Mafia
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MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 24) Podcast-Transkript: Mafia-Kolonie Ostdeutschland

Audiotranskript

Nach der Wende brachten italienische Restaurants südliches Flair in triste ostdeutsche Innenstädte. Doch einige werden von der Mafia betrieben - größtenteils um Drogengeld zu waschen. Zu Gast im Podcast: Ludwig Kendzia

Deutschland und insbesondere der Osten war für die 'Ndrangheta von Anfang an von großem Interesse Es war ein armes Gebiet. Aber für diejenigen, die etwas von Wirtschaft und Politik verstehen, war klar, dass Ostdeutschland durch die Wiedervereinigung reich werden würde.

O-TON Nicola Gratteri, Anti-Mafia-Staatsanwalt in Catanzaro "Mafia-Kolonie Ostdeutschland"

Intro:

Willkommen zum Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche“. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.

Ein Angebot, das sie nicht ablehnen konnten. Das machten italienische Mafia-Organisationen offenbar nach der Wende vielen ostdeutschen Kommunen. Ihre Restaurants brachten Flair in graue Innenstädte- guter Wein, italienischer Charme und leckeres Essen. Doch nach wie vor scheint zweitrangig, wer diese Restaurants betreibt. "Mafia-Kolonie Ostdeutschland" heißt der Film, den Ludwig Kendzia, Margherita Bettoni und Axel Hemmerling zusammen mit der FAZ gedreht haben. Ludwig Kendzia ist heute zu Gast in unserem Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Ludwig ich freue mich, dass Du Zeit gefunden hast.

Ludwig Kendiza (LK)

Ja, vielen Dank freue mich auch.

Secilia Kloppmann (SK)

Zum Einstieg haben wir den Anti-Mafia-Anwalt Nicola Gratteri gehört aus eurem Film. Der sagt, Ostdeutschland war von größtem Interesse für die Mafia. Wann kamen die ersten Mafia-Mitglieder in den Osten? Und was war denn damals überhaupt deren Ziel?

LK

Also 1995 /96 haben die ersten italienischen Restaurants in Erfurt aufgemacht. Da konnte man beobachten, dass Italiener nach Erfurt gekommen sind, unter anderem aus Duisburg, aber einige auch direkt aus Italien. Da hat es wohl bereits damals schon, Mitte der 90er-Jahre, erste vorsichtige Informationen auch vom Bundeskriminalamt, aber auch von den Behörden aus Nordrhein-Westfalen, also besonders von der Polizei Duisburg und auch Polizei in Bochum, Informationen nach Thüringen gegeben, dass da einige von diesen Restaurantbesitzern im Verdacht stehen, zur kalabrischen Mafia-Organisation Ndrangheta zu gehören. Über diese Gesamtorganisation zu sprechen, wäre ein abendfüllendes Programm. Aber zur 'Ndrangheta muss man wissen, dass es eine der größten Mafia-Organisationen der Welt und mutmaßlich auch wahrscheinlich der größte Kokain-Importeur in Europa ist. Und wer so viele Drogen verkauft und handelt, der muss halt auch sehr viel Geld waschen. Und das Interesse in eine Stadt wie Erfurt zu gehen, aber auch in andere Städte in Ostdeutschland, wie zum Beispiel Leipzig oder Dresden in der Folge, lag vor allem offenbar daran, diese Restaurants zu gründen, als eine Art legale Brückenköpfe und von da aus dann zu versuchen, mit anderen Geschäften unter anderem Geld zu waschen. Das ist wohl eines der der wichtigsten Hauptziele gewesen, in solche Städte wie Erfurt zu kommen.

SK

Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, Ihr habt 2014 mit den Recherchen angefangen zur Mafia, da waren die ja auch schon eine Weile da. Habt ihr damals dieses Ausmaß, was euch dann sich auch offenbart hat im Laufe der Zeit, schon abschätzen können?

LK

Also der erste Film, den wir damals für die MDR-Sendereihe exakt die Story gedreht haben, der ist 2015 veröffentlicht worden. Der Unterschied zwischen diesem Film und der ARD-Story, die wir jetzt im Februar 2021 gebracht haben, ist, dass wir deutlich mehr Unterlagen, deutlich mehr Ermittlungsmaterial, deutlich mehr Akten und vor allem deutlich mehr Hintergrundinformationen sammeln konnten über die gesamte Struktur. Wir hatten aber damals schon 2015 beim ersten Film schon unter anderem Informationen erhalten, dass besonders die italienischen Behörden bereits seit einigen Jahren davon ausgehen, dass die mutmaßlichen 'Ndrangheta Mitglieder, besonders in Erfurt, tatsächlich eine sehr wichtige und sehr großer Zelle der italienischen Mafia sind. Und die werden auch bei den Italienern als sogenannte „Erfurter Gruppe“ bezeichnet. Es ist also ein tatsächlich feststehender Spezialbegriff bei italienischen Ermittlern., die sogenannte „Erfurter Gruppe“, die seit Mitte der 90er-Jahre von Erfurt aus agiert.

