Studie zur Sicherheitslage Verteidigung gegen Russland ohne USA: EU müsste 300.000 Soldaten mobilisieren
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21. Februar 2025, 15:22 Uhr
Der Schutz Europas vor möglichen Aggressionen Russlands ohne Unterstützung der USA würde die EU-Staaten 250 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Zu diesem Schluss kommt eine Analyse des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und des Brüsseler Forschungsinstituts Bruegel.
Den Autoren um Guntram Wolff vom renommierten Wirtschaftsforschungsinstitut in Schleswig-Holstein zufolge brauche es rund 50 zusätzliche Brigaden mit insgesamt 300.000 Soldaten. Für diese seien mindestens 1.400 neue Kampfpanzer und 2.000 Schützenpanzer erforderlich – eine Zahl, die die derzeitigen Bestände der gesamten deutschen, französischen, italienischen und britischen Landstreitkräfte übersteige. Dazu müssten noch 2.000 Langstreckendrohnen produziert werden.
"Europäisches Interesse, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern"
Wolff erklärt: "Auch wenn die Größenordnungen zunächst erheblich sind: Ökonomisch ist das relativ zur Wirtschaftskraft der EU überschaubar, die zusätzlichen Kosten liegen nur bei circa 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der EU. Das ist weit weniger, als etwa zur Krisenbewältigung während der Covid-Pandemie mobilisiert werden musste."
Die Russische Föderation habe trotz der hohen Verluste im Zuge des Angriffskrieges auf die Ukraine ihre militärischen Kapazitäten massiv gesteigert. Wolff, der zwei Jahre Direktor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik war, warnt: "Russland könnte in den nächsten drei bis zehn Jahren die militärische Stärke haben, um die EU-Staaten anzugreifen. Wir müssen dies als reale Gefahr einstufen. Auch deshalb ist es im größten europäischen Interesse, einen Sieg Russlands in der Ukraine zu verhindern, der die Aggression Russlands nochmals beflügeln dürfte."
"Selbstversicherung ist teurer als kollektive Sicherheit"
Um die Zahlungen der USA an die Ukraine, die durch die Präsidentschaft Donald Trumps fraglich sind, aufzufangen, sei der Analyse zufolge eine Erhöhung der Ausgaben um 0,12 Prozent des BIP der EU notwendig. Seit dem Überfall der Ukraine durch Russland im Februar 2022 haben die USA Militärhilfe in Höhe von 64 Milliarden Euro gezahlt, die EU und Großbritannien 62.
Essenziell für die Verteidigung Europas sei eine engere Kooperation zwischen den EU-Staaten, weil eine auf Einzelstaaten ausgelegte Politik verhältnismäßig teuer sei. "Selbstversicherung ist teurer als kollektive Sicherheit", sagt Wolff, der als Honorarprofessor an der Universität Erfurt in den Bereichen Staatswissenschaften und Public Policy gelehrt hat.
Autoren schlagen Verdopplung der Verteidigungsausgaben vor
Die Autoren der neuen Analyse schlagen eine Erhöhung der europäischen Verteidigungsausgaben von derzeit 2 auf 3,5 bis 4 Prozent des BIP vor. Die Hälfte davon könnte durch gemeinsame europäische Schulden finanziert werden und in eine gemeinsame Beschaffung fließen, die gegenüber der nationalen Beschaffung Kostenvorteile bietet. Die andere Hälfte könnte durch die Mitgliedsländer über ihre nationalen Verteidigungsausgaben finanziert werden. Für Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft würde dies eine Erhöhung der nationalen Verteidigungsausgaben von 80 auf bis zu 140 Milliarden Euro bedeuten, das entspräche dann 3,5 Prozent des BIP.
Die Wirtschaftswissenschaftler sehen in einer dann gestärkten EU auch Möglichkeiten für den Binnenmarkt: "Eine schuldenfinanzierte Erhöhung der Verteidigungsausgaben könnte aber auch als Konjunkturimpuls wirken, wenn sie innerhalb der EU ausgegeben werden, insbesondere in Zeiten rückläufiger externer Nachfrage durch US-Zölle und Handelskonflikte", so Wolff.
Links zur Untersuchung
Der Beitrag "Europa ohne die USA verteidigen: eine erste Analyse, was gebraucht wird" ist in verschiedenen Sprachen auf der Seite des IfW Kiel abrufbar.
idw/jar
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 21. Februar 2021 | 10:37 Uhr