Impfung und Maßnahmen Wie die Corona-Pandemie die Gesellschaft gespalten hat
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16. März 2025, 05:00 Uhr
Nach dem Lockdown-Schock gab es einen großen Zusammenhalt in der Gesellschaft. Doch Corona führte auch zu Krisen in Pflegeheimen oder zu Protesten. Menschen rebellierten – egal ob jung oder alt, kämpften um das wirtschaftliche Überleben. Wie sehr hat die Pandemie die deutsche Gesellschaft verändert?
- Vertrauen in Demokratie durch Pandemie gesunken
- Die Belastungen der Corona-Maßnahmen für Kinder
- Die Probleme für Unternehmer und Wirtschaft
- Manche Branchen besonders betroffen
- Experte: Heutige Polarisierung der Gesellschaft hat Ursprung in Pandemie
- Die Impfung und die Kontroversen
In Pflegeheimen hatte sich das Coronavirus während der Pandemie besonders rasant verbreitet. Fast jeder zweite Mensch, der mit Covid-19 gestorben ist, lebte in einem Pflegeheim. Oft starben die Menschen nur wenige Tage nach der Infektion. Im Altenpflegeheim St. Laurentius in Freyburg in Sachsen-Anhalt waren es im Januar und Februar 2021 insgesamt 35 Tote – ein Viertel der Bewohner. Sonst waren es im gleichen Zeitraum sechs.
Am Anfang hat uns Corona sehr zusammengeschweißt.
Das Personal stand unter starkem Druck. "Wir hatten zusätzlich zu den kranken Bewohnern dann noch den Personalausfall", sagt Laurentius-Pflegekraft Luisa Schindler. Sie mussten schauen, wie sie gemeinsam als Team durchkamen. "Am Anfang hat uns Corona sehr zusammengeschweißt." Die Spaltung innerhalb des Teams sei erst später gekommen.
Vertrauen in Demokratie durch Pandemie gesunken
"Das Vertrauen in Mitmenschen, Institutionen und die Demokratie sei seit den 1990er-Jahren recht stabil gewesen", sagt der Sozialforscher Kai Unzicker von der Bertelsmann-Stiftung. Die Corona-Pandemie sei das allererste Mal, dass wirklich große Veränderungen eintreten."
"Von Anfang 2020 bis in den Herbst hinein sehen wir zuerst eine Zunahme des Zusammenhalts", erklärt Unzicker, der zum gesellschaftlichen Zusammenhalt forscht. Da habe sich großes Vertrauen in die Politik entwickelt, die Gesellschaft sei sogar enger zusammengerückt. Ab Herbst/Winter 2020 zeichnete sich "plötzlich ein dramatischer Rückgang ab".
Rebellion gegen die Corona-Maßnahmen
Einige Menschen rebellierten gegen die vorgegebenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. "Wir waren 18, und wollten feiern", beschreibt Mathis, der Corona als Jugendlicher in Dortmund erlebte. Durch die Kontaktbeschränkungen durften er und seine Freunde sich nur im kleinen Kreis treffen.
Irgendwann hielten sie sich nicht mehr daran. "Wir haben es immer übertrieben", sagt Mathis. Zum Teil hätten sie sich mit 30 Leuten in einer kleinen Wohnung getroffen. "Wir haben uns quasi mit Kraft das genommen, was uns entzogen wurde." So wie er, handelten viele. Deutschlandweit kam es zu illegalen Corona-Partys, teils mit Tausenden Teilnehmern.
Einerseits: Risikopatienten und die Angst
Dass sich andere nicht an die Regeln gehalten haben, hat Walter Müller damals wütend gemacht. Sein damals dreijähriger Sohn lebt mit einem Herzfehler. "Man wusste zu dem Zeitpunkt ja einfach noch nicht, was Corona mit sich bringen würde und wie Risikopatienten wie mein Sohn darauf reagieren würden", so der 44-jährige Vater.