SK

Vielleicht sollten wir noch einmal ganz kurz klären, was die 'Ndrangheta eigentlich ist. Also wo die herkommen, das kannst Du uns doch bestimmt erklären?

LK

Also, die 'Ndrangheta ist eine kalabrische Mafia-Organisation, die es schon , mit ihren Vorläuferorganisation seit dem neunzehnten Jahrhundert in der süditalienischen Region Kalabrien gibt. Kalabrien, das ist der südlichste Zipfel, die Spitze des Stiefels. An der Straße von Messina, die das italienische Festland von Sizilien trennt. Und die 'Ndrangheta ist eine der drei großen Mafia-Organisation in Italien - neben der Cosa Nostra auf Sizilien und der Camorra in Neapel und Campagnen. Ihr kometenhafter Aufstieg der geht eigentlich so Ende der 80er/ Anfang der 90er-Jahre los, als sich die italienische Regierung mit der Cosa Nostra aus Sizilien einen schweren Mafiakrieg lieferte. Da ist die 'Ndrangheta in aller Stille zu einem der mächtigsten Drogen-Importeure der Welt aufgestiegen. Und das hat ihr einfach auch sehr, sehr viel Geld und auch dadurch sehr viel Macht verschafft. Sie ist eigentlich weltweit, muss man sagen, aktiv.

SK

Du hast es gerade schon angedeutet. Da geht es vor allen Dingen um den Handel mit Kokain. Ansonsten bei Mafia weiß man ja auch geht es um illegale Giftmüllentsorgung, um Schutzgeld, um Bauwesen ...

LK

Also ursprünglich hat die 'Ndrangheta in den 60er und 70er-Jahren mit Entführungen viel Geld gemacht. Die haben in Norditalien Kinder, Jugendliche oder andere Angehörige von sehr reichen Menschen entführt. Kalabrien ist ein wunderschöner Landstrich mit einem sehr großen, zerklüfteten Gebirge, dem sogenannten Aspromonte. Und in diesem Gebirge da kennen die sich gut aus. Und dort haben die also dann teilweise ihre Entführungsopfer über Monate oder Jahre versteckt, und haben sehr viel Geld erpresst. Und mit diesem Geld sind sie dann Stück für Stück in den Drogenhandel eingestiegen. Aber sie sind natürlich auch, also besonders in der Region, auch in der Schutzgelderpressung unterwegs. Die `Ndrangheta war in den 80er-Jahren und auch in den 90er-Jahren im Waffenhandel aktiv. Das dürfte sie sicherlich jetzt auch noch teilweise sein, aber vor allem der Kokain-Import, dass ist das große Hauptgeschäft.

SK

Über welchen Umfang sprechen wir da eigentlich, Ludwig?

LK

Also mit Zahlen ist es immer so eine schwierige Sache, weil ja eine Mafia-Organisation nicht wie ein Dax-Konzern am Ende des Jahres ein Aktionärsbericht abgibt. Aber italienische Quellen, aber auch Interpol und Europol schätzen, dass sie einen Jahresumsatz zwischen ungefähr 50 und 60 Milliarden Euro macht.

SK

Und der muss, weil das wahrscheinlich alles Bargeld ist, zum großen Teil, aus dem Kokainverkauf, der muss gewaschen werden? Und deswegen sind die in Deutschland, weil es hier so gut Geld waschen lässt...?

LK

Ja, also das ist das ist natürlich quasi ein wichtiges Hauptgeschäft. Man macht mit Drogen natürlich viele Umsätze, Bargeld-Umsätze. Und das ist ja dann so genanntes wie es in der Rechtssprache heißt, inkriminiertes Geld. Also Geld, das durch kriminelle Geschäfte erlangt wurde und dessen Herkunft verschleiert werden muss. Und dafür suchen sie natürlich außerhalb von Italien Möglichkeiten zur Investition. Und da ist Deutschland ein Land, in dem sich das ziemlich gut machen lässt. Andere Länder wie Spanien, aber auch Frankreich gehören auch dazu. Aber besonders eben Deutschland ist da sehr attraktiv, weil hier eben tatsächlich der Bargeldverkehr immer noch etwas ist, was zum guten Ton des Geschäftes gehört, dass man mit Bargeld bezahlt. Und eben auch die Geldwäsche teilweise in der Strafverfolgung nicht so intensiv verfolgt wird, wie es zum Beispiel in anderen Ländern wie zum Beispiel in Italien selber ist.

