Fakt ist! aus Erfurt Der Start der Brombeer-Koalition: Zwischen Aufbruch, Streit und offenen Fragen
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24. April 2025, 10:21 Uhr
Die Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD hatte sich selbst bis Ostern Zeit gegeben. 50 Vorhaben sollten in den ersten 100 Tagen angepackt werden. Unter anderem: Bürokratie abbauen, Wirtschaft entfesseln und Unterrichtsausfall senken. Was aus diesen und anderen Vorsätzen geworden ist, war Thema am Mittwochabend in der Sendung "Fakt ist!" aus Erfurt.
- Warum die neue Schulordnung keinen Unterrichtsausfall beseitigt
- Warum Unternehmer in Thüringen mit der Koalition zufrieden sind
- Warum der Bund der Steuerzahler die Personalpolitik der Regierung kritisiert
Nur einer steht an diesem Abend auf dem Podium im Studio: Thüringens neuer Ministerpräsident Mario Voigt. Und als Erstes wird er mit dem aktuellen Stimmungsbild von MDRfragt konfrontiert. Rund 5.000 Thüringerinnen und Thüringer haben darin ihre Meinung geteilt zum Start der neuen Regierung: Die Hälfte der thüringischen Befragten ist von der bisherigen Arbeit der neuen Landesregierung nicht überzeugt.
"Das Ergebnis überrascht mich nicht", sagt der Ministerpräsident dazu. "Die Menschen haben so viele Enttäuschungen erlebt, die erwarten, dass Ergebnisse kommen." Der Weg aber, den man beschritten habe, sei richtig. In der Migrationspolitik sei in diesen 100 Tagen mehr passiert, als in den letzten 5 Jahren.
Zum Beispiel die Abschiebehaftplätze. Von der Linken-Fraktion kritisiert, haben sie auch für Ärger mit der Landrätin des Ilm-Kreises gesorgt. Denn dort liegt die Jugendstrafanstalt Arnstadt, in der diese Abschiebehaftplätze geschaffen werden sollen.
Und Petra Ender hatte davon aus den Medien erfahren, wie sie sagt. Nach einem "Schlagabtausch" mit der neuen Justizministerin Beate Meißner, so die Landrätin, hätten dann alle an einem Tisch gesessen und in einem "wirklich konstruktiven Gespräch" die offenen Fragen geklärt.
Polizeigewerkschaft wünscht sich bessere Zusammenarbeit
Und auch Mandy Koch, Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, kritisiert die Kommunikation. Sie vertritt auch die Menschen, die im Justizvollzug arbeiten, und gerade bei der Abschiebehaft gibt es da durchaus Schnittstellen, wie sie sagt.
Da habe es auch Gespräche gegeben mit dem Ministerium. Schließlich müsse geklärt werden, dass für die neuen Aufgaben in Arnstadt auch neue Stellen geschaffen werden müssten. Die Polizei könne da nur temporär unterstützen.
Was schlecht läuft, müssen wir natürlich ändern.
Aber auch sie habe aus den Medien erfahren, wie konkret die Pläne für eine Polizei-Strukturreform von Innenminister Georg Maier sind. “Aber die Menschen, die bei der Polizei arbeiten, wollen mitgenommen werden“, so Koch.
Für Mario Voigt ist ein gutes Zusammenspiel zwischen Landesebene und kommunaler Ebene sehr wichtig. Er sagt, dass auch die Kommunikation in Zukunft besser laufen wird. Die Kritik von Landrätin Enders war aus seiner Sicht berechtigt, die Betroffenen müssen einbezogen werden. "Was schlecht läuft, müssen wir natürlich ändern", sagt der Ministerpräsident.
"Aber es geht doch nicht um Kommunikation, sondern um Ergebnisse!" Bei den derzeitigen großen Veränderungen könne Thüringen schließlich nicht an der Seitenlinie stehen. Thüringen müsse unter allen Bundesländern wieder mittendrin sein, das war so, sagt er, in den letzten Jahren nicht der Fall.
