Pkw-Grenzübergang zwischen Terespol (Polen) und Brest (Belarus)
Pkw-Grenzübergang in Terespol – der letzte noch offene an der Grenze zwischen Polen und Belarus, die sich langsam in einen neuen Eisernen Vorhang in Europa verwandelt. Bildrechte: Rundfunk Berlin-Brandenburg

Polen - Belarus Kommt der Eiserne Vorhang zurück?

22. Juli 2024, 10:10 Uhr

Die Grenze zwischen Polen und Belarus erinnert immer mehr an den Eisernen Vorhang. Viele Grenzübergänge wurden geschlossen. Der Grenzzaun soll verstärkt werden und in den kommenden Jahren will Polen die Grenze auch militärisch ausbauen, Panzersperren und Bunker inklusive. In der Grenzstadt Terespol und ihrem Umland ist die Eiszeit zwischen den beiden Ländern besonders zu spüren.

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Terespol ist eine Kleinstadt mit gerade mal 5.000 Einwohnern. Hinzu kommen 7.000 Menschen in den umliegenden Dörfern, die eine eigenständige Landgemeinde gleichen Namens bilden. Nicht die Welt, könnte man meinen, und doch ist es ein wichtiger Ort, denn hier liegt der wichtigste Grenzübergang zwischen Polen und Belarus. Streng genommen sind es sogar drei Übergänge: einer für die Bahn, einer nur für Pkw und ein dritter mit einem Logistikhub für die Abfertigung der großen Sattelschlepper.

Krzysztof Iwaniuk, Bürgermeister der Landgemeinde Terespol, am Grenzfluss Bug
Krzysztof Iwaniuk ist Bürgermeister der Landgemeinde Terespol. Er träumt von einer Fußgängerbrücke über den Grenzfluss Bug – doch im Moment stehen die Zeichen auf Abschottung. Bildrechte: Rundfunk Berlin-Brandenburg

Krzysztof Iwaniuk ist Bürgermeister der polnischen Landgemeinde Terespol – ein vornehm gekleideter Herr Mitte 60, seit 32 Jahren im Amt. Und seit 32 Jahren träumt er von einer Fußgängerbrücke über den Grenzfluss Bug. "Das ist die Grenze der Europäischen Union, die Grenze Polens und unserer Gemeinde. Sie verläuft in der Flussmitte. Da drüben ist schon Belarus", sagt er und deutet mit der Hand zum anderen Ufer.

Eiszeit zwischen Polen und Belarus

In der Stimme schwingt ein Hauch von Wehmut und Resignation mit, denn sein Traum von einer offenen Grenze scheint in weite Ferne zu rücken. Die Beziehungen zwischen Polen und Belarus sind auf einem Tiefpunkt angelangt. Schuld ist unter anderem Russlands Krieg gegen die Ukraine, denn die Regierung in Minsk unterstützt die Invasion. Seit Jahren beschuldigt Polen Belarus, Migranten gezielt an die polnische Grenze zu schleusen, und auch das harsche Vorgehen gegen die polnische Minderheit in Belarus sorgt in Warschau für Unmut.

Das äußere Zeichen der Eiszeit: Der in der Landgemeinde Terespol liegende Grenzübergang mit dem Logistikhub ist der einzige, der noch für den Güterverkehr per Lkw geöffnet ist, alle anderen wurden von der Regierung in Warschau geschlossen. Die Fahrer berichten von Wartezeiten zwischen 60 Stunden und sieben Tagen. Die Trucks stauen sich auf einer Länge von bis zu 50 Kilometern. Viele Menschen befürchten zudem, dass Polen im Fall eines größeren Zwischenfalls die Grenze komplett dicht machen könnte.