SK

Vielleicht kannst du es uns doch mal kurz an einem Beispiel erklären, wie das funktioniert mit dieser Geldwäsche. Zum Beispiel an einem Beispiel von einem italienischen Restaurant...

LK

Also es besteht immer wieder der Verdacht, und das hat sich auch teilweise durch bestimmte Ermittlungen auch immer wieder herausgestellt, dass Restaurantgründungen zur Geldwäsche gemacht werden. Jetzt ist das Restaurant in erster Linie natürlich ein legales Geschäft. Du kaufst also entweder ein Gebäude, in dem du das Restaurant einrichtest oder du bist Mieter, übernimmst ein Restaurant und zahlst als jeden Monat Miete an deinen Vermieter. Du hast eine entsprechende Gewerbeanmeldung und so weiter. Und damit bist du sozusagen legal, erst mal im Geschäft. Und dann lässt man das Restaurant zwei, drei, vier Jahre laufen, je nachdem, wie gut es läuft. Meist laufen die gut, also damals in den 90er-Jahren, als sie gerade in Erfurt oder auch in anderen Städten aufgemacht haben, liefen die Restaurants super, laufen die auch heute noch. Und wenn das eine Weile gelaufen ist, dann verkaufst du es an jemand anderes zu einem deutlich höheren Preis. Und dieser andere wiederum zahlt ihr ein Teil dieses Geldes hintenrum zurück, weil er quasi zu deiner Organisation gehört. Oder man setzt einen Strohmann ein, der so nach außen hin eine völlig andere Vita hat, aber eigentlich Teil deiner Struktur ist. Das kann man machen, indem man halt Leute aus anderen Städten, Italiener zum Beispiel aus anderen Städten, Gastronomen, herholt oder zum Teil auch haben wir Hinweise gefunden, dass auch deutsche Strohleute dabei sind. Wo dann der Verdacht besteht, dass die Geldflüsse dann entsprechend über bestimmte Firmen, die dann der jeweilige hat, hintenrum wieder abgerechnet werden. Dass das Geld da durch ein Kreislauf wieder zurückkommt. Man nennt das Geldwäsche in einem in einem ordentlichen Rechtsverkehr. Dadurch, dass du das Restaurant verkaufst, hast du einen legalen Rechtsverkehr, indem Du einen Kaufvertrag vorweisen kannst und sagst, das Geld, habe ich bekommen, weil ich mein Restaurant verkauft habe,

SK

Und die Lebensmittel und der Wein und so weiter … kommen die auch aus so einer Art geschlossenen System?

LK

Ja, teilweise schon. Also es besteht auf jeden Fall auch der Verdacht. Und das haben auch teilweise schon Ermittlungs-Verfahren auch in Deutschland gezeigt, dass eben durch den Lebensmittelhandel, besonders für die Restaurants, auch Geld gewaschen werden kann. Weil eben zum Beispiel Teile der Lebensmittelhändler mit denen sozusagen unter einer Decke stecken und Geld hin und hergeschoben wird. Auch ein beliebtes System, um zum Beispiel Geld zu waschen, ist, Kredite aufzunehmen. Also du machst ein Restaurant auf, das richtest du ein. Du gehst zu einer Bank, nimmst einen Kredit auf und zahlst dann Teile dieses Kredites in kleinen Tranchen ab. Und dieses Geld, was du da einzahlst ist eben dieses kriminelle Geld. Also da zahlst du auf ein Konto ein und von diesem Konto aus wird dann der Kredit bedient und das Kreditgeld, was du bekommen hast, ist halt absolut sauberes Geld, weil es von der Bank kommt.

SK

Und Ostdeutschland war deshalb attraktiv, weil es hier viel aufzukaufen gab und auch erst mal günstig..?

LK

Sagen wir mal so, Ostdeutschland war natürlich erstmal deshalb attraktiv, weil es ein leerer Markt war. Der erstens eine Menge an Immobilien hatte, die zum Verkauf standen. Und durch Immobilienkäufe kannst du auch gut Geld waschen, indem du das Haus kaufst und es dann zum Beispiel eben wieder verkaufst und dadurch das Geld legalisiert. Es hatte den Charme gehabt, dass man hier eben Gastronomiegeschäfte aufmachen konnte, weil die gesamte Gastro-Branche nach der Wende komplett am Boden war. War ja alles staatlich organisiert, durch die jeweiligen Handelsorganisationen und Konsumgenossenschaften in der DDR. Wenn man dann kommt und sagt ich kann hier in bester Lage ein Restaurant eröffnen, dann ist das eben auch ganz entscheidend die legale, gute Fassade. Wir müssen uns absolut von dem Bild des stiernackigen, Lederjacken tragenden, Flinten tragenden Mafiosi verabschieden. Das sind die nicht, sondern Mitglieder der Ndrangheta in Deutschland wollen als erstes als adrette und saubere Geschäftsleute und Gastronom durchgehen.

