Landtagswahlen im Osten AfD und BSW: Keine Koalition, aber inhaltliche Kooperation?
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03. September 2024, 08:22 Uhr
Sachsen und Thüringen haben gewählt. Die AfD hat in beiden Ländern stark abgeschnitten, in Thüringen wurde sie sogar stärkste Kraft. Und auch das BSW feiert große Erfolge. Nun wird über eine mögliche Zusammenarbeit diskutiert: Zwar gibt es ideologische Differenzen, doch in vielen und vor allem grundsätzlichen Punkten gibt es zwischen den beiden Parteien Überschneidungen.
- Schnittmengen in der Außenpolitik von AfD und BSW: Ukraine, Russland und Raketen
- Die Innenpolitik: Positionen mit Überschneidungen zu Migration, Gas oder Windkraft
- Weitere Schnittmengen der Parteien: Corona-Pandemie, Rundfunk und Verbrenner-Aus
- Zwischen Ideologie und machtpolitischer Strategie
Eine Zusammenarbeit von AfD und BSW in Brandenburg, Sachsen oder Thüringen halten zwei renommierte Politikwissenschaftler für denkbar. Denn es gebe viele und starke Überschneidungen zwischen den Parteien – und offenbar auch mehr als mit anderen Parteien. Zudem hat BSW-Chefin Sahra Wagenknecht bereits erklärt, dass sie sich inhaltliche Kooperationen mit der AfD vorstellen könne. Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt hatte deshalb dem BSW bereits vorgeworfen, sich die Option einer Zusammenarbeit mit der AfD offenzuhalten.
Am Wahlabend schloss BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht eine Koalition mit der Thüringer AfD unter Björn Höcke aus. "Höcke vertritt ein völkisches Weltbild, das ist also meilenweit von uns entfernt", sagte Wagenknecht in der ARD. "Wir haben immer gesagt, mit Herrn Höcke können wir nicht zusammenarbeiten." Wagenknecht deutete aber an, das BSW könne einzelnen Anträgen der AfD im Landtag zustimmen, wenn sie die Inhalte teile.
Außenpolitik: Ukraine, Russland und Raketen
Schon vor dem Landtagswahl sprach Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der TU Dresden von großen inhaltlichen Schnittmengen bei den beiden Parteien.
"Da haben wir natürlich das große Thema Außenpolitik", sagte Vorländer. Die Waffenlieferungen an die Ukraine wollen sowohl die Alternative für Deutschland als auch das Bündnis Sahra Wagenknecht beenden. Beide Parteien wollen keine Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland.
Sowohl AfD als auch BSW wollen außenpolitisch "eine Abkehr von der Westintegration", sagte der Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität Köln, Thomas Jäger. Die Westintegration sei seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine zwingende Bedingung gewesen, wenn eine Partei mitregieren wollte. Dazu gehörten etwa Bekenntnisse zur Europäischen Union oder der Nato. "Das wollen AfD und BSW ändern", so Jäger. Mitglieder beider Parteien äußerten sich zudem immer wieder russlandfreundlich oder verbreiteten gar russische Propaganda.
BSW-Chefin Wagenknecht hatte als Grundvoraussetzungen für eine Koalition die Waffenlieferungen und die Raketen-Stationierung genannt. "Das erfüllt nur die AfD", sagte Jäger. "Und das kann sie auch nicht einfach wieder zurückziehen ohne Gesichtsverlust."
Innenpolitik: Migration, Gas oder Windkraft
Bei einem anderen großen Thema seien sich AfD und BSW ebenfalls sehr ähnlich. "Die AfD formuliert drastischer, völkischer und konsequenter", sagte Jäger. Aber insbesondere beim Thema Migration – Aufnahme, Asyl oder Abschiebungen – seien sich die beiden Parteien recht einig.
So schreibt etwa das BSW im Wahlprogramm für Thüringen: "[…] wenden uns aber gleichzeitig gegen Asylmissbrauch und unkontrollierte Einwanderung in die Sozialsysteme". Die AfD schreibt in ihrem Wahlprogramm zum gleichen Thema: "Die Thüringer AfD hingegen will alle rechtlich bestehenden Möglichkeiten nutzen, um Sozialmigration nach Thüringen so unattraktiv wie möglich zu machen."
Auch beim "zweiten Topthema in Deutschland kommen AfD und BSW in keinen Streit", sagte Jäger. In der Klima- und Energiepolitik wollen dem Politikwissenschaftler zufolge beide Parteien nicht viel tun. Das BSW will etwa die Entscheidung über den Bau neuer Windkraftanlagen in Thüringen den Kommunen überlassen. Die AfD will dort den Ausbau weitestgehend stoppen.
