Neue Studien Neandertaler und moderne Menschen paarten sich vor rund 45.000 Jahren
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20. Dezember 2024, 09:24 Uhr
In einer spektakulären Doppelveröffentlichung in Nature und in Science zeigen Leipziger Forscher, dass sich moderne Menschen und Neandertaler in einer relativ kurzen Zeit vor etwa 50.000 Jahren vermischt haben. Eine zentrale Rolle für die neuen Erkenntnisse spielen fossile Überreste früher Homo sapiens, die ins Gebiet des heutigen Thüringen eingewandert waren und dort vor etwa 45.000 Jahren starben.
Die modernen Menschen der Spezies "Homo sapiens" haben sich bekanntermaßen in Afrika entwickelt. Von dort sind wir über das heutige Ägypten in den Nahen Osten eingewandert. Wahrscheinlich blieben wir einige tausend Jahre im heutigen Iran, bevor wir uns in verschiedene Gruppen aufteilten, die schließlich alle Winkel der Welt erreichten, darunter auch die beiden amerikanischen Kontinente, Australien und irgendwann auch die entlegensten Inseln im Pazifik.
Alle Menschen außerhalb Afrikas tragen die gleichen 2 Prozent Gene von Neandertalern
Irgendwo auf diesem Weg haben wir die Neandertaler getroffen und mit ihnen Kinder gezeugt. Das konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon vor einigen Jahren durch die Analyse von DNA-Resten aus uralten Fossilien nachweisen. Klar war auch bereits: Alle Menschen außerhalb von Afrika tragen die gleichen zwei Prozent Gene von Neandertalern in sich.
Nun können Forscher erstmals genau eingrenzen, dass es ein einziger Zeitraum war, in dem Neandertaler und Sapiens ihre Gene miteinander vermischten: rund 50.500 bis 43.400 Jahre vor unserer Zeit. Das berichtet das Team aus Forschenden des Leipziger Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie (MPI EVA) und der US-Elite-Uni Berkeley jetzt in einer spektakulären Doppelveröffentlichung in den beiden Top-Journalen Science und Nature.
Neandertaler und Sapiens lebten mehrere tausend Jahre nebeneinander
Wo Neandertaler und Sapiens genau aufeinandertrafen, lässt sich anhand der bisher bekannten Funde nicht genau sagen. Wahrscheinlich aber war es die Gegend des heutigen Nahen Ostens: Israel, Palästina, Jordanien, Syrien und der Iran. Hier gibt es Höhlen, von denen bekannt ist, dass beide Menschenarten einmal darin gelebt haben. Und: Alle heutigen Menschen haben Vorfahren, die einmal zur Gruppe der Menschen gehört haben, die sich den Lebensraum mit den Neandertalern teilten.
Wie genau die Beziehung der beiden Arten ausgesehen hat, lässt sich anhand der Daten auch nicht rekonstruieren. Aber wahrscheinlich lebten beide eine ganze Weile nebeneinander her. Die Studie von Leonardo Iasi, Manjusha Chintalapati und Kollegen in Science ermittelt einen Zeitraum von maximal rund 7.000 Jahren, während dessen die Genflüsse passiert sein könnten. Bezogen auf genetische Evolution mag das aus Sicht der Forschung kurz sein. Gemessen an unserer menschlichen Geschichtsschreibung ist es aber eine lange Zeit, in der viel passiert sein kann.
Sapiens erbten Teile des Immunsystems, der Verdauung und der Hautfarbe vom Neandertaler
Das Team um Iasi und Chintalapati analysierte die vorhandenen Genomdaten von insgesamt 59 Sapiens, die in einem Zeitraum von 45.000 bis 2.200 Jahren vor heute gelebt haben. Diese verglichen sie mit den Genen von 275 Gegenwartsmenschen. Auffällig sei dabei, dass sich das genetische Erbe des Neandertalers in ganz bestimmten Abschnitten des heutigen Genoms befinde, während auf anderen Abschnitten keinerlei Einfluss der anderen Menschenart sichtbar sei, sagt Leonardo Iasi bei einem Pressegespräch am Mittwoch. "Daraus schließen wir, dass der Genfluss in einer relativ kurzen Zeit passiert ist und maximal während 200 Generationen auftrat."
Was haben wir von den Neandertalern geerbt? Offenbar vor allem Eigenschaften, die uns die Anpassung an die neue Lebensumwelt erleichtert haben: Gene, die das Immunsystem steuern und so den Umgang mit Krankheitserregern erleichtern, die es in Afrika nicht gab. Gene des Stoffwechsels, so dass wir mit anderer Nahrung umgehen konnten. Und schließlich auch Gene, die unsere Haut- und Haarfarbe beeinflussen. Die ersten Ankömmlinge aus Afrika hatten mit großer Sicherheit dunkle Haut und dunkle Augen.