SK

Das ist ja auch gelungen. Die ostdeutschen Städte, die haben ja auch quasi danach gelechzt, nach dieser Gastronomie. Ihr habt da den ehemaligen Oberbürgermeister von Erfurt getroffen, Manfred Ruge. Und der hat ganz, ganz unumwunden zugegeben, dass ihm eigentlich egal, war, wer da war..

Manfred Ruge, ehem. OBM Erfurt "Mafia-Kolonie Ostdeutschland"

O-TON Manfred Ruge, Oberbürgermeister Erfurt (1990 - 2006)

Also mir war es fast egal. Hauptsache, es kaum ordentliche Gastronomie in die Stadt, mit der man sich nicht schämen musste. Und alles, was dort gemacht worden war, ist ja ordentlich gemacht worden. Das muss man einfach sagen. Im einem Fischmarkt-Bereich sind es drei Italiener, die da sind und das sind einwandfreie Geschäfte. Und was will ich als Oberbürgermeister mehr? Ich war froh. Man muss es auch so sehen: Ich war froh, dass auch die Besitzer der Häuser ordentliche Mieter hatten, die auch Miete zahlten und damit auch die anstehenden Reparaturen und Renovierung der Häuser zu finanzieren.

SK

Hätte man denn mit Blick auf zum Beispiel Westdeutschland, wo ja im Prinzip genau dasselbe passiert ist, wo mit den Gastarbeitern ja auch die Mafia ins Land gekommen ist, das nicht im Osten damals auch wissen können? Wollte man es nicht wissen, wie der Herr Ruge?

LK

Also ich glaube, man muss das immer im Kontext der Zeit betrachten. Ruge bezieht sich ja in seiner Aussage auf eine Zeit, als die gekommen sind und diese Restaurants in Erfurt aufgemacht haben. Und das war eine Zeit Mitte der 90er-Jahre. Da war Erfurt eine zwar wunderschöne Stadt mit toller Altstadt, die aber völlig kaputt und runter gekommen war. Und für einen Oberbürgermeister in dieser Phase damals war entscheidend, dass es Investoren gab. Privatinvestoren, die sagen, wir kommen hier her und wir stecken ihr Geld rein. Denn mit aufkommender Gastronomie kommen ja auch andere Dinge, dann kommen auch Touristen in eine Stadt zum Beispiel. Es kommt ja kein Tourist in eine Stadt, wenn er, wenn nicht weiß, dass es da irgendwo zwei, drei Restaurants gibt, wo man essen gehen kann. Und dadurch bekam die Stadt natürlich auch einen anderen Flair. Und zu diesem Zeitpunkt damals muss man sagen hat das Thema italienische Mafia in Ostdeutschland, aber auch in Westdeutschland in der öffentlichen Wahrnehmung nicht diese Rolle gespielt wie es heute die Rolle spielt. Das sehen wir auch immer wieder an den Reaktionen auf unseren jetzt aktuellen Film. Das jetzt noch Leute kommen und sagen: Wir haben uns eure ARD-Story jetzt im Februar 2021 angeguckt. Wir sind echt erschüttert, das hätten wir nicht gedacht. Und dann sagen wir na, das ist doch eigentlich schon seit 25 Jahren irgendwie bekannt, oder? Seit 25 Jahren läuft das doch, und da sagen viele Leute: Nein, das haben wir so nie wahrgenommen. Es gab immer mal Scherze oder Witze, gehen wir mal zu "Mafia", aber es ist es ist in der öffentlichen, gesellschaftlichen, aber auch politischen Wahrnehmung einfach ausgeblendet worden. Und man muss sich mal folgendes überlegen: Noch Ende der 90er-Jahre hat ein CDU-Landtagsabgeordneter eine Kleine Anfrage im Parlament an den Thüringer Innenminister gestellt, zum Thema Mafia in Thüringen. Das Protokoll von damals kann man noch in der Parlamentsdatenbank nachlesen. Der (Innenminister) hat eine Antwort geliefert, wenn man das liest, da zieht es einem die Schuhe aus. Das wurde als lächerlich (abgetan), und wie man auf die Idee kommen könnte, dass die Mafia in so einem kleinen Bundesland wie Thüringen, aktiv sein könnte.

SK

Hat man es nicht gewusst? Oder hat man es nicht wissen wollen?

