AfD-Pläne Höckes 5-Punkte-Plan für den Fall, dass die AfD Thüringen regiert

28. August 2024, 08:00 Uhr

Die Landtagswahl am 1. September 2024 ist noch nicht gewonnen, aber der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke denkt schon über den Machtwechsel nach. In seiner Rede auf dem Parteitag in Pfiffelbach umriss Höcke seine Pläne für den Umbau der Gesellschaft in einem AfD-regierten Thüringen. Fünf Punkte kristallisieren sich heraus, die demokratisch nicht unbedenklich sind und die mehr Fragen aufwerfen, als sie Probleme lösen.

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"Wir werden einen langen Weg des Aufräumens und des Neuaufbauens gehen", sagt Björn Höcke zum Ende seiner Rede beim AfD-Landesparteitag in Pfiffelbach am 17. November 2023. Es sind Worte, die von seinen Getreuen beklatscht und bejubelt werden - für alle, die es nicht mit der AfD halten, müssen sie wie eine Warnung klingen.

Denn was Höcke an diesem Abend in seiner 30-minütigen Rede ausbreitet, ist sein Plan für ein AfD-regiertes Thüringen. Dabei verrät er nicht, wie, also mit welcher Mehrheit, er regieren will - denn derzeit gibt es für ihn keine Machtoption; vielmehr skizziert er, wie, also mit welchen Mitteln, er den Freistaat verändern will, falls sich eine Machtoption bietet.

Im Wesentlichen beschreibt er fünf Punkte. Höcke will:

Was in den Ohren von strammrechten AfD-Anhängern und wohl auch einigen der selbsterklärten Protestwähler wie Musik klingen mag, wirft bei genauer Betrachtung mehr Fragen auf, als es Lösungen verspricht.

Es lohnt sich jedenfalls, sich mit diesen Plänen für den Machtwechsel auseinanderzusetzen, denn unter Umständen können sie schon nächstes Jahr Realität werden. Nämlich dann, wenn die AfD bei der Landtagswahl 2024 mehr als 40 Prozent (aktuell liegt sie je nach Umfrage zwischen 32 und 34 Prozent) der Stimmen holt und sowohl FDP als auch Grüne die Fünf-Prozenthürde reißen.

Dann könnte es rechnerisch zu einer AfD-Regierung auch ohne CDU reichen, weil die abgegebenen Stimmen für die Parteien mit weniger als fünf Prozent nicht mitgezählt werden.

Fragen wir uns also: Was könnte ein Ministerpräsident Björn Höcke von diesem 5-Punkte-Plan umsetzen und was wären die Folgen?

Punkt 1: Thüringen soll den Bund für seine Flüchtlingspolitik verklagen

"Eine der ersten Maßnahmen wird sein, das, was Horst Seehofer 2015 angekündigt hat, [umzusetzen]", sagt Höcke in seiner Rede auf dem Parteitag. Seit 2015 würden das Europarecht und das Grundgesetz im Bereich der Migration nicht mehr exekutiert werden.

Seehofer hätte das damals erkannt und ein Organstreitverfahren angekündigt, aber nie geklagt. Die Klage werde eine der ersten Maßnahmen sein, "die wir in Thüringen mit einer AfD-Regierung umsetzen werden und zwar so schnell wie möglich", so Höcke.

Damit meint Höcke die vom bayerischen Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) angedrohte Verfassungsklage in der Flüchtlingsfrage. Seehofer hatte 2016 (Höcke spricht irrtümlich von 2015) erklärt, die Entscheidung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die Grenze von Österreich nach Deutschland für Geflüchtete offenzuhalten, sei nicht rechtens gewesen.

Er sprach von einer "Herrschaft des Unrechts" und drohte, der Freistaat Bayern könnte dagegen eine Verfassungsklage anstrengen. Dazu kam es nicht. Merkel und Seehofer fanden einen Kompromiss und einigten sich auf eine Obergrenze von maximal 200.000 Flüchtlingen pro Jahr.

