 01:25 min

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Ist die Statistik überhaupt aussagekräftig?

Sie kann allenfalls ein grober Indikator sein, weil von der Dönerbude bis zum Konzern alles einbezogen wird. Ich kritisiere seit Jahren, dass das nicht besser erfasst wird. Jede Insolvenz ist anders, man kann das nicht schwarz-weiß sehen. Entscheidend ist, wie viele Mitarbeiter betroffen sind, wie hoch die Forderungen der betroffenen Gläubiger sind und welche Schäden entstanden sind. Darüber sagt die Gesamtzahl der Insolvenzen nichts aus. Es gibt also durchaus statistisches Anpassungspotenzial.

Ab wann spricht man denn von einer Insolvenz-Welle?

Da gibt es keine Definition. Ich persönlich würde sagen, wenn sich die Zahlen im Verhältnis zum Vorjahr mehr als verdoppeln. Das sehe ich bislang nicht. Aus diesem Grund würde ich nicht von einer Welle sprechen, sondern von einer erheblichen Zunahme der Insolvenzen.

Welche Branchen sind besonders betroffen?

In den vergangenen Jahren waren zunehmend, und da verrate ich kein Geheimnis, die Automobilzulieferindustrie und der Einzelhandel betroffen. Im Osten gibt es zudem das Phänomen, dass immer mehr Krankenhäuser Insolvenz anmelden, was vor einigen Jahren überhaupt noch kein Thema war. Außerdem sind durch den Anstieg der Zinsen auch der Bau- und Immobiliensektor in Schwierigkeiten geraten. Ähnlich ist das bei den Maschinenbauern. Es sind also nicht mehr nur einzelne Nischen betroffen, sondern eine ganze Bandbreite der Schlüsselbranchen.

Was sind die häufigsten Ursachen für die Insolvenzen?

Ich habe noch keine Insolvenz gesehen, wo es eine einzige Ursache gab. Oftmals ist es ein ganzer Blumenstrauß an Gründen. Darunter sind auch immer Managementfehler, gar keine Frage. Derzeit gibt es jedoch Bereiche, in denen das Geschäftsmodell wegbricht. Wenn ich als Autozulieferer am Antriebsstrang des Verbrenners hänge, dann ist das ein Geschäftsmodell, das immer weniger trägt. Im Gesundheitsbereich ist es wiederum die Finanzierungsstruktur, die es den Krankenhäusern immer schwerer macht, ihre Kosten zu decken.

Wie sehr fällt das im Vergleich zu westdeutschen Unternehmen geringere Eigenkapital der ostdeutschen Firmen ins Gewicht?

Bei kleinen bis mittleren Unternehmen spielt das durchaus eine Rolle. Im Osten bestehen diese Unternehmen in der Regel erst seit 1990. Und wenn sie dann über die Jahre hinweg vielleicht gerade mal kostendeckend oder mit kleinen Gewinnen gewirtschaftet haben, dann gab es keine Möglichkeit, ein nennenswertes Eigenkapital zu bilden. Dann fehlt sozusagen der Speck auf den Rippen, um auch für Krisenzeiten gerüstet zu sein. Da haben traditionsreiche Unternehmen in Westdeutschland oft ganz andere Reserven.

War die Aussetzung der Insolvenzanmeldepflicht in der Corona-Zeit rückblickend sinnvoll oder hat es eher Schaden angerichtet?

Am Anfang der Corona-Pandemie wussten die Unternehmen nicht, was übermorgen ist, ob sie noch an ihre Bankguthaben herankommen und ob die Lieferströme zusammenbrechen. Damit Unternehmer in so einer Krisensituation nicht planlos zum Insolvenzgericht laufen und tausende Insolvenzverfahren anmelden, war das aus meiner Sicht eine kluge und richtige Entscheidung.

Was ich kritisiere ist, dass die Aussetzung der Insolvenzanmeldung immer wieder verlängert wurde und vor allem in einer solchen Komplexität verlängert wurde, dass am Schluss kein Unternehmen mehr richtig wusste, ob und wann es Insolvenz anmelden muss. Auch Insolvenzexperten waren sich da uneinig.

Gibt es momentan einen Nachholeffekt bei den Insolvenzen?

Ja, das ist so. Ich habe in der Corona-Zeit gesagt, dass wir Zombieunternehmen bekommen, wenn die Anmeldepflicht für einen längeren Zeitraum ausgesetzt wird. Unternehmen, die noch leben, aber eigentlich schon tot sind. Das verzerrt den Wettbewerb, weil es gesunde Unternehmen schädigt. Dieser Effekt hat uns gefühlt um zehn Jahre zurückgeworfen.

Wir haben immer gepredigt: Wenn ihr eine Chance haben wollt, das Unternehmen zu retten, müsst ihr frühzeitig den Gang zum Insolvenzgericht antreten - also bevor Rückstände beim Lohn und beim Finanzamt und den Krankenkassen entstanden sind. Das ist so ähnlich wie beim Zahnarzt. Wenn ich zu spät dort hingehe, kann auch der beste Zahnarzt den Zahn nicht mehr retten. Durch die Krisen der vergangenen Jahre denken nicht wenige: Der Gesetzgeber setzt die Insolvenzpflicht wieder aus, wenn es eng wird. Und mit dieser Denke werden auch heute erneut Insolvenzen verschleppt.

Kann die Insolvenz auch eine Chance sein?

Die klassische Regelinsolvenz ist vom Gesetzgeber als Zerschlagung konzipiert. Aber auch hier konnten in den letzten 25 Jahren viele Unternehmen und Arbeitsplätze gerettet werden. Zusätzlich hat der Gesetzgeber die Insolvenz in Eigenverwaltung geschaffen. Dann bleibt der Unternehmer Herr im eigenen Haus.

Ein gutes Beispiel ist der Ferienflieger Condor. Da war ich lange Sachwalter. Die fliegen heute mehr denn je und beschäftigen mehr Mitarbeiter als vor der Insolvenz. Diese Form der Insolvenz wird jedoch nicht jedem erlaubt. Das geht nur, wenn das Management das Vertrauen des Gerichts und der Gläubiger genießt und vor allem rechtzeitig handelt.

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