LK

Ich glaube einfach, dass man das damals einfach überhaupt nicht wirklich wahrgenommen hat. Und die Ermittlungsbehörden, die damals tatsächlich Kenntnis hatten ...

SK.

… und mit denen Ihr gesprochen habt, und die heute ganz deutlich drüber sprechen, dass sie Erkenntnisse hatten...

LK

Ja, natürlich. Aber die haben damals einfach aus Geheimnisgründen geschwiegen. Weil die gesagt haben das, was wir hier gerade ermitteln, ist zu brisant. Da können wir nicht irgendwelche Politiker darüber informieren. Und man muss sich auch noch vor Augen führen: Unser jetziger Thüringer Innenminister Georg Maier, der war der erste Innenminister, der tatsächlich mal öffentlich vor einer Kamera in einem Fernsehinterview - nämlich bei uns beim MDR vor ein paar Jahren da ging es vor allem um um eine andere Mafia-Organisationen, die auch hier in Thüringen aktiv ist, nämlich die armenische Mafia. Da hat er das erste Mal überhaupt das Wort Mafia in den Mund genommen und hat gesagt, so was haben wir hier in Thüringen. Hier sind Leute , von denen wir wissen, dass die mutmaßlich Mitglieder solcher Organisationen sind, also faktisch fast 20 bis 25 Jahre nach der deutschen Einheit. Also damit macht man einfach auch ein Stück deutlich, dass zu dem Zeitpunkt wie Ruge einfach das nicht wahrgenommen hat. Und aus dieser Perspektive raus habe ich sogar ein kleines bisschen Verständnis für seine (Ruges) Aussage. Gleichwohl man natürlich sagen müsste okay, dieses Interview, was wir mit ihm gemacht haben, war jetzt, das war ja aktuell. Im Sommer letztes Jahr haben wir das aufgezeichnet. Vor den mittlerweile nun bekannt gewordenen Informationen hätte er das vielleicht etwas anders einsortieren müssen. Aber das ist seine Entscheidung innerhalb des Interviews gewesen. Was glaube ich ganz wichtig ist, muss man aber auch dazu sagen: Er hat auch sehr betont, dass er damals von der Polizei nie Hilfe oder Unterstützung bekommen hat. Die Polizei ist nie bei ihm gewesen und hat gesagt: Passen Sie mal auf Herr Ruge, wir haben hier ein paar Informationen. Seien Sie mal ein bisschen zurückhaltend. Er sagt, das ist nie passiert. Und da muss man sagen ja, das ist halt dann auch für einen Oberbürgermeister ganz schön blöd, also so dumm dazustehen.

SK

Aber interessant ist ja auch in eurem Film – auf den weise ich jetzt auch gleich noch mal hin, zu finden in der ARD-Mediathek "Mafia-Kolonie Ostdeutschland". Da wird ja auch deutlich, dass es wichtige Persönlichkeiten gab, die sich haben einladen lassen, da habt ihr ja auch Belege dafür. Also, ein Sparkassenchef oder jemand von einem BMW-Autohaus, jemand von der CDU … das heißt, die (Mafiosi) haben mit ihren Restaurants auch dafür gesorgt, dass sie die richtigen Kontakte hatten, oder?

LK

Also diese Informationen, die wir da veröffentlicht haben, die entstammen einem groß angelegten Ermittlungsverfahren, dass die Staatsanwaltschaft Gera seinerzeit 1998 in einem Vorermittlungsverfahren begonnen hat, gemeinsam mit dem Landeskriminalamt in Thüringen und dann im Jahr 2000 in einer sehr engen Kooperation mit dem Bundeskriminalamt, auch mit dem LKA Thüringen und auch italienischen Behörden, das in einem großen Strafverfahren mündete, das mit sehr viel Akribie und Intensität in Thüringen geführt worden ist. Und aus diesem Ermittlungsverfahren stammen diese Information. Dass es also unter anderem eine Geschäftsreise gegeben haben soll, nach Kalabrien, nach San Luca, einem sehr, sehr wichtigen zentralen Ort für die italienische 'Ndrangheta …

SK

… wo die meisten (Mafiosi) ja auch herkommen...