Vor dem Grenzübergang bei Terespol stauen sich die Lkw auf bis zu 50 Kilometern Länge. Es ist der letzte noch offene Übergang zu Belarus für den Gütertransport auf der Straße.
Vor Terespol stauen sich die Lkw auf einer Länge von bis zu 50 Kilometern – es ist der letzte noch offene Grenzübergang für den Güterverkehr nach Belarus. Bildrechte: Rundfunk Berlin-Brandenburg

Grenzschließung vernichtet Existenzen

Was das für die regionale Wirtschaft bedeuten kann, erleben die Einwohner der Ortschaften an den anderen, "vorübergehend" geschlossenen Grenzübergängen seit über einem Jahr. Hotels und Pensionen mussten schließen. Die Umsätze im Einzelhandel brachen so stark ein, dass ein Großteil der Mitarbeiter entlassen werden musste. Auch in den Zollagenturen, die Warentransporte zur Abfertigung durch den Zoll vorbereiten, gab es Entlassungen. Nicht alle Unternehmen, die vom Grenzverkehr leben, wurden vom Staat entschädigt, und die Zahlungen gleichen die Verluste nicht voll aus.

Bürgermeister Iwaniuk erinnert sich noch an ganz andere Zeiten, vor dem polnischen EU-Beitritt: "Früher kamen jeden Tag etwa zehntausend Belarussen nach Terespol. Die Grenze war durchlässig. Es gab keine Visum-Pflicht", erzählt Iwaniuk und gerät ins Schwärmen:" In Terespol gab es über 150 Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe. Das Leben pulsierte, die Wirtschaft wuchs, es gab Arbeitsplätze. Der nachbarschaftliche Handel sorgte für wirtschaftlichen Wohlstand."

Der erste Zug mit russischen Fans an Bord kommt am Grenzübergang in Terespol, Polen, am 8. Juni 2012 an. Russische Fans reisen später am selben Tag nach Breslau zum EURO 2012-Spiel Russland gegen Tschechien
Ein Bild aus längst vergangenen Zeiten am Grenzbahnhof Terespol: Russische Fußballfans kommen zur Fußball-EM 2012, die gemeinsam von Polen und der Ukraine ausgerichtet wurde. Bildrechte: picture alliance / dpa | Wojciech Pacewicz

Wettlauf in Sachen Abschottung?

Doch die Zeiten sind schon lange vorbei. "Diese Grenze wird immer undurchlässiger. Ich habe das Gefühl, beide Seiten wetteifern gerade, wie man den Grenzübertritt noch unangenehmer machen kann. Das ist nicht normal. Was hier gerade entsteht, wird dem Eisernen Vorhang immer ähnlicher", sagt Iwaniuk.

Terespol endet am Pkw-Grenzübergang, der die Kleinstadt mit der belarussischen Nachbarstadt Brest (344.000 Einwohner) verbindet – wobei das Wort "trennt" hier wohl angebrachter wäre. Die Städte grenzen direkt aneinander, die Ortsmitte von Terespol und die Innenstadt von Brest liegen nur fünf Kilometer auseinander. Trotzdem waren sie noch nie weiter auseinander als heute. Um die fünf Kilometer zurückzulegen, braucht man derzeit Unmengen Geduld – und Gelassenheit bei Kontrollen.

Schmuggel bekämpfen, Sanktionen durchsetzen

Während legale Kontakte zwischen Polen und Belarus abnehmen, hält der Schmuggel die polnischen Zöllner unverändert auf Trab. "Allein im vergangenen Jahr haben wir steuerpflichtige Waren, vor allem Zigaretten, im Wert von fast 15 Millionen Złoty (rd. 3,5 Millionen Euro – Red.) beschlagnahmt, die Reisende sowohl an Grenzübergängen wie hier, als auch über die grüne Grenze zu schmuggeln versuchten", berichtet Grenzschutz-Leutnant Dariusz Sienicki.

Zoll-Kontrolle am Pkw-Grenzübergang in Terespol
Zoll-Kontrollen am Pkw-Grenzübergang in Terespol dienen neuerdings auch dazu, EU-Sanktionen durchzusetzen – bestimmte Güter dürfen die EU nicht mehr Richtung Belarus verlassen. Bildrechte: Rundfunk Berlin-Brandenburg

Hinzu kamen dem Offizier zufolge noch Drogen im Wert von ebenfalls 15 Millionen Złoty und Autos im Wert von 19 Millionen Złoty, die nach Belarus geschmuggelt werden sollten. Sein persönliches "Highlight" des Jahres war ein gestohlener Ferrari Portofino im Wert von rund 300.000 Euro, der in Westeuropa für einen "Kunden" aus Belarus gestohlen wurde.