Bundesinnenminister Horst Seehofer, CSU, während einer Kabinetts-Sitzung (Mai 2018 in Berlin)
Horst Seehofer (CSU) war von 2008 bis 2018 bayerischer Ministerpräsident. Bildrechte: Imago-Stock

Weil Seehofer nicht klagte, zog die AfD 2018 schließlich selbst gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung vor das Bundesverfassungsgericht und scheiterte. Das Verfassungsgericht wies die Klage als unzulässig zurück. Die Partei hätte nicht ausreichend belegen können, in ihren Rechten verletzt worden zu sein.

Zudem machten die Richter klar, dass das angestrebte Organstreitverfahren nicht dazu geeignet sei, als Partei die Verfassungsmäßigkeit des Handelns der Bundesregierung zu überprüfen. Ein Organstreitverfahren sei vielmehr bei der Klärung von Kompetenzstreitigkeiten das richtige Mittel.

Höcke kündigt in Pfiffelbach an, dass er dieses Verfahren als Ministerpräsident noch einmal anstrengen würde - im Namen des Freistaats Thüringen. Dabei wolle er sich auf Artikel 20 des Grundgesetzes beziehen. Dieser besagt, dass die vollziehende Gewalt an Gesetz und Recht gebunden ist.

Da in der Flüchtlingsfrage sowohl Bund als auch Länder eine vollziehende Gewalt darstellen, hofft Höcke, das Organstreitverfahren als Freistaat Thüringen führen und gewinnen zu können. Wie wahrscheinlich das ist, lässt sich schwer einschätzen. Fest steht, es gibt im Grundgesetz mit Artikel 16a auch ein Asylrecht, das bei dem Gerichtsentscheid eine wesentliche Rolle spielen dürfte.

Ganz unabhängig davon, ob dieser Prozess erfolgreich wäre, würde Höcke damit versuchen, der Flüchtlingspolitik von Merkel auch juristisch zu Leibe zu rücken. Gegen diese Politik agitiert er seit 2015 und bezeichnet sie auch in Pfiffelbach noch einmal als "Putsch von oben". Durch ein solches Verfahren würde er seine Erzählung vom "Unrechtsstaat" noch einmal medienwirksam platzieren. Zugleich wäre es ein Signal an den Bund und an alle Menschen nichtdeutscher Herkunft in Thüringen.

Punkt 2: Der Verfassungsschutz soll umgekrempelt werden

Der zweite Punkt auf der Agenda eines Ministerpräsidenten Höckes wäre die "Demokratisierung" des Verfassungsschutzes. "Demokratisieren" meint in Höckes Welt sämtliche Kompetenzen der Behörde zur Überwachung extremistischer Bestrebungen zu beschneiden.

Dazu zählt der Thüringer Verfassungsschutz auch die AfD Thüringen, die er als erwiesen rechtsextrem einstuft. "Dieser Verfassungsschutz wird keine Gesinnungsschnüffelei mehr betreiben", sagt Höcke in Pfiffelbach, "der wird vor allem eins machen: Der wird Wirtschaftsspionage aufklären."

Das Aufklären von Wirtschaftsspionage und Cyberkriminalität ist zwar genuiner Bestandteil der Aufgaben des Thüringer Verfassungsschutzes, doch seine Kernaufgabe ist der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sein Schwerpunkt, so steht es in Paragraf 1 des ThürVerfSchG, liegt darin, "nachrichtendienstliche Mittel im Bereich der gewaltorientierten Bestrebungen" einzusetzen und deren Entstehen vorzubeugen.

Stephan Kramer,  Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz
Stephan Kramer ist seit 2015 Präsident des Thüringer Amtes für Verfassungsschutz. In seiner Amtszeit wurde die AfD Thüringen 2019 zunächst zum Beobachtungsfall. 2021 wurde der Landesverband der AfD schließlich als "erwiesen rechtsextrem" eingestuft. Bildrechte: imago images / Jacob Schröter

Ginge es nach Höcke, würden sich die Aufgaben der Behörde auf die Abwehr von Wirtschaftsspionage beschränken. Mit einer absoluten Mehrheit im Landtag ließe sich das Thüringer Verfassungsschutzgesetz dahingehend ändern. Die Folge wäre das Ende der Extremismusbekämpfung durch den Verfassungsschutz, wovon nicht nur die AfD, sondern auch linksextremistische, terroristische, islamistische und anderen gewaltbereite Strömungen profitieren würden.