Die Familie hatte sich damals über Monate isoliert: "Wir hatten im Prinzip keine Kontakte, so wie es eben der Lockdown auch vorsah", so Müller. Ihm bereiteten soziale Kontakte großen Sorgen. "Die Angst vor einer Infektion und eben möglichen Komplikationen."
Andererseits: Das Gefühl der genommenen Freiheit
Anfangs hatten auch Dirk Rosenbaum und Susann Frenzel mit ihren drei Söhnen Verständnis für die Corona-Maßnahmen. Das sei aber schnell dem Gefühl gewichen, dass ihnen die Freiheit immer mehr genommen wurde. "Jeder Erwachsene ist für sich selbst verantwortlich", sagt Rosenbaum. "Wenn jemand Angst hat, kann er die Maßnahmen natürlich befolgen. Wir hingegen sahen die Maßnahmen einfach kritisch."
Wenn jemand Angst hat, kann er die Maßnahmen natürlich befolgen. Wir hingegen sahen die Maßnahmen einfach kritisch.
Dirk Rosenbaum fuhr damals extra von Erfurt nach Berlin, um gegen Kontaktverbote, Abstandsregeln und Maskenpflicht zu demonstrieren. Der Kipppunkt für die Familie: die Sorge um ihre Kinder. Aus ihrer Sicht sei klar gewesen, "dass Kinder definitiv keine Treiber sind", so Frenzel. Trotzdem sei die Pandemie auf dem Rücken der Kleinen ausgetragen worden. "Da habe ich gesagt: Jetzt reicht es."
Die Belastungen der Corona-Maßnahmen für Kinder
Gesperrte Spielplätze, Schulen und Kitas dicht, Homeschooling, für Familien wurde die Pandemie zur Belastungsprobe. Die Rückkehr in die Klassenräume erfolgte dann nur unter bestimmten Bedingungen – mit täglichen Corona-Tests und regelmäßigem Lüften, selbst im Winter.
Dazu fehlten Freizeitangebote, Sportvereine und soziale Kontakte. Die Langzeitfolgen: 400.000 Kindern und Jugendlichen geht es laut einer Studie der Uniklinik Hamburg psychisch schlechter als vor Corona.
Die Erfahrungen einer Kinderärztin
Die Zunahme psychischer Erkrankungen bei Kindern hat auch die Kinderärztin Ingrid Heimke erlebt. "Das Wort Maßnahmen wird mich wahrscheinlich bis ans Lebensende triggern", sagt sie heute.
Also ich habe da jetzt keinen Aushang gemacht: Wer noch ein Attest braucht, kann es bei mir haben.
Die Dresdnerin stellte damals Masken-Atteste aus und geriet dadurch ins Visier der Ermittlungsbehörden. "Also ich habe da jetzt keinen Aushang gemacht: Wer noch ein Attest braucht, kann es bei mir haben. Ich habe es in gut überlegten Fällen gemacht. Zum Beispiel, wenn ein Kind Asthma hatte, schlecht Luft oder Kopfschmerzen vom Tragen der Maske bekam."
Das Ermittlungsverfahren gegen Heimke wurde später eingestellt – sie hatte alles ordnungsgemäß dokumentiert. Doch: "Es schwingt die ganze Zeit so ein Generalverdacht mit. Bist du nicht für uns, bist du gegen uns." Sie habe ihre Unschuld erst beweisen müssen. Das empfindet sie als unfair.
Allerdings kam es auch zu Fällen, in denen Kinderärzte unrichtige Atteste ausstellten. Im Jahr 2021 registrierte das Bundeskriminalamt 673 Straftaten wegen des Ausstellens falscher Gesundheitszeugnisse.
Probleme für Unternehmer und Wirtschaft
Je länger die Pandemie dauerte, desto größer wurde der Schaden für die Wirtschaft. Anfang 2022 betrugen die Verluste laut Schätzungen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) bereits 290 Milliarden Euro. Die Hilfspakete von Bund und Ländern halfen einigen mehr, anderen weniger.