Seit Anfang Juli muss der Zoll auch die verschärften EU-Sanktionen gegen Belarus im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg durchsetzen – die Liste der Waren, die nicht ausgeführt werden dürfen, wurde erweitert.

Hoffnungsträger Neue Seidenstraße

Gemeindevorsteher Iwaniuk sieht in und rund um Terespol ein großes Zukunftspotential – wenn die Grenze offen bleibt. Große Hoffnungen setzt er in eine Verlängerung der A2, die in Polen den Beinamen "Autobahn der Freiheit" trägt, bis nach Terespol. Derzeit endet sie westlich von Warschau, 155 Kilometer Luftlinie von Terespol entfernt. Iwaniuk ist überzeugt, dass sie der Region wirtschaftlichen Aufschwung bringen wird.

Ein weiterer Hoffnungsträger in seinen Augen ist die von China forcierte "Neue Seidenstraße". Ein Teil davon sollen Eisenbahntransporte chinesischer Waren für Europa über Russland und Belarus sein. Vor der polnisch-belarussischen Eiszeit, die mit der von Minsk erzeugten Migrationskrise 2021 begann, hätten Warentransporte über Terespol kontinuierlich zugenommen und der Region einige Tausend Arbeitsplätze in den Umschlagterminals beschert, so Iwaniuk. Für ihn ist Terespol deshalb nicht das Ende der EU, sondern ein Tor in den eurasischen Raum. Um für die Zukunft gewappnet zu sein, hat seine Gemeinde bereits neue Gewerbe- und Wohnflächen ausgewiesen.

Ein Stück Berliner Mauer in Terespol

Bis diese Pläne aber umgesetzt sind, wird der 65-jährige Iwaniuk nicht mehr im Amt sein. Ob die Grenze bis dahin wieder durchlässiger wird? Momentan befürchten viele eher das Gegenteil. Iwaniuk sieht hier Analogien zur Berliner Mauer. "Ich habe 1989 mit eigenen Augen erlebt, mit wieviel Leidenschaft die Berliner die Mauer niedergerissen haben. Ich habe die ganze Nacht mit ihnen gefeiert", erinnert er sich.

Als Mahnmal gegen die fortschreitende Abschottung an dieser EU-Außengrenze hat Iwaniuk schon 2009 ein Stück der Berliner Mauer in Terespol aufstellen lassen: "Zusammen mit Lech Wałęsa haben wir dieses Mauerstück eingeweiht – als ein Denkmal der Solidarität und als ein Denkmal der Mahnung, dass es nie wieder in Europa eine Mauer geben sollte – wie damals in Berlin." Dass die Zäune an der polnisch-belarussischen Grenze in absehbarer Zeit wieder verschwinden, danach sieht es im Moment aber nicht aus.

Krzysztof Iwańczuk, Bürgermeister der Gemeinde Terespol, an der Grenze zu Belarus
Krzysztof Iwaniuk hat in Terespol ein Stück Berliner Mauer aufstellen lassen. Die Grenze zu Belarus wird zu einem neuen "Eisernen Vorhang" in Europa, meint der Bürgermeister der Grenzgemeinde. Bildrechte: rbb/Andreas Lichtwald

Polen-Reportage in der ARD-Mediathek

Unsere Reporter haben Terespol im Rahmen einer größeren Reise durch Polen besucht. Sie durchquerten das Land von West nach Ost auf der A2, der "Autobahn der Freiheit", und trafen spannende Menschen, deren Geschichten Polens unglaubliche Entwicklung seit dem EU-Beitritt zeigen. Alle Stationen der Reise können Sie in der ARD-Mediathek sehen. Der Film "Cześć Polska - Hallo Polen" ist eine Co-Produktion der Sender RBB und MDR.

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