AfD-Landtagsabgeordneter in Sachsen Vorwürfe gegen Dornau erhärten sich: Politische Gefangene auf Feldern des AfD-Politikers in Belarus?
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08. Oktober 2024, 10:51 Uhr
Politische Gefangene sollen in Belarus auf Feldern des sächsischen AfD-Politikers Jörg Dornau gearbeitet haben. Dessen Firma baut dort Zwiebeln an. MDR-Recherchen zeigen nun: Häftlinge könnten auch inhaftiert worden sein, um billige Arbeitskräfte zu bekommen. Die Vorgänge beschäftigen nun auch die deutsche Justiz.
- Ehemalige Häftlinge beschreiben in einem belarussischen Auslandmedium, unter welchen Bedingungen sie in der Firma des sächsischen AfD-Politikers arbeiten mussten.
- MDR-Recherchen erhärten nun die Vorwürfe.
- Massenverhaftungen häufen sich seit den Protesten gegen Diktator Lukaschenko in Belarus – viele Gefangene werden zu Arbeitseinsätzen gezwungen.
- Die Verbindungen des AfD-Politikers Jörg Dornau zur politischen Führung in Belarus sind unklar.
"Als erstes waren es normale Gefangene, die beispielsweise wegen Alkoholkonsums inhaftiert wurden", erzählt eine Person, die an Jörg Dornaus Geschäften in Belarus direkt beteiligt war. Später hätten dann nur noch politische Häftlinge für die belarussische Firma des AfD-Politikers "Zybulka-Bel" gearbeitet – ein Gemüse-Farm. Sie seien "zivilisierter", erzählt der Informant am Telefon.
Es ist ein Vorwurf, der vergangene Woche von dem belarussischen Auslandsmedium "Reform.News" erstmals öffentlich erhoben wurde. Es veröffentlichte ein Interview mit einem ehemaligen Häftling, der mittlerweile in Polen lebt. Er sei zuvor inhaftiert worden, weil er oppositionelle Inhalte in sozialen Netzwerken geteilt und kommentiert habe. Zusammen mit rund 30 weiteren Insassen sei er dann aus der Haftanstalt in Lida mit Bussen auf das Feld gebracht worden. Während der Arbeit habe es weder etwas zu essen noch etwas zu trinken oder warme Kleidung gegeben. Zwar habe er für die Arbeit umgerechnet fünf Euro am Tag bekommen, doch das Geld habe das Gefängnis einbehalten. Nach der Arbeit seien sie zurück ins Gefängnis gebracht worden, wo er sich eine Zwei-Personen-Zelle mit vier weiteren Häftlingen habe teilen müssen. Auch wenn die Arbeit nicht erzwungen gewesen sei: Die Zustände in der Haftanstalt bezeichnete er als "Folter", weshalb er trotz der erschwerten Bedingungen die Arbeit auf dem Feld den Bedingungen in der Haftanstalt vorgezogen habe.
Dornau ließ schriftliche Fragen unbeantwortet und war weder per Telefon noch an seinem Wohnsitz oder im Sächsischen Landtag für Fragen ansprechbar.
Vertraute Personen bestätigen Einsatz von Gefängnisinsassen durch "Zybulka-Bel"
Zahlreiche Medien, darunter auch viele deutsche, hatten den Bericht von "Reform.News" aufgegriffen, allerdings fehlten bislang weitere Belege. Nun jedoch erhärten MDR-Recherchen im Umfeld der belarussischen Firma die Vorwürfe.
Mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen aus dem Umfeld der Firma bestätigten dem MDR den Einsatz von Gefängnisinsassen durch "Zybulka-Bel" und die Schilderungen von "Reform.News", wollten aus Angst vor Repressalien jedoch anonym bleiben. Eine Person, die an den Geschäften von Jörg Dornaus Firma selbst beteiligt war, erklärte im Gespräch mit dem MDR:
"Das ist belarussische Politik, kostenlose Arbeitskräfte für die eigenen Interessen zu nutzen. Ich weiß nicht wie viele. Ich weiß nur, als Arbeitskräfte gebraucht wurden, haben sie angefangen, massenhaft Menschen zu verhaften. So viele wie nirgendwo sonst im Land. Und so wurden die normale Bevölkerung, die Arbeiter massenhaft, auch aus den Fabriken, verhaftet, damit Jörg Dornaus Firma Arbeitskräfte bekommt."
Systematische Verhaftung von Menschen, um billige Arbeitskräfte zu bekommen? Ein harter Vorwurf. Kann das sein? Und wenn ja: Ist es möglich, dass das ohne das Wissen des Firmeninhabers geschieht? Ina Rumiantseva von Razam, einer Organisation, die in Deutschland lebende Menschen aus Belarus vertritt, kann sich das nicht vorstellen:
"Ich gehe nicht davon aus, dass Herr Dornau nicht wusste, wer dort auf seinen Feldern arbeitet. Denn laut Gesetz ist es so: Wer bei sich Insassen von Haftanstalten arbeiten lässt, schließt einen Vertrag mit dieser Haftanstalt ab - und ist laut Gesetz selbst verpflichtet, Aufsicht über die Arbeitsbedingungen zu übernehmen."