Unterrichtsausfall und Lehrermangel
Stichwort Unterrichtsausfall: Laut Voigt war der Freistaat da Schlusslicht in Deutschland. Vor Amtsantritt der Brombeere, in der letzten November-Woche, lag der bei 11,1 Prozent. Jetzt sind es 11 Prozent. Die CDU wollte ihn eigentlich auf unter 10 Prozent bringen.
Für viele Menschen war nicht nachvollziehbar, warum man über eine neue Schulordnung diskutiert und über Kopfnoten, obwohl dieses große Problem noch nicht gelöst ist. Kathrin Vitzthum von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist da auch eher skeptisch. Im Wahlkampf habe Mario Voigt da eine Menge versprochen, "obwohl er weiß, dass das nicht so schnell geht im Bildungsbereich."
Auch was die Einstellung neuer Lehrer betrifft, will Vitzthum lieber erstmal schauen, was wirklich passiert. Mario Voigt hatte nämlich gesagt, es würden erstmals mehr Lehrer eingestellt in Thüringen als die 950, die in den Ruhestand gehen.
Und was das Thema Kopfnoten betrifft, die das Leistungsprinzip in der Schule stärken sollen, weist Vitzthum darauf hin, dass die Koalition besser wissenschaftliche Studien zum Thema gelesen hätte. Und auch hier hatte es nach vielen Protesten von Eltern und Lehrern Anpassungen gegeben am Entwurf des neuen Bildungsministers Christian Tischner.
Dabei betont Mario Voigt immer wieder, er wolle die Menschen einbinden, Betroffenen zuhören. "Ich will mich als Politiker auch daran messen lassen." Die Probleme des Landes seien zu massiv, um sich "rauszuärscheln".
Matthias Kreft ist Hauptgeschäftsführer vom Verband der Wirtschaft Thüringens. Für ihn fällt die Bilanz der ersten 100 Tage der neuen Regierung deutlich positiver aus.
Wir wollen die wirtschaftsfreundlichste Landesregierung sein.
Seine Unternehmen, so sagt er, wollen ihren Geschäften nachgehen ohne staatliche Regulierung. Und da sieht er bei der Brombeer-Koalition gute erste Maßnahmen. "Man will Unternehmer offenbar entlasten." Und das bestätigt auch der Regierungschef: "Wir wollen die wirtschaftsfreundlichste Landesregierung sein."
Bürokratie als großes Hemmnis überall
Die Bürokratie soll deutlich reduziert werden, die Wirtschaft in Thüringen müsse wieder in Gang gebracht werden, so Voigt. Die Landesregierung hat beispielsweise das Vergabegesetz gelockert. Das bedeutet, dass öffentliche Auftraggeber jetzt größere Aufträge weniger bürokratisch vergeben dürfen.
Die Leute wollen mitziehen und sie haben gute Ideen und wollen Veränderungen.
Auch die Tatsache, dass der Haushalt verabschiedet ist, sei gut für die Wirtschaft, das biete Sicherheit. Allerdings dürfe man den Leuten nicht weismachen, dass man mit einem Fingerschnippen alles regeln kann.
Weniger Bürokratie und damit weniger Regulierung ist auch für Kreft ein wichtiger Schritt. Am Ende, da ist man sich einig, habe das ja auch etwas mit Vertrauen zu tun.
Kreft spricht von einer Erschwerungs- und Verhinderungskultur. Behördenmitarbeiter seien oft unsicher, hätten Angst, Fehler zu machen, und schöben Entscheidungen zu lange auf. Die Politik müsste aber dafür sorgen, dass die Behörden Vertrauen in die Menschen und in die Unternehmer hätten.