In der Praxis dürfte der Umbau des Thüringer Verfassungsschutzes nicht so einfach werden. Dafür sorgt die Bundesgesetzgebung: In Paragraf 1 bis 5 des BVerfSchG regelt sie die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern.

Daraus geht hervor, dass der Thüringer Verfassungsschutz verpflichtet ist, mit der Bundesbehörde in klar definierten Aufgabenfeldern zusammenzuarbeiten. Heißt: Der Thüringer Verfassungsschutz wäre durch das Bundesgesetz weiter dazu verpflichtet, extremistische Strömungen wie die AfD zu beobachten und zu bekämpfen.

Etwas anderes hingegen ist die Durchsetzung des Gesetzes, die maßgeblich von einem Behördenleiter beeinflusst werden kann. Um diese personelle Einflussmöglichkeit weiß auch Höcke. In Pfiffelbach kündigt er deshalb an, den jetzigen Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten, Stephan Kramer, abberufen und ersetzen zu lassen.

Dazu ist zwar nur der Innenminister in der Lage, aber den könnte ein zukünftiger Ministerpräsident Höcke ja selbst ernennen. Folglich wäre das eine realistische Option.

Punkt 3: Kein Geld mehr für Demokratie, Vielfalt und Engagement gegen Rechtsextremismus

Neben dem Verfassungsschutz würde Höcke sich dann auch sämtliche zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine vornehmen, die der AfD ein Dorn im Auge sind. "Wir werden den Ideologie-Staat zurückdrängen. […] Wir werden den Kampf gegen Rechts einstellen", kündigt er in Pfiffelbach an. "Wir werden keine neuen Landesprogramme aufsetzen, die den Menschen sagen, wie sie zu denken haben."

Wenn Höcke vom "Kampf gegen Rechts" spricht, meint er das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Rechtsextremismus und für ein tolerantes und weltoffenes Miteinander. Er zielt damit unter anderem auf das Denkbunt Landesprogramm, das seit 2011 Projekte für Demokratie, Weltoffenheit und Toleranz fördert.

Im Jahr 2023 förderte es nach Angaben des Thüringer Bildungsministeriums 23 Thüringer Landkreise und kreisfreie Städte beim Aufbau von lokalen Partnerschaften für Demokratie. Zudem unterstützte Denkbunt 46 weitere Projekte von Vereinen oder Bildungsträgern. Insgesamt gab das Land 2023 dafür rund 6,1 Millionen Euro aus.

Würde dieses Landesprogramm wegfallen, fänden Opfer rechtsextremer Gewalt sowie Szene-Aussteiger kaum noch Hilfsangebote in Thüringen. Viele Schulprojekte, Lesungen, Informationsveranstaltungen und andere zivilgesellschaftliche Anstrengungen für Weltoffenheit bekämen keine finanzielle Unterstützung mehr.

Reinhard Schramm, der Vorsitzende der jüdischen Landesgemeinde in Thüringen, hält das Denkbunt-Programm für unverzichtbar: "Ein Wegfall wäre einschneidend und negativ für uns. Wir brauchen die Gesellschaft im Kampf gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus." Das Programm sei Ausgangspunkt vieler Initiativen der Zivilgesellschaft.

Auch das Schulprojekt "Tacheles mit Simson", das die jüdische Landesgemeinde auch 2024 weiterführen will, wird über Denkbunt ermöglicht. "Wir erachten das Förderprogramm in unserer Arbeit mit Schülern für besonders wichtig", sagt Schramm.

