Eine Frau liest am 24.09.2013 in Dresden (Sachsen) einen Artikel auf einer der Seiten "Zeit im Osten" in der Wochenzeitung "Die Zeit".
Inzwischen haben große überregionale Medien eigene Korrespondenten-Büros in Ostdeutschland. Doch das mediale Bild des Ostens ist nach wie vor relativ negativ. Bildrechte: picture alliance / dpa | Arno Burgi

Datenrecherche Medienanalyse: Der Osten hat schlechte Presse

11. Oktober 2024, 12:48 Uhr

"Milliardengrab", "große Pleite" oder "Wenn Rechte nach der Macht greifen" – überregionale Medien haben das Negativ-Image Ostdeutschlands durch ihre Berichterstattung maßgeblich mitgeformt. Im Vergleich zur gesamtdeutschen Berichterstattung kommt der Osten schlechter weg. Dabei prägen wenige Stereotypen das mediale Bild. Das ergibt eine systematische Auswertung von Presseartikeln aus den letzten 35 Jahren für den MDR.

Nie war der Osten stärker von Rechtsradikalen geprägt als in den letzten vier Jahren – dieses Bild würde sich ergeben, wenn man allein die überregionale Presse-Berichterstattung zur Grundlage nähme. Dabei tauchten in Pressebeiträgen über Ostdeutschland Zuschreibungen, die den Osten als besonders "rechts" markierten, in den 1990er Jahren noch nicht so überproportional häufig auf wie in den Jahrzehnten danach, und nie in einem Ungleichgewicht wie seit 2020.

Die exklusiv für den MDR erstellte Analyse, für die Millionen seit 1990 veröffentlichte Beiträge ausgewertet wurden, belegt zudem, dass in Berichten über Ostdeutschland deutlich häufiger Begriffe rechter Ideologie wie "überfremdet", "PEGIDA", "völkisch", "Lügenpresse" oder "ausländerfeindlich" vorkommen als im gesamtdeutschen Schnitt. Dies liegt auch an der Themenauswahl der gesamtdeutschen Berichterstattung: Ein vergleichsweise großer Teil der Berichterstattung fokussiert sich auf die Themenkomplexe "Rechtsextremismus", "Machtlosigkeit", "Rückgang und Mangel" sowie "Protest".

Das Medienbild der 1990er Jahre

Schaut man auf die Veränderungen des Medienbildes seit der Wiedervereinigung, ist überraschend, dass in den Pressebeiträgen der 1990er Jahre noch keine Dominanz rechter Begrifflichkeiten erkennbar ist. Das Medienbild Ostdeutschlands unterscheidet sich in diesem Jahrzehnt insgesamt am wenigsten von der gesamtdeutschen Darstellung. Gleichwohl geben manche Zuschreibungen bereits eine negative Tonalität vor: Lange Schlangen vor den Arbeitsämtern, unzufriedene und protestierende Bürger, aber auch die Angriffe auf Asylbewerber in Rostock-Lichtenhagen 1992.

Eine sitzende Frau schaut besorgt.
Die 1990er: Das durch die KI anhand von Presseartikeln zum 3. Oktober 2000 generierte Bild einer Ostdeutschen zeigt eine traurig blickende Person inmitten einer tristen Szenerie. Bildrechte: Hoferichter& Jacobs/ MDR

Somit beginnen sich bereits kurz nach der Wiedervereinigung Berichterstattungsmuster über den Osten zu etablieren, die sich in vielen Aspekten bis in die heutige Zeit ziehen. Positive Zuschreibungen sind eher selten, dafür dominieren besonders Begriffe des Verlustes und des Niedergangs. Ostdeutsche werden laut der Medienanalyse überproportional häufig als mahnend, kritisierend und widersprechend wahrgenommen.

Dass sich diese Bilder gehalten und etabliert haben, hängt laut der Politikwissenschaftlerin Rebecca Pates auch damit zusammen, dass viele Westdeutsche – damals wie heute – schlicht und einfach zu wenig über den Osten wissen. Deswegen werde auch in der Berichterstattung häufig auf einfache Klischees zurückgegriffen: "Was man hat, sind die Narrative, und man glaubt den Narrativen, man reproduziert die Narrative."

Ostbewusstsein und Ostalgie – die Nullerjahre

Auch wenn bestimmte Muster sich etablieren, wandelt sich das mediale Bild des Ostens über die Jahrzehnte. Vor allem zu Beginn der 2000er Jahre entsteht eine Art neues "Ostbewusstsein". Menschen aus Ostdeutschland werden prominenter in der gesamtdeutschen Gesellschaft. Junge Autorinnen prägen selbst das Bild der Region, beschreiben das Aufwachsen nach dem Mauerfall.

Portrait einer jungen Frau mit Brille
Rückblick auf die 2000er: Die "KI-Ossi" des Jahres 2010 ist jünger als in den anderen Jahren und macht einen deutlich optimistischeren Eindruck. Bildrechte: Hoferichter& Jacobs/ MDR

Außerdem erreicht die "Ostalgie"-Welle ihren Höhepunkt. Viele Zeitschriften und Fernsehsender springen auf diesen Zug auf und etablieren das Bild des nostalgisch zurückblickenden Ostdeutschen als scheinbares "Lebensgefühl" des Ostens. Beginnend ab 2005 erobert Tokio Hotel aus Magdeburg die Musikwelt – und eine Ostdeutsche wird im selben Jahr Kanzlerin.