Und eben das mit dem Vertrauen, so Voigt, ist ein gesellschaftliches Thema. Es gäbe tolle Menschen in Thüringen. Wichtig sei, ihnen Freiraum und Vertrauen zu geben. "Die Leute wollen mitziehen und sie haben gute Ideen und wollen Veränderungen."
Aber, so sagt er, es ginge nicht um schnellen Erfolg. "Die Erfahrungen der Leute sollen Maßstab der Politik werden." Derzeit, so Voigt, würden alle Gesetze und Verordnungen auf Doppelstrukturen durchforstet. Denn auch die Handwerkskammern warten auf Veränderungen.
Rechnungshof: Personalpolitik der Regierung zu teuer
Ein Thema, das die Startphase der Brombeere ebenfalls geprägt hat, war die Debatte um die Personalpolitik. Kritik gab es von der Linken und vom Landesrechnungshof. Die Brombeere hat noch mehr Top-Jobs geschaffen. Stichwort: zusätzliche Staatssekretäre. Und dabei hatte die CDU vor der Wahl die Personalpolitik der Vorgängerregierung heftig kritisiert.
Solveig Fries vom Bund der Steuerzahler hält die Personalausgaben auch für zu hoch. "Der Landesrechnungshof kritisiert seit Jahren die Zahl der Abgeordneten und Staatssekretäre" sagt sie. 166 neue Stellen sind aus ihrer Sicht zu viel. Sie findet beispielsweise, dass man, wenn Fußballspiele mit immer mehr Polizei abgesichert werden müssen, diese Kosten durchaus an die Clubs weitergeben könnte.
Für Mario Voigt ist eins klar: "Am Ende der Legislaturperiode wird es weniger Personal geben als am Start." Er habe Wert darauf gelegt, dass Experten als Minister eingesetzt würden. Und da in Bezug auf die Digitalisierung Thüringen extrem schlecht dastehe, müsse da auf jeden Fall auch eine Expertin oder ein Experte hin. Ebenso wie im Gesundheitsbereich. Die Kritik an der Vorgängerregierung habe sich ja darauf bezogen, dass nicht nach Qualifikation eingestellt worden sei.
Diese Koalition will das Land voranbringen.
Ministerpräsident Mario Voigt jedenfalls scheint eine positive Bilanz aus 100 Tagen Brombeer-Regierung gezogen zu haben. Auch Streit gibt es aus seiner Sicht zwischen den beteiligten Fraktionen nicht. "Diese Koalition will das Land voranbringen", sagt er. Aber um einschätzen zu können, wie gut das gelingt, werden die Menschen hier wohl etwas mehr als 100 Tage brauchen.
Zum Aufklappen: Was hat es mit der 100-Tage-Frist auf sich?
Die 100-Tage-Frist bemisst die Zeitdauer, die nach einer Faustregel des Journalismus einem neuen politischen Amtsinhaber oder einer neuen Regierung zugestanden wird, um sich einzuarbeiten und erste Erfolge vorzuweisen. Danach kommt es zu einer ersten Bewertung der Regierungsleistung.
100 Tage sollen neue Entscheider nutzen, um sich mit den Abläufen ihres Amtes vertraut zu machen, wesentliche Personalentscheidungen zu treffen und erste Maßnahmen auf den Weg zu bringen. Traditionell wird das erste Resümee von Medien und Opposition darum erst nach Ende dieser Schonfrist gezogen.
Ursprünglich ging diese Form von Stillhalteabkommen zwischen Presse und Politik auf den amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt zurück, der während der Weltwirtschaftskrise zum Präsidenten gewählt worden war. Er bat um eine Schonfrist von 100 Tagen, nach denen die Wirkung seines Reformprogramms, des New Deal, erkennbar werden sollte. Er erließ nach seinem Amtsantritt 1933 während dieser Frist 15 wichtige Gesetze und setzte sie im US-Parlament durch, um eine wirtschaftliche Wende einzuleiten.
MDR (gh)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! aus Erfurt | 23. April 2025 | 20:15 Uhr
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