Auch die vier wichtigsten Thüringer Beratungsstellen beim Thema Rechtsextremismus - Mobit, Ezra, Drudel 11 und das Violence Prevention Network - stünden vor dem Aus. "Höckes Pläne würden Stand heute die staatlich geförderte Arbeit gegen Rechts beenden", sagt Romy Arnold von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus (Mobit). Über Jahrzehnte aufgebaute Netzwerke im Kampf gegen Rechtsextremismus würden zerschlagen werden. "Das Problem ist, dass die Bundesmittel an die Zusage der Landesmittel gekoppelt sind", sagt Arnold.

Am Beispiel Mobit rechnet sie vor: "Wir werden vollfinanziert durch Fördermittel: 743.000 Euro pro Jahr. Circa ein Viertel vom Land, drei Viertel vom Bund." Ohne Landesmittel fehlten dem Verein dann also auch Bundesmittel in Höhe von rund 550.000 Euro.

Romy Arnold von der Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus
"Höckes Pläne würden stand heute die staatlich geförderte Arbeit gegen Rechts beenden", sagt Romy Arnold von Mobit. Bildrechte: Mobit

"In der Regel werden Bundesmittel an Ko-Finanzierungen gebunden, die von Gebietskörperschaften erbracht werden können, aber auch von dritter Seite", heißt es dazu aus dem Thüringer Bildungsministerium. Der letzte Strohhalm für die Demokratieprojekte wären dann also Kommunen, Stiftungen oder sonstige Trägervereine, die für das Land finanziell einspringen müssten.

Realistisch scheint das aber nicht. Deshalb drängen Mobit und die anderen Beratungsstellen auf eine Gesetzesnovellierung. "Der Gesetzgeber muss die Fördermittelstrukturen jetzt verändern, ehe es zu spät ist", so Arnold.

Punkt 4: Klimaschutz beenden

In Pfiffelbach erklärt Höcke außerdem, dass er jedes "Klimagedöns, das auf landesgesetzlichen Regelungen fußt", abräumen wolle. In Thüringen werde dann keine "Luftpolitik" mehr gemacht. Höcke führt diesen Punkt nicht weiter aus. Sollten seine Vorstellungen hier ähnlich radikal sein wie bei seinem "Kampf gegen Rechts", ist davon auszugehen, dass Thüringen sämtliche Klimaschutzbemühungen und auch die entsprechenden Förderprogramme auf Landesebene einstellen würde.

Derzeit fördert Thüringen Klimaschutzmaßnahmen von Kommunen, Unternehmen und Privatpersonen mit fünf Landesprogrammen. Die mit Abstand größten Programme sind der rund 50 Millionen Euro schwere Klimapakt mit den Kommunen, zu dem das 13 Millionen Euro schwere Klima Invest Programm gehört, von dem neben Kommunen auch Vereine und gemeinnützige Einrichtungen profitieren.

Für Unternehmen gibt es in Thüringen außerdem das Green Invest Ress mit insgesamt 27,5 Millionen Euro - Geld, das der Freistaat aus EU-Fördertöpfen bezieht. Wesentlich kleinere Programme, wie der gerade ausgelaufene Sanierungsbonus-Plus oder der Reparaturbonus, unterstützen Privatpersonen.

Letztere seien jedoch nicht zu unterschätzen, sagt Ramona Ballod, Energie- und Nachhaltigkeitsexpertin von der Thüringer Verbraucherzentrale: "Der Reparaturbonus wird in Thüringen sehr gut angenommen und ist sehr wichtig für die Verbraucher."

Jeder Thüringer ab 18 Jahren könne damit einen 50-prozentigen Zuschuss (maximal aber 100 Euro) für die Reparatur von Elektrogeräten erhalten. Ob kaputtes Handy, Waschmaschine, Fön oder Rasenmäher - fallen Reparaturkosten an, gibt der Freistaat die Hälfte dazu. Indirekt profitierten Verbraucher auch von der kostenlosen Energieberatung (gefördert von Bund und Land) oder dem Solarrechner der ThEGA, sagt Ballod.

