Fertige Pizzen auf Tellern
Thüringer Steuerfahnder und Ermittler in Baden-Württemberg interessieren sich für Lebensmittel im Wert von 27.000 Euro. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance / ZB | Arno Burgi

Organisierte Kriminalität Spuren in Mafia-Verfahren führen nach Thüringen: Erfurter Gastronom soll Steuern hinterzogen haben

28. August 2021, 20:19 Uhr

Die kalabrische Mafia 'Ndrangheta gilt als einer der größten Akteure im weltweiten Drogenhandel. Mit dem Kokaingeschäft soll sie Milliarden Euro verdienen. Doch die Mafia-Gruppe ist offenbar noch auf einem anderen Geschäftsfeld aktiv: dem schwarzen Handel mit Lebensmitteln. In einem deutsch-italienischen Verfahren ist ein Erfurter Gastronom ins Visier der Steuerfahnder geraten.

Die Einweihung des italienischen Restaurants war im Mai 2017. In einer kleinen Stadt in der Nähe von Erfurt waren die Bewohner froh, dass sich ein Gastronom gefunden hatte, der eine jahrelang verwaiste Gaststätte wieder in Betrieb nahm. Bogdan A. (*Namen geändert) hat Erfahrung mit Restaurants.

Er betreibt schon länger gemeinsam mit anderen Familienmitgliedern ein italienisches Restaurant in der Erfurter Innenstadt. Zur Eröffnung seines neuen Ladens im Mai vor vier Jahren soll er ausreichend Lebensmittel eingekauft haben.

Wert der Ware für den Abend angeblich 27.000 Euro. Zu lesen ist das in internen Unterlagen, die MDR THÜRINGEN und der italienischen Rechercheplattform IrpiMedia vorliegen.

Steuerfahnder gehen Betrugsvorwurf nach

Für dieses Geld und weitere Lebensmitteleinkäufe interessieren sich Thüringer Steuerfahnder und Ermittler in Baden-Württemberg. Denn A. soll laut den Akten die Waren von Lebensmittelfirmen bezogen haben, die in Verbindung mit dem Kalabrier Sebastiano G. stehen sollen.

G. war seit vielen Jahren in der Bodenseeregion aktiv und wurde am 5. Mai dieses Jahres im Rahmen der deutsch-italienischen Anti-Mafia-Operation "Platinum" festgenommen. In diesem Verfahren geht es um den Verdacht des Handels mit mehreren hundert Kilogramm Kokain und der Verkürzung von Umsatzsteuer.

Eine Gruppe um Sebastiano G. soll über ein Firmennetzwerk bundesweit Lebensmittel an italienische Restaurants verkauft haben - schwarz, also an der Steuer vorbei, so der Verdacht der Ermittler. Auf der Kundenliste stand offenbar auch Bogdan A., gegen den die Thüringer Steuerfahndung unter dem Aktenzeichen 015/2017 ein Ermittlungsverfahren führt.

Der Verdacht: A. soll von der Gruppe um Sebastiano G. Lebensmittel schwarz bezogen und seine Umsätze nicht vollständig angegeben haben. Die Ermittler gehen davon aus, dass A. in der Zeit zwischen 2015 und Anfang 2019 insgesamt knapp 700.000 Euro Steuern hinterzogen haben könnte.

Gastronom bestreitet Höhe der Summe

Auf eine MDR THÜRINGEN-Anfrage bestätigt die von A. beauftragte Steuerkanzlei das Verfahren gegen ihren Mandanten. Zu der fraglichen Summe von rund 700.000 Euro heißt es: "Der ermittelte Betrag ist nach unserem Kenntnisstand jedoch deutlich niedriger." Zudem basiere er auf Schätzungen der Steuerfahndung, deren methodische Grundlage von Gerichten bisher nicht anerkannt werde.

Nach Angaben von A.s Kanzlei sei das Verfahren gegen ihn durch eine anonyme Anzeige in Gang gekommen. Es bestehe der Verdacht, dass ein verärgerter Mitarbeiter dahinter stecken könnte. Zudem bestreite A., dass er für die Restauranteröffnung im Mai 2017 Waren im Wert von 27.000 Euro eingekauft habe.