Älteste moderne Menschen in Europa lebten unter anderem in Thüringen
"Unsere Analyse zeigt auch, dass die Migration aus Afrika heraus vor etwa 43.000 Jahren abgeschlossen worden sein muss", sagt Manjusha Chintalapati. Später gab es keine Transfers mehr von den Neandertaler-Genen, die alle Menschen außerhalb Afrikas teilen. In Ostasien besitzen die Menschen zwar noch etwas mehr frühmenschliches Erbgut. Doch das haben sie wohl auf ihrem Weg nach Osten bei weiteren Begegnungen eingesammelt.
Eine ganz andere Entwicklung haben die ersten Menschen genommen, die vor rund 45.000 Jahren nach Europa kamen. Hier präsentieren jetzt Johannes Krause, Arev Sümer und Kay Prüfer vom Leipziger MPI neue Erkenntnisse in der zweiten, in Nature veröffentlichten Studie. Krause und Team haben unter anderem DNA analysiert, die aus der Ilsenhöhle in Ranis bei Pösneck in Thüringen stammt.
Thüringer Höhle enthielt Überreste von sechs frühen Sapiens in Europa
Dort wurden erste Ausgrabungen bereits kurz vor dem Zweiten Weltkrieg gemacht. Gefundene Knochensplitter wurden aber irrtümlich für die Überreste von Tieren gehalten. Die Proben lagerten viele Jahrzehnte vergessen im Archiv des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, bevor sie die Leipziger Forscher wieder ans Licht holten und neu analysierten.
Das führte schließlich zu einer zweiten Grabung in Ranis im Jahr 2016, bei der weitere Knochensplitter entdeckt wurden. Die genetische Analyse zeigt jetzt: Sie stammen teilweise von den gleichen Individuen wie die bereits in den 1930er Jahren geborgenen Überreste. Es handelt sich um insgesamt sechs Personen, drei Frauen, drei Männer, zwei davon Kinder. Bei einer Frau und einem Mädchen handelt es sich wahrscheinlich um Mutter und Tochter.
Ebenfalls erstaunlich: Alle sechs weisen eine entfernte Verwandtschaft zu einer Frau auf, deren Schädel in einer Höhle bei Zlatý kůň in Tschechien entdeckt wurde und deren Erbgut das insgesamt am besten erhaltene dieser Gruppe ist.
Phlegräische Felder: Europas Supervulkan eliminierte die frühen Europäer
Diese frühen Europäer starben allerdings zusammen mit den Neandertalern aus. Ihre genetischen Spuren finden sich heute nirgendwo mehr. Als Ursache dafür vermuten die Forscher um Johannes Krause eine Naturkatastrophe, genauer: ein Ausbruch von Europas Supervulkan, den Phlegräischen Feldern vor 39.000 Jahren. Die Eruption ist unter dem Namen "Kampanische Ignimbrit" bekannt und hat besonders in einem Gebiet zwischen Italien und dem Schwarzen Meer gewaltige Spuren hinterlassen. Geologen entdeckten in Europa mitunter ein Meter starke Schichten von Vulkanasche bei Bodenuntersuchungen.
"Aus meiner Sicht zeigt das, dass die Geschichte des Homo sapiens keine reine Erfolgsgeschichte ist", sagt Krause. Wahrscheinlich seien frühe Sapiens-Einwanderer mehrfach in neuen Gebieten ausgestorben, bevor erst die finale Wanderung zur weltweiten Dominanz führte. Diese startete vor etwa 40.000 Jahren aus dem Nahen Osten.
Vielleicht wurde der Neandertaler nicht durch den Homo sapiens ausgelöscht
Zugleich eröffnet diese Version die Möglichkeit, dass die Neandertaler nicht durch die Hand unserer Vorfahren starben. Sondern es könnte die Natur gewesen sein, die die kleinen Gruppen der Neandertaler und der frühen Europäer tötete. Allerdings wanderten die Sapiens schon kurz nach der Megaeruption erneut ein. "Es gibt Funde von Vorfahren von uns heutigen Menschen, die noch in der Asche des Ausbruchs beerdigt wurden", sagte Krause. Statt Verdrängung hätten also Aussterben und Neubesiedlung zur Durchsetzung des Sapiens in Europa geführt.
Links/Studien
- Sümer et.al.(2024): Earliest modern human genomes constrain timing of Neanderthal admixture, Nature
- Iasi et.al.(2024): Neanderthal ancestry through time: Insights from genomes of ancient and present-day humans, Science
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 12. Dezember 2024 | 21:30 Uhr
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