Dennoch zeigt die Inhaltsanalyse der Presseartikel in den 2000er Jahren eine Zunahme negativer Charakterisierungen von Ostdeutschen. Themen wie Machtlosigkeit und Zukunftssorgen nehmen einen größeren Raum ein als in den 1990er Jahren. Einerseits stehen zu dieser Zeit Proteste gegen den Sozialabbau und die Hartz-4-Reformen im Fokus, andererseits werden rechte Begriffe dominanter. Besonders die Wörter "Diktatur", "Lügenpresse" und "überfremdet" werden häufiger verwendet.

Ab 2015: Rechtsextremismus im Fokus

Dieses Bild verfestigt sich in den 2010er Jahren. Die Repräsentation Ostdeutschlands in den überregionalen Medien ist ab der Mitte des Jahrzehnts geprägt von der Protestbewegung Pegida, die sich gegen Geflüchtete positioniert und zunehmend radikalisiert. Gleichzeitig feiert die AfD in den ostdeutschen Bundesländern Wahlerfolge, es kommt zu den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz.

Portrait eines älteren Mannes mit orangener Mütze und Brille
Die 2010er: Der vorsichtige Optimismus der späten Nuller-Jahre ist beim „KI-Ossi“ von 2020 einem eher pessimistischen Gesichtsausdruck gewichen. Bildrechte: Hoferichter& Jacobs/ MDR

Dies spiegeln auch die Ergebnisse der Inhaltsanalyse: Vor allem ab 2015 dominieren besonders Themen wie die Fluchtmigration sowie das Erstarken rechter Gruppierungen und Parteien die gesamtdeutsche Berichterstattung über Ostdeutschland. Auch Wörter, die mit kollektiver Unterrepräsentation und Machtverlust in Verbindung stehen, werden immer häufiger genannt. Positive Beschreibungen kommen weiterhin verhältnismäßig selten vor.

Zur Methodik der Analyse Als Teil einer Analyse, die die Produktionsfirma Hoferichter & Jacobs im Auftrag des MDR durchgeführt hat, wurden 311 Millionen Presseerzeugnisse im Zeitraum vom 3. Oktober 1990 bis zum 12. August 2024 ausgewertet. Die Methodik zur Datenerhebung war zuvor im Rahmen eines Seminars des Studiengangs der Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Universität Leipzig entwickelt worden.

Für die Datenanalyse wurde mithilfe der Pressedatenbank des Unternehmens GBI-Genios nach 12.000 ausgewählten Begriffen gesucht. Untersucht werden sollte, wie häufig diese Begriffe in Artikeln vorkommen, die zusätzlich auch den Begriff "ostdeutsch" enthielten. Die Ergebnisse wurden dann mit der Häufigkeit der Begriffe in allen Pressetexten der Datenbank im gleichen Zeitraum verglichen, um die proportionale Häufigkeit der Begriffe in der Berichterstattung über Ostdeutschland zu ermitteln.

Zusätzlich wurden Presseberichte rund um den 3. Oktober der Jahre 1990, 2000, 2010 und 2020 mithilfe einer Volltextanalyse nach häufigen Beschreibungen für Ostdeutsche durchsucht. Anhand dieser Ergebnisse generierte die Bildgenerierungs-KI "Midjourney" (Version 6.1) verschiedene repräsentative Darstellungen für das mediale Bild Ostdeutscher dieser Jahre. Der Blick auf die Bilder lässt rückblickend einige Aussagen über die mediale Repräsentation Ostdeutschlands in den vergangenen knapp 35 Jahren zu.

Bleibt es bei negativer Berichterstattung?

Auch für den Zeitraum von 2020 bis heute ergibt die Inhaltsanalyse eine eher einseitige Darstellung der Ostdeutschen. Weiterhin dominieren negative Zuschreibungen, rechte Begrifflichkeiten und Narrative von Machtlosigkeit und Protesten.

Ein junger Mann mit ernstem Gesicht und schwarzer Brille steht in einer Menschenmenge auf einer Demonstation.
Blickt man auf den "KI-Ossi" basierend auf Presseberichten der Jahre 2020 bis 2024, so springt die Protesthaltung ins Auge. Bildrechte: Hoferichter& Jacobs/ MDR

Zwar ist kaum zu prognostizieren, ob die Berichterstattungsmuster über Ostdeutschland sich künftig in Themensetzung und Zuschreibungen einmal wieder der gesamtdeutschen annähern könnte. Klar ist jedoch, dass viele überregionale Medien schon seit Jahren versuchen, einseitiger Berichterstattung entgegenzuwirken. Überregionale Zeitungen wie die Süddeutsche oder die FAZ eröffneten in den zurückliegenden Jahren Korrespondenten-Büros in Ostdeutschland, seit 2009 gibt die ZEIT die "ZEIT im Osten" heraus.

Gleichwohl müsse sich auch der Ansatz der Berichterstattung ändern, sagt die in Ostdeutschland geborene, stellvertretende Chefredakteurin des SWR, Marieke Reimann. Es sei wichtig auch außerhalb von Wahlen und Jubiläen mit Ostdeutschen zu sprechen, ihnen zuzuhören und sie auch einzubinden. Denn: "Nur so kann auch ein guter Diskurs gelingen, wo die Diskurshoheit nicht immer nur vom Westen geprägt ist, sondern wo Ostdeutsche mitbestimmen, so dass dann ihre Lebensperspektiven in der Berichterstattung stattfinden können."

MDR (baz)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Es ist kompliziert ... – Der Osten in den Medien | 10. Oktober 2024 | 20:15 Uhr