Die Energieversorgung soll offenbar anders sichergestellt werden. Ein Punkt: Die AfD fordert in ihren Wahlprogrammen für Sachsen, Thüringen und Brandenburg größtenteils direkt die Wiederaufnahme des Imports von russischem Gas. BSW-Chefin Wagenknecht hatte Mitte August erklärt, dass sie sich im Falle einer Regierungsbeteiligung in Brandenburg dafür einsetzen wolle, dass die PCK-Raffinerie in Schwedt wieder mit russischem Öl versorgt werde.
Überschneidungen: Corona-Pandemie, Rundfunk, Verbrenner-Autos und Verfassungsschutz
Es kommen weitere Schnittmengen in verschiedenen Politikbereichen hinzu, sagte der Dresdner Politikwissenschaftler Vorländer: Beide Parteien wollen eine Aufarbeitung der Corona-Zeit. Beide fordern eine Streichung des Verbots von Verbrenner-Autos. Beide wollen den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk beschneiden und die Kompetenzen des Verfassungsschutzes beschränken.
So schreibt das BSW im Wahlprogramm für Sachsen: "Um das Sicherheitsgefühl der Bürger gegenüber Bespitzelung und Manipulation zu steigern, setzen wir uns für eine Begrenzung der Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ein."
Die AfD formuliert es für Sachsen so: "Der Verfassungsschutz muss in seiner jetzigen Form abgeschafft und mit einer vollständigen Überarbeitung des Verfassungsschutzgesetzes neu aufgestellt werden." Der Verfassungsschutz stuft die AfD sowohl in Brandenburg als auch in Sachsen und Thüringen als "erwiesen rechtsextremistisch" ein und diese drei Landesverbände werden durch die Behörde beobachtet.
Unterschiedliche Positionen im Bereich Wirtschaft
"Bei den großen Ressorts gibt es keine Unterschiede", fasste Jäger zusammen. Den größten Unterschied gibt es aus seiner Sicht im Bereich Wirtschaftspolitik. "Da ist Wagenknecht eher sozialistisch geprägt und die AfD aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte vor allem marktpolitisch." Doch beide Parteien wollen laut Wahlprogrammen etwa das Regionale fördern und sind national fokussiert.
Ein weiterer Unterschied ist offenbar das Bildungssystem und der Lehrermangel. Da will die AfD etwa in Thüringen laut Wahlprogramm das Schulsystem weitreichend umstrukturieren und Lehrkräfte per Bedarfsanalyse freisetzen und so mehr für Unterrichtserteilung statt Organisationsaufgaben einsetzen. Das BSW will diesem Punkt laut Wahlprogramm über die bessere Anerkennung von ausländischen Abschlüssen begegnen.
Beide Parteien haben deutlich mehr Gemeinsamkeiten miteinander und auch mehr Überschneidungen als jeweils mit anderen Parteien.
Doch AfD und BSW seien sich grundsätzlich einig, so Jäger: "Beide Parteien haben deutlich mehr Gemeinsamkeiten miteinander und auch mehr Überschneidungen als jeweils mit anderen Parteien. Und das auch noch in Grundsatzfragen."
Zwischen Ideologie und machtpolitischer Strategie
Der Dresdner Professor Vorländer resümierte, dass es eine ganze Menge Überschneidungen in verschiedenen Politikbereichen gebe. "Wobei auch immer wieder die Frage ist, ob das jeweils tatsächlich in die Kompetenz der Länder fällt." Viele Forderungen könnten nur auf Bundesebene gelöst und über Initiativen in den Bundesrat eingebracht werden.
Vorländer hält eine Koalition von AfD und BSW nur theoretisch für denkbar. Denn für Wagenknecht, die die Verhandlungen persönlich führen will, sei es ein Verrat an ihrer eigenen persönlichen, politischen Geschichte. "Ihre marxistisch-antifaschistische Sozialisation und Vergangenheit steht einer Zusammenarbeit mit neonationalsozialistischen, rechtsextremistischen oder gar faschistischen Gruppen ein bisschen im Wege."
Wenn man sich ganz bestimmte Mehrheitskonstellationen anguckt, dann können natürlich beide [Parteien, Anm. d. Red.] versucht sein, doch in Gespräche zu kommen.
Doch ohne diese ideologischen Gegensätze gibt es Überschneidungen. "Und wenn man sich mal ganz bestimmte Mehrheitskonstellationen anguckt", so Vorländer, "dann können natürlich beide versucht sein, doch in Gespräche zu kommen."
Hinzu kommt aus Sicht des Kölner Politikwissenschaftlers Jäger, dass beide Parteien gern an die Macht wollen. "Das kann in drei Bundesländer gleichzeitig möglich sein. Diese machtpolitische Dimension muss man mitdenken." Und in vielen Punkten könnten aus seiner Sicht Kompromisse gefunden werden. Die Beteiligung an einer oder mehrerer Regierungen sei sowohl für die AfD als auch das BSW der Schritt nach vorn.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 02. September 2024 | 17:45 Uhr
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