Mein Corona wird erst 2030 beendet sein.
"Mein Corona wird erst 2030 beendet sein", sagt Unternehmer René Heber. Der Self-Made-Man hatte sich Anfang der Neunziger Jahre selbstständig gemacht. Er fuhr im Zwickauer Land zunächst von Markt zu Markt und gründete bald darauf sein erstes eigenes Geschäft. Heute hat er 30 Angestellte und sieben Läden in der Region. Mit Dekorations- und Geschenkartikeln sowie Schreib- und Spielwaren. Der erste Lockdown traf sein Unternehmen mit voller Wucht.
"Also nach dem ersten Lockdown haben wir schon einen Verlust von 80.000 Euro gehabt", sagt der Unternehmern. Er hoffte auf Unterstützung der Politik, denn: "Wenn wir für die Gesundheit der Gesellschaft die Arbeit niederlegen müssen, dann wird uns sicherlich auch geholfen."
Unterschiedliche Hilfen in den Bundesländern
Doch im Frühjahr 2020 wurden die Corona Sofort-Hilfen von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. In Hessen oder Bayern hätten Hebers-Firma bis zu 30.000 Euro Sofort-Hilfe zugestanden, in Mecklenburg-Vorpommern sogar bis zu 40.000 Euro. In Sachsen gab es für ihn nur einen zinsfreien Kredit.
Zwar bekam Heber weitere Hilfen, wie Kurzarbeitergeld, doch die reichten nicht aus. Er verschuldete sich mehr und mehr – insgesamt 600.000 Euro sind es geworden, die nun bis 2030 in Raten abbezahlt werden müssen. "Uns ist Eigentum kaputt gegangen. Mein Vertrauen in die Politik ist generell hinüber", sagt Heber.
Manche Branchen besonders betroffen
Violet musste sogar mit einem monatelangen Berufsverbot zurechtkommen. Violet ist ein Künstlername, sie verdient ihr Geld vor allem als Domina und arbeitet seit 14 Jahren im Rotlichtmilieu. Mit dem Lockdown im Frühjahr 2020 mussten Bordelle und Erotikstudios schließen.
Violet besaß damals kaum finanzielle Rücklagen und konnte die Miete für ihre Privatwohnung nicht mehr bezahlen. Im Juli 2020 erhielt sie die Kündigung. Später akzeptierte ihr Vermieter eine Ratenzahlung. Von der Politik fühlte sich Violet damals im Stich gelassen, ihre Branche habe man links liegen lassen. Von den ersten Corona-Hilfen profitierte sie nicht. Aus Geldnot habe sie schließlich illegal weitergearbeitet – und riskierte Geldbußen. Ihre Sorge, nicht über die Runden zu kommen, war größer als ihre Angst erwischt zu werden.
Experte: Heutige Polarisierung der Gesellschaft hat Ursprung in Pandemie
Während der Corona-Zeit ist das Vertrauen in Politik und Demokratie gesunken. Das wirkt bis heute nach, wie Studien von Kai Unzicker belegen: "Es ist wahrscheinlich auch mit eine der zentralen Ursachen für die aktuelle politische Situation. Für die Zersplitterung, die Polarisierung und für eine sehr, sehr unruhige und turbulente politische Debatte."
Die Pandemie hat den gesellschaftlichen Zusammenhalt spürbar erschüttert, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung belegt: Dass man sich auf seine Mitmenschen verlassen kann, daran glaubte vor der Pandemie rund jeder zweite (47 Prozent). Nach Corona sind es nur noch 29 Prozent. Dafür nahm das Misstrauen zu. Fast jeder zweite misstraut inzwischen der Bundespolitik – es ist fast eine Verdopplung.
Die Impfung und die Kontroversen
Auch bei Familienvater Rosenbaum hat das Misstrauen zugenommen – von Lockdown zu Lockdown. Die Corona-Schutz-Impfung lehnte er für sich und seine Familie ab. "Am Ende war es so, dass Leute, die sich nicht haben impfen lassen: Das war der Abschaum der Gesellschaft." Viele Politiker und Medien hätten gesagt: "Die Ungeimpften sind Schuld an der Pandemie." Das habe stark zur Spaltung beigetragen.