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Ramona Ballod ist Energieberaterin bei der Thüringer Verbraucherzentrale. Im Interview erklärt sie, wie der Wegfall von Klimaförderprogrammen die Verbraucher betreffen würde.

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Die Thüringer Energie und Greentech Agentur (ThEGA) zählt als landeseigener Betrieb wohl auch zu dem "Klimagedöns", das Höcke abräumen will. Sie berät Kommunen und Unternehmen inhaltlich und finanziell beim Klimatransformationsprozess. So würden etwa kleine und mittlere Unternehmen in Thüringen mit dem Green Invest Ress Programm unterstützt, erklärt Andreas Braun, Pressesprecher der ThEGA. Bis zu 60 Prozent Förderung bekämen Unternehmen hier für energieeffizientere Anlagen.

Für Kommunen ist ein anderes Förderinstrument wichtig: "Rund 500 Kommunen haben das Klima Invest Programm in den letzten Jahren genutzt", sagt Braun. Damit hätten sie energetische Sanierungen vorgenommen, Heizungsanlagen getauscht oder ihre Straßenbeleuchtung auf LED umgestellt. Maßnahmen, die nicht nur CO2, sondern auch Energiekosten in den kommunalen Haushalten einsparen würden. Mit Klima Invest und Bundesmitteln kämen dabei Förderquoten von bis zu 85 Prozent zustande.

Wenn diese Programme wegfielen, "könnten sich viele Kommunen die Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr leisten", sagt Braun. Gerade kleinere Kommunen würden dann mit den gesetzlichen Verpflichtungen zum Klimaschutz allein gelassen werden. "Es gibt das Bundesklimaschutzgesetz, das gibt vor, dass bis 2045 Thüringen Klimaneutral sein muss. Es gibt das Klima-Effizienz-Gesetz, das Kommunen dazu verpflichtet Energie zu sparen. Es gibt den Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes 2021, der den Klimaschutz zu einer Aufgabe von Verfassungsrang macht", erklärt Braun. Heißt im Klartext: Egal, ob es der AfD und Höcke passt oder nicht, Thüringer Kommunen müssen Klimaschutz betreiben.

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Anderas Braun ist Pressesprecher der Thüringer Energie und Greentech Agentur (ThEGA). Im Interview erklärt er, wie und warum Klimaschutz und Wirtschaft zusammenhängen.

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Gleiches gilt für die Thüringer Unternehmen, die ohne die Klimaförderung des Landes im weltweiten Wirtschafts-Wettlauf zurückbleiben würden. "Wer diesen Wettlauf gewinnt, sichert sich die Poleposition für die Märkte der Zukunft", sagt Braun. Wenn Thüringen da aussteige, seien mittelfristig der Wirtschaftsstandort und Arbeitsplätze bedroht. "Die Förderung von Klimaschutz ist auch eine Förderung von Wirtschaft."

Braun macht ein Beispiel: die Zulieferindustrie in Thüringen für den Automobilmarkt. "Die großen Autohersteller gehen in Richtung Klimaneutralität und verlangen das inzwischen auch von ihren Zulieferern. Klimaneutralität ist mittlerweile Kernelement des Geschäftsmodells für Zulieferer, die sonst nicht mehr an die großen Verträge kommen."

Die ThEGA steht mit dieser Einschätzung nicht allein. Auch die IHK Erfurt sieht die Pläne von Höcke kritisch. "Die Anzahl an Unternehmen in den Bereichen nachhaltiger, umwelt- und klimafreundlicher Technologien steigt stetig und erreicht mittlerweile einen Anteil von 8,8 Prozent - also 5,4 Milliarden Euro - an der gesamten Thüringer Wirtschaft", erklärt Hauptgeschäftsführerin Dr. Cornelia Haase-Lerch auf Anfrage von MDR THÜRINGEN.

Der Sektor leiste einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung im Freistaat. "Sich dem entgegenzustellen, halte ich nicht für richtig. Im Gegenteil, Thüringen braucht mehr Investitionen in diese Zukunftstechnologien", so Haase-Lerch.