Fakt ist: Die Steuerermittlungen gegen Bogdan A. tauchen in den Akten rund um das Platinum-Verfahren auf. Bei diesem sind die Fahnder offenbar auf ein Modell des systematischen Steuerbetruges gestoßen. Bundesweit soll Bogdan A. nur einer von vielen Restaurantbesitzern sein, die von der Gruppe um Sebastiano G. beliefert wurden.

A.s Steuerkanzlei räumte ein, dass es Kontakte zu einigen der genannten Firmen gegeben habe. Soweit ihr Mandant aber tatsächlich Waren abgenommen habe, "spielte die Lieferbeziehung im Rahmen des Geschäftsbetriebes unseres Mandanten keine besondere Rolle".

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Fahnder schätzten Steuerverlust auf zwei Millionen Euro

Die für die Ermittlungen zuständige Staatsanwaltschaft Konstanz schätzt den Steuerverlust in dem gesamten Verfahren auf bis zu zwei Millionen Euro.

Im Mai nach den Razzien sagte der Konstanzer Staatsanwalt Johannes-Georg Roth, es handle sich um eine "regelmäßige und vor allem sichere Einnahmequelle für die Beschuldigten". Man habe schon immer die Hypothese gehabt, dass einzelne Pizzerien und Lebensmittelhändler Steuern hinterziehen würden.

Dank der Ermittlungen habe man aber zeigen können, dass "der Steuerbetrug ein Geschäftsmodell der organisierten Kriminalität" sei, so der Staatsanwalt.

Steuergeheimnis verhindert Informationsaustausch der Behörden

Die Staatsanwaltschaft Konstanz bestätigte MDR THÜRINGEN, dass die Steuerfahndung Gotha in den Fall eingebunden ist. Sprecher Andreas Mathy wollte aber mit Verweis auf das laufende Verfahren keine weiteren Details nennen.

Aus dem Thüringer Finanzministerium heißt es, dass aufgrund des Steuergeheimnisses keine Auskünfte erteilt würden. Das Steuergeheimnis ist in Deutschland ein Heiligtum und das hat zur Folge, dass der Informationsaustausch mit der Polizei an strenge Regeln gebunden ist.

Auch im Fall von Bogdan A. gab es nach MDR THÜRINGEN-Informationen von den Gothaer Steuerfahndern keine Meldung an das für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zuständige Thüringer Landeskriminalamt. Von dort heißt es, da es sich nicht um ein eigenes Verfahren handle, könne man keine Auskunft geben. Generell arbeite das LKA mit den Finanzbehörden vertrauensvoll zusammen.

Weitere Spur nach Thüringen

Dabei könnte es in den Ermittlungen noch einen weiteren Thüringen-Bezug geben. Denn das Geschäftsmodell des mutmaßlichen systematischen Steuerbetruges der Gruppierung um G. soll über verschiedene Import-Export-Firmen gelaufen sein. Eine davon gehörte Sebastiano S. Er wurde im Rahmen des "Platinum"-Verfahrens ebenfalls festgenommen. Seine Firma soll auch die Restaurants von Bogdan A. in Thüringen beliefert haben.

Für die Thüringer Fahnder dürfte Sebastiano S. kein Unbekannter sein. Anfang der 2000er-Jahren lebte er zunächst in Erfurt, dann in Eisenach. Er arbeitete dort in Restaurants, die Mafia-Ermittler der sogenannten Erfurter Gruppe zurechnen. Einer 'Ndrangheta-Zelle, die seit mehr als 25 Jahren in Thüringen und Sachsen aktiv sein soll.

Sebastiano S. ging dann nach Baden-Württemberg. Über seinen Anwalt ließ er mitteilen, dass er von den Vorwürfen des schwarzen Lebensmittelhandels nichts wisse und sie bestreite. Zudem bestreite er, sowohl mit Kokain gehandelt zu haben, als auch zur 'Ndrangheta zu gehören. Sebastiano G. reagierte auf eine Anfrage bis zum Redaktionsschluss nicht.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 28. August 2021 | 19:00 Uhr

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