Diese Verkürzung des Genesenen-Status hat uns gezeigt, man möchte hier den Druck auf die Ungeimpften deutlich erhöhen.
Als die 2G-Regel Nicht-Geimpfte von Restaurant- oder Kinobesuchen ausschloss, hatte die Familie durch eine zurückliegende Corona-Infektion einen Genesenen-Status. Doch den halbierte das Robert-Koch-Institut Anfang 2022 von einem halben Jahr auf drei Monate. "Diese Verkürzung des Genesenen-Status hat uns gezeigt, man möchte hier den Druck auf die Ungeimpften deutlich erhöhen", sagt Rosenbaum.
Die Familie habe ihre Grundrechte eingeschränkt gesehen und verklagte die Stadt Erfurt. Deutschlandweit gab es zahlreiche solcher Klagen gegen die örtlichen Gesundheitsbehörden. Die Verwaltungsgerichte entschieden dabei sehr unterschiedlich. Die Folge: Ein rechtlicher Flickenteppich.
Nach sechs Monaten hatte es im Fall Rosenbaum-Frenzel kein Urteil gegeben. Die Familie zog die Klage zurück, weil das Urteil ohnehin keinen Effekt mehr gehabt hätte. Sie hatten das Gefühl, dass sich das Gericht vor der Entscheidung gedrückt habe.
Protest gegen die einrichtungsbezogene Impfpflicht
Die Impfung sollte der große Game-Changer sein. Doch die Impfquote blieb hinter den Erwartungen zurück. Pflegekraft Luisa Schindler aus Freyburg hatte Angst vor der Impfung. "Ich wollte Kinder haben. Ich hatte keine Ahnung, was das mit meinem Körper macht."
Schindler fühlte sich damals unter Druck gesetzt, denn ab Mitte März 2022 galt für sie eine Impfpflicht. Der Bundestag hatte die einrichtungsbezogene Impfpflicht im Gesundheitswesen beschlossen. Ihr und anderen Nicht-Geimpften drohte ein Beschäftigungsverbot. Schindler gab schließlich nach.
Ich wollte Kinder haben. Ich hatte keine Ahnung, was das mit meinem Körper macht.
In dieser Zeit war selbst im Team des Pflegeheims die Polarisierung spürbar. Impfgegner und Impfbefürworter wollten zeitweise nicht einmal mehr zusammenarbeiten, so Schindler.
Im Gesundheitswesen wuchs der Widerstand. Immer mehr Menschen gingen auf die Straße. Studien belegten bereits, dass die Impfung weder vor Infektion noch vor Weitergabe des Virus schützte. Zudem setzte sich die weniger gefährliche Omikron-Variante mehr und mehr durch.
Genau darauf verwies auch die Kinderärztin Ingrid Heimke. Im Dresdner Stadtrat forderte sie die "freie Impfentscheidung”. Sie wurde als Gastrednerin von der AfD-Fraktion. eingeladen. Nur am rechten Rand habe sie Plattform bekommen, um sich gegen die drohenden Einschränkungen zu wehren. "Ich wusste damals nicht, ob ich am Ende des Jahres überhaupt noch praktizieren darf. Es ist extrem gedroht worden."
Die aktuellen Nachwirkungen der Pandemie
Die Pandemie hat deutliche Spuren hinterlassen. "Das ganze Klima ist nachhaltig vergiftet, zerstritten und mies, wie ich es nie in diesem Land erlebt habe", sagt Heimke. Andere versuchen die Erinnerungen von sich wegzuhalten. "Das ist wirklich aus dem Gedächtnis gestrichen, solange es keiner anspricht", sagt Pflegekraft Schindler.
Dieses Thema im Programm: Das Erste | FAKT | 18. März 2025 | 21:45 Uhr