Punkt 5: Medienstaatsverträge kündigen und den Rundfunk staatlich finanzieren

Der letzte Punkt in Höckes Plan beschäftigt sich mit einer fundamentalen Umgestaltung der Medienlandschaft. In Pfiffelbach erklärt er "die Medienstaatsverträge" kündigen zu wollen. "Ja, das macht der Höcke!", ruft er, von sich selbst in dritter Person sprechend, in den Saal und erntet Applaus von seinen Parteifreunden.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei zu teuer. Er habe zu viele überflüssige Programme und betreibe Regierungspropaganda, sagt Höcke. "Stattdessen soll es einen Grundfunk geben, vielleicht zehn Prozent, von dem was wir jetzt haben. Es wird eine Grundversorgung geben, aber keinesfalls mehr einen Zwangsbeitrag. Das wird dann durch Steuern finanziert."

Steuerfinanzierte Medien? Wäre das dann nicht Staatsfunk? Jochen Fasco, der Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt (TLM) und gelernter Jurist, ordnet es betont diplomatisch ein: "Ich glaube, am Ende ist eine Steuer immer die zweitbeste Lösung, wenn sie sakrosankt wäre. Aber welche Steuer ist das schon?"

Sakrosankt - also unantastbar - müsste eine solche Steuer nämlich sein, damit sie vor dem Bundeserfassungsgericht überhaupt Bestand hätte. Dieses urteilte schon 1961, im ersten Rundfunkurteil, dass der Rundfunk "weder dem Staat noch einer gesellschaftlichen Gruppe ausgeliefert" werden darf.

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Jochen Fasco ist Direktor der Thüringer Landesmedienanstalt. Im Interview erklärt er, was für Folgen es für Thüringen hätte, aus den Medienstaatsverträgen auszusteigen.

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In insgesamt 16 Rundfunkentscheiden, stellte das Bundesverfassungsgericht dem Rundfunk eine Reihe von Garantien aus. 1987 gab das Gericht zum Beispiel die Garantie, dass die geforderte mediale Grundversorgung keine Minimalversorgung sei, sondern dass dazu auch eine Mehrzahl von unterschiedlichen Programmen zähle, um eine Meinungsvielfalt abzubilden und eine Meinungsbildung zu ermöglichen.

Wie Höcke seine "zehn Prozent, von dem was wir jetzt haben" vor dem Bundesverfassungsgericht begründen will, wenn man bedenkt, dass die Meinungsvielfalt im Internet-, KI- und Social-Media-Zeitalter ungleich größer ist als noch 1987, dürfte spannend werden.

Klar ist, dass ein solch radikaler Finanzierungsschnitt das Programm von MDR THÜRINGEN maßgeblich beeinträchtigen würde. Das gilt sowohl für das MDR THÜRINGEN-Radioprogramm mit täglich rund 550.000 Hörern und Hörerinnen, die TV-Sendung MDR THÜRINGEN JOURNAL mit allabendlich etwa 144.000 Zuschauern als auch das MDR THÜRINGEN Online-Angebot mit monatlich bis zu fünf Millionen Abrufen.

Aber kann Höcke die Medienstaatsverträge überhaupt kündigen? "Ja, man kann aus jedem Vertrag, den man schließt, aussteigen", sagt Fasco. "Da gibt es Zwei-Jahres-Fristen. Die nächste ist Ende 2024. Aber es bräuchte dann ein Gesetz." Das ist die Krux an Höckes Plan: Er müsste eine gerichtsfeste Alternative für Thüringen finden, die den Anforderungen von mehr als 60 Jahren Rundfunk-Rechtsprechung durch das Bundesverfassungsgericht genügt.