LK

... zumindest die "Erfurter Gruppierung" gehört zu einem großen 'Ndrangheta-Clan, dem "Pelle Voltari Clan", der direkt aus San Luca kommt. Und deswegen gibt es da eine sehr enge Verbindung. Man findet zum Beispiel in San Luca auch immer wieder Auto-Kennzeichen aus Erfurt, aus Leipzig, aus Dresden, aus Eisenach haben wir da gesehen in San Luca. Und es soll eben dieses Geschäftstreffen gegeben haben, an dem diese Personen da wohl mit teilgenommen haben sollen. Und offenbar ist da die Polizei damals da auch dran gewesen. Neben dem eigentlichen Strafverfahren gegen die beschuldigten Italiener, die mutmaßlich zur Ndrangheta gehörten und Erfurter Gastronom waren und deshalb Teil des Strafverfahrens waren, ging es auch darum aufzuklären, welche Verbindungen es in Politik, Wirtschaft und Justiz und Verwaltung - besonders Kommunalverwaltung in Erfurt - aber auch Landesverwaltung gegeben haben könnte zwischen den italienischen Gastronomen und solchen Leuten. Das ist schon Teil des Ermittlungsverfahrens gewesen. Und deswegen haben wir das auch so veröffentlichte in dem Film.

SK

Ganz kurze Nachfrage zu einer aktuellen Situation: Euer Film endet ja mit dem großen Verfahren, was im Moment in Italien stattfindet, gegen 300 Mafia-Mitglieder und weil Du gerade den Namen genannt hast - da ist doch vor zwei bis drei Tagen einer verhaftet worden ..

LK:

Mafia Prozess in Kalabrien (Italien)
Derzeit läuft in Italien ein Prozess gegen rund 300 Mafia-Mitglieder Bildrechte: imago images / ZUMA Wire

Ja, Francesco Pelle. Aber die Namen, die gehören zu den Clans, sind aber nicht immer automatisch identisch mit der jeweiligen Familie. Es gibt also viele Pelles in Kalabrien. Aber es ist tatsächlich insofern interessant , dieser Francesco Pelle, der jetzt vor wenigen Tagen in Lissabon festgenommen worden ist, der gilt als einer der Drahtzieher des sechsfach Mafia-Mordes von Duisburg 2007 im August. Er selber hat zwar keine direkte Verbindung zu unseren Leuten in der Erfurter Gruppierung, aber es gab damals eine Verbindung zwischen diesen Mafia-Mord und Erfurt. Und zwar sowohl von den Opfern aus gab es verwandtschaftliche Verbindungen hier nach Erfurt, als auch einer der damaligen Täter war wohl auch hier in Erfurt gewesen und hatte wohl auch scheinbar Kontakte ihres. Also, das ist sozusagen jetzt mal eher so eine Übereckverbindung zwischen diesem aktuellen Fall Francesco Pelle, mit der Festnahme in Portugal und der Mafia in in Thüringen und Sachsen.

SK

2007 diese Mafia-Morde, das kommt ja in einem Film auch ganz deutlich, sagt er das, dass das eigentlich für die Mafia so ein „worst-case-Szenario“ war. Das ist nicht das, was die wollen. Die wollen lieber unerkannt bleiben. Es gab ja auch ein Verfahren in Thüringen, was 2002 eingestellt worden ist. Man fragt sich immer, warum ist da nichts passiert ? Ihr habt mit Jens Kehr gesprochen vom Landeskriminalamt ..

O-TON Jens Kehr, Landeskriminalamt Thüringen

Das ist ein Verfahren, was etwa zwei Jahre lief und das letztendlich im Ergebnis aber eingestellt wurde. Und das macht, glaub ich, auch so ein Stück deutlich, wie schwierig es ist, in dem Umfeld organisierter Kriminalität im Allgemeinen und insbesondere bei der italienischen organisierten Kriminalität erfolgreich zu ermitteln.

Jens Kehr, LKA Thüringen "Mafia-Kolonie Ostdeutschland"