Handelsregister-Unterlagen aus Belarus, die dem MDR vorliegen, zeigen, dass Jörg Dornau nach einem Rechtsstreit mit seiner eigenen Firma inzwischen als alleiniger Geschäftsführer der Firma eingetragen ist. Das legt nahe, dass er auch Verträge mit örtlichen Behörden über den Einsatz von Gefängnisinsassen kennen müsste.
"Reform.News" hatte zuvor ebenfalls berichtet, Dornau sei persönlich vor Ort gewesen, habe deren Arbeit begutachtet und Dokumente unterzeichnet. Auch dieser Vorwurf scheint sich nach MDR-Recherchen nun zu erhärten.
Massenhaft Inhaftierungen seit Protesten gegen Lukaschenko
Hinter all dem steht ein staatliches System – wie es das örtliche Fernsehen selbst präsentiert. Im April 2024 veröffentlichte der Fernsehsender Lida TV Bilder von politisch Inhaftierten, die auf einem Feld Steine einsammeln. So könnten die Insassen zum einen die Kosten für ihre eigene Haft abarbeiten, täten der Gesellschaft etwas Gutes und würden so vielleicht auch "geläutert" werden.
65.000 Inhaftierungen zählt die Menschenrechtsorganisation Viesna seit den Massenprotesten gegen den belarussischen Machthaber Aleksandr Lukaschenko. Wer beispielsweise einen Inhalt auf Social Media kommentiert oder teilt, von einer Organisation, die von der Regierung als extremistisch eingestuft wird, riskiert eine Haftstrafe. Für solche "Ordnungswidrigkeiten" werden standardmäßig 15 Tage verhängt. Es sei ein ausgeklügeltes System, erklärt Ina Rumiantseva von Razam.
"Aufgrund der Repression sind bis zu 600.000 Menschen seit 2020 nach Europa emigriert. Das sind hochqualifizierte Arbeitskräfte, die jetzt fehlen. Diese Lücke schließen zum Teil die Gefangenen."
Dornaus Auftreten als einschüchternd und autoritär beschrieben
Menschenrechtsaktivisten äußerten Zweifel daran, ob eine Unternehmung dieser Größe in Belarus ohne politische Unterstützung realisierbar sei. Eine lokale Initiative berichtete von Fällen, in denen aus politischen Gründen Inhaftierten eine Gebühr pro Hafttag berechnet werde, die diese dann durch Arbeitseinsätze bei Firmen abarbeiten könnten. Wohin die für die Arbeit gezahlten Löhne stattdessen fließen und ob das auch im Falle von Jörg Dornaus Zwiebelplantage so gehandhabt wurde, ist derzeit unklar.
Ebenso unklar ist, wie es zur Übertragung von angeblich rund 1.500 Hektar Land an die Firma kam – eine enorme Fläche, so groß wie 2.200 Fußballfelder, die, sollten die Berichte zutreffen, weit über das hinaus geht, was der belarussische Staat in der Region Lida im Zuge von Wirtschaftsansiedlungsprogrammen üblicherweise bereitstellt.
Im Umfeld der Firma heißt es, der örtliche Bürgermeister habe von der Ansiedlung der deutschen Geschäftsmänner stark profitiert: Er sei mit der Begründung, einen großen Investor geworben zu haben, befördert worden und nutze ein von Dornaus Firma angeschafftes Fahrzeug privat, das eigentlich für die örtliche Polizeistation gedacht gewesen sei.
Dornaus Auftreten wurde von mit den Vorgängen betrauten Personen als einschüchternd und autoritär beschrieben. Auch Dornaus Geschäftspartner wollte sich mit Verweis darauf nicht weiter äußern und erklärte lediglich, von den Berichten über den Einsatz von Strafgefangenen auf den Feldern überrascht gewesen zu sein. Aus dem Umfeld der Firma in Belarus hieß es, beide Partner seien mittlerweile zerstritten.
Belarus gilt als autoritär regiert, der seit 1994 regierende Präsident Lukaschenko wird häufig als "letzter Diktator Europas" bezeichnet. Das Land steht im von der Universität Würzburg veröffentlichten Demokratieindex auf Platz 166 von 179 und wird als "harte Autokratie" geführt. Wegen Repressionen und Menschenrechtsverletzungen und weil das Land Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützt, verhängte die EU gegen zahlreiche Personen und Organisationen in Belarus Sanktionen.
Unterdessen bestätigte die Staatsanwaltschaft Leipzig den Eingang einer Strafanzeige gegen Dornau. Man habe dazu Vorermittlungen aufgenommen, so eine Sprecherin der Behörde auf MDR-Anfrage.
Update (8. Oktober 2024): AfD verweist auf Unschuldsvermutung
Aus der sächsischen AfD hieß es inzwischen, man werde sich vorerst nicht zu dem Fall äußern. "Bis zur Aufklärung des Falles gilt für uns die Unschuldsvermutung", erklärte Jan Zwerg, Generalsekretär der AfD Sachsen. Man vertraue darauf, dass die Justiz den Fall juristisch aufkläre.
Roland Ulbrich, der Jörg Dornau als Rechtsanwalt vertritt und für die AfD im Leipziger Stadtrat sitzt, erklärte, ihm sei der Inhalt der Arbeitsverträge aus Belarus bekannt. Dass die Häftlinge nicht mit Essen und Getränken versorgt würden, sei nicht zutreffend. Zudem habe Dornau nicht erfahren, welches Delikt den eingesetzten Häftlingen zur Last gelegt würde.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 02. Oktober 2024 | 21:45 Uhr
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