"Wie ein solcher Staatsvertrag entsteht, ist mühsam", sagt Fasco. Der Gesetzgeber sei zwar sehr frei darin Strukturen, Modelle und Finanzierungen zu finden, aber er muss sie finden. Denn Artikel 5 des Grundgesetzes verlangt: "Die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet." Nicht nur ermöglicht, sondern "gewährleistet". Das ist der entscheidende juristische Unterschied, durch den das Grundgesetz die Regierung dazu verpflichtet, die freie Berichterstattung (auch finanziell) sicherzustellen.

Sollte Höcke trotz allem aus dem MDR-Staatsvertrag, dem Medienstaatsvertrag, dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag und dem Rundfunkbeitrags-Staatsvertrag aussteigen, wäre das übrigens nicht nur ein Angriff auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Was oft vergessen wird: Die Lizenzvergabe der privaten Rundfunksender wie zum Beispiel Antenne Thüringen oder Landeswelle Thüringen läuft über die Thüringer Landesmedienanstalt, die ebenfalls von Rundfunkbeiträgen finanziert wird.

"Wir selbst als TLM würden in die Knie gehen, wenn man keine neue Finanzierungsmöglichkeit findet", sagt Fasco unumwunden. Damit fiele übrigens auch die Arbeit der TLM in der Medienbildung weg und Bürgerradios wie das Wartburgradio oder Radio F.R.E.I. sowie Lokalsender wie Salve TV oder Rennsteig TV stünden vor dem Aus.

"Ich halte viel davon, dass man darüber nachdenkt, was kann man reformieren, was kann man besser machen", sagt Fasco. Man könne auch darüber streiten, dass der Rundfunkbeitrag doof ist, "aber dann muss man sagen, wie es anders laufen soll." Statt immer nur zu meckern, müsse man sich auch vor Augen führen, was man aktuell habe: "Man zahlt derzeit 18,36 Euro, das ist nicht mal das, was man zahlt, wenn man zu zweit ins Kino geht. Damit bekommt man hier einen ganzen Monat finanziert!"

Und eben nicht nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, sondern auch die Aufsicht und Struktur für den privaten Rundfunk, die Bürgermedien und die Medienbildung: "Aus meiner Sicht ist das jeden Cent wert", so Fasco.

Fazit

Betrachtet man Höckes fünf Punkte im Einzelnen, werfen sie mehr Fragen auf, als sie Lösungen anbieten. Was wäre für Thüringen gewonnen, wenn Höcke wichtige Korrektiv- und Schutz-Instanzen unserer Demokratie ins Visier nähme und die Presse, die vereinsgetragene Zivilgesellschaft und auch den Verfassungsschutz attackierte? Hilft das den Thüringern oder hilft das nicht nur der AfD selbst?

Björn Höcke
"Wir werden einen langen Weg des Aufräumens und des Neuaufbauens gehen", kündigte Höcke an. Bildrechte: picture alliance/dpa/Martin Schutt

Wie soll es den Freistaat voranbringen, wenn die AfD bei den grundlegenden Zukunftsfragen in der Asyl- und Klimapolitik eine Kehrwende einleiten würde? Die daraus resultierenden sozialpolitischen Verwerfungen mag die Partei in ihrem geschlossenen rechten Weltbild ignorieren können, aber was ist mit den wirtschaftlichen Folgen dieser Politik?

Wie will die Partei die Wettbewerbsfähigkeit von Thüringer Unternehmen gewährleisten, wenn sie bei der Klimatransformation abgehängt werden? Wer soll in Thüringen arbeiten, wenn die Boomer-Generation sich gänzlich in die Rente verabschiedet, sich die AfD der Migration aber fast gänzlich verweigert?

Nicht zu vergessen: Mehrere von Höckes Plänen dürften auf hohe verfassungsrechtliche Hürden stoßen. Gut möglich, dass viele, die heute sagen, sie würden die Partei aus Protest wählen, dann enttäuscht werden, wenn die AfD-Vorhaben sich vor dem Bundesverfassungsgericht ebenfalls als "Luftpolitik" herausstellen.

Dieser Artikel wurde zuerst am 27.11.2023 online gestellt.

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | THÜRINGEN JOURNAL | 17. November 2023 | 19:00 Uhr

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