LK

Im Jahr 2000 hat man das Verfahren angeschoben. Es hatte den Codenamen Fido, und es ist angeschoben worden, um eben Geldwäschegeschäfte und Drogengeschäfte von mutmaßlichen Ndrangheta Mitgliedern aus Erfurt, also dieser Erfurter Gruppe, aufzuklären, aufzudecken. Und zu diesem Zweck hatte man es auch tatsächlich geschafft, einen verdeckten Ermittler in die Reihen der Mafia einzuschleusen, einen Italiener, der sich da das Vertrauen der Mafiosis erschlichen und erarbeitet hatte, um dann die Polizei darüber zu informieren. Und im Jahr 2000 wurde dieser verdeckte Ermittler aus Sicherheitsgründen abgezogen. Und um diesen Abzug gab es wohl damals verschiedene Meinungsverschiedenheiten, Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Behörden - aber der Abzug wurde dann entschieden. Der wurde raus genommen, und damit war im Prinzip des Verfahren mehr oder weniger tot, aben uns die Ermittler erzählt, die damals mit dabei waren. Die dann gesagt haben, das Verfahren war im Prinzip nicht mehr weiter führbar. Gleichwohl hat natürlich die Staatsanwaltschaft, aber auch des LKA, immer wieder natürlich einen Blick drauf gehabt haben. Als dann zum Beispiel 2007 die Mafia-Morde von Duisburg passiert sind, und es also eine Verbindung zwischen den Opfern und Erfurter Ndrangheta-Mitgliedern gab, da hat man natürlich auch noch mal genau geguckt. Aber offenbar hat die Thüringer Justiz bisher keinen klassischen, wie man in der Polizeisprache sagt, Anfasser gefunden, wo man sagt, jetzt können wir nochmal am roten Faden ziehen und können noch mal loslegen. Also, die Beobachtung hat eigentlich immer stattgefunden. Aber es hat eigentlich nie wirklich dafür gereicht, nochmal strafrechtlich richtig ordentlich da reinzugehen. Was uns ganz wichtig ist und das haben wir aber auch versucht in dem Film noch einmal deutlich zu machen, dass uns vor allem in dem Bereich die sächsische Seite sehr sehr unterbelichtet vorkommt. Also die Frage, was auch das sächsische Landeskriminalamt in all diesen Jahren gemacht hat. Denn wir dürfen nicht vergessen: Leipzig und Dresden werden also auch in internen Papieren sowohl bei den Italienern als auch bei bundesdeutschen Behörden nach wie vor als Ndrangheta-Standorte angesehen. Und da haben wir leider bisher - also vom sächsischen Landeskriminalamt zum Beispiel - in unseren Anfragen, die wir da auch hingestellt haben, eigentlich mehr oder weniger Nicht-Aussagen bekommen. Das finden wir auch ziemlich dramatisch. Dass es da einfach momentan offenbar in Sachsen überhaupt kein größeres Interesse gibt, irgendwie da tatsächlich aktiv zu werden,

SK

Ihr habt mit dem Herrn Sergy vom Bundeskriminalamt gesprochen, mit Jens Kehr vom Landeskriminalamt in Thüringen. War das denn schwer, die dazu zu bewegen, sich dazu zu äußern? Und dann ist ja auch so ein bisschen die Frage, wie ist denn euer Film da aufgenommen worden, vonseiten dieser Ämter?

LK

Schwer ist relativ- Es ist eher, sagen wir mal, langwierig, weil diese Behörden natürlich erst mal genau wissen wollen, was wollen wir wissen? Wo wollen wir hin, mit unseren Interviews, mit unseren Recherchen? Insofern haben wir, sagen wir mal, eine Weile gebraucht. Aber ich glaube, es liegt natürlich auch daran, dass wir als Recherche-Redaktion für den MDR, besonders in diesem Team Axel Hemmerling, Margherita Bettoni und ich, jetzt auch schon über die vielen Jahre der Recherchen einfach auch Erfahrung haben. Das läuft dann teilweise so, dass selbst die dann auch manchmal fragen: Was haben Sie denn bei ihren Recherchen für Erkenntnisse gefunden?, so das wir uns da auch ein bisschen austauschen, in Hintergrundgesprächen. Wie das angekommen ist? Ja unterschiedlich, glaube ich, also vom Bundeskriminalamt haben wir jetzt erstmal keine direkte offizielle Reaktion bekommen. Ich denke, das wird sicherlich mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden seien, weil wir teilweise auch Informationen öffentlich gemacht haben, die aus internen Papieren stammen. Unter anderem, dass die Ndrangheta in Deutschland eine eigene, bisher öffentlich kaum bekannte oder öffentlich gar nicht bekannte Mafia-Kommission unterhält, wo also verschiedene hochrangige Ndrangheta-Mitglieder an einem Tisch sitzen und hier für „Frieden und Geschäfte“ sorgen. Das wird jetzt sicherlich im BKA nicht so gut angekommen sein, dass wir das öffentlich gemacht haben. Aber auch gleichwohl, glaube ich, haben auch die Behörden natürlich immer wieder ein gewisses Grundinteresse - das würden sie wahrscheinlich offiziell so nie sagen - aber ein gewisses Grundinteresse, das Journalisten wie wir und andere Kolleginnen und Kollegen anderer Sender, Zeitungen und Magazine immer wieder was über organisierte Kriminalität in Deutschland machen. Um das einfach auch öffentlich zu machen. Das ist , glaube ich, ein wichtiger Punkt: Organisierte Kriminalität scheut die Öffentlichkeit, will nicht öffentlich gemacht werden. Und deswegen ist es halt notwendig, das Journalistinnen und Journalisten das auch immer wieder tun.

SK

Wie ist es denn jetzt eigentlich mit der Mafia vor Ort in Thüringen ? Am Ende spuckt ihr denen ja schon in die Suppe. Die möchten ja möglichst nicht, dass über sie berichtet wird. Gibt es da Reaktionen von deren Seite?

LK

Die einzige Reaktion, die wir bekommen haben, war vor Veröffentlichung des Filmes. Weil wir natürlich genau das, was wir immer machen, was zu einer guten journalistische Recherche dazugehört: Wir konfrontieren alle Seiten mit unseren Rechercheergebnissen. Und wir haben also auch eine Liste von Personen, die Teil dieser Recherche waren und auch noch weiteren Recherchen sind. Und die haben wir dann in langen Fragenkatalogen schriftlich, sowohl mit Briefen als auch in Mails konfrontiert. Und wir haben von einem, über seinen Anwalt, noch vor Veröffentlichung des Films ein langes schriftliches Traktat bekommen. In dem versucht wurde, die Veröffentlichung des Films zu unterbinden. Das ist aber gescheitert. Wir haben das durch die Rechtsabteilung des MDR geprüft, und auch die FAZ hat es in ihrer Rechtsabteilung prüfen lassen. Die haben gesagt, da müssen wir uns keine Sorgen machen. Ansonsten haben wir keine weiteren Reaktionen erhalten. Ich glaube, das wird da auch anders wahrgenommen.

SK

Wie meinst du das? Anders wahrgenommen ...?

LK

Ich glaube, die nehmen das war. Aber die würden einfach aufgrund der hohen Öffentlichkeit, die die Berichterstattung hat und die wir auch als Reporter haben, glaube ich, wir würden öffentliche Reaktion ja auch wieder öffentlich machen. Von daher glaube ich, die sagen sich, das nehmen wir jetzt erstmal so hin.

SK

Wobei ich mich schon gefragt habe, als ich den Film angesehen habe: Direkt genannt und gezeigt habt ihr keines der Restaurants. Und da habe ich mich schon gefragt, ob das vielleicht auch zu gefährlich ist...

LK

Es ist als erstes juristisch gefährlich. Also das Problem ist folgendes: Das haben wir im Laufe der letzten Jahre haben wir diese Erfahrung auch sammeln müssen. Auch sicher durch einen größeren juristischen Rechtsstreit, den wir mit einem Erfurter Gastronomen über einen langen Zeitraum hatten, aufgrund unseres allerersten Films 2015. Der hatte damals also geklagt, gegen die Berichterstattung und hat auch in einem Teil vom Landgericht in Leipzig und dann später bestätigt durch das OLG Dresden auch Recht bekommen. Schwierig ist: In Deutschland ist die Mitgliedschaft in einer Mafia-Organisation nicht strafbar, weil es diesen Straftatbestand im Strafgesetzbuch nicht gibt. In Italien ist es anders. In Italien ist es so, dass die Mitgliedschaft in der Mafia strafrechtlich verfolgt werden kann. In Deutschland gibt es das nicht. In Deutschland gibt es nur die Bildung einer kriminellen Vereinigung. Und das bedeutet, wenn wir jetzt sagen würden, die und die Person - wir sie mit Namen benennen würden - steht mutmaßlich im Verdacht, Mitglied der italienischen Mafia zu sein. Dann könnte der vor einem deutschen Gericht halt immer sagen na, dann beweist mir das doch mal.

SK

.. und dann zeigt Ihr das eben aujch nicht. Weil man weiß, in Weimar und … es gibt natürlich immer Gerüchte... Man muss natürlich auch sagen: nicht alle italienischen Restaurants gehören der Mafia.

LK

Absolut, ja, ja, absolut, wie gesagt, obwohl die Dichte in Erfurt relativ hoch ist, ohne jetzt mal genaue Zahlen zu nennen.

SK: warum nennt Ihr keine genauen Zahlen?

LK

Naja, wir wissen, wie viele es sind. Wir können sagen, es handelt sich um zwischen sieben und zehn Restaurants, die alle in einem Netzwerk-Verbund zusammengehören oder zumindest in geschäftlichen Kontakten untereinander verbunden sind. Das Problem ist, wenn du das Restaurant zeigst, musst du halt einen Mindesttatsachenbeweis in der Hand halten. Und das ist das Problem. Vor deutschen Gerichten reichen leider interne Papiere von Ermittlungsbehörden nicht aus. Das macht die Sache rein juristisch immer sehr, sehr, sehr schwierig, sehr kompliziert. Die Bestätigung, dass diese Leute im Verdacht stehen, Mitglied der italienischen Mafia zu sein, die haben wir von so vielen Seiten. Aber es ist von dem vor dem Hintergrund der Persönlichkeitsrechte des Persönlichkeitsrechts Schutzes einer einzelnen Person extrem schwierig, in Deutschland so personifiziert über organisierte Kriminalität zu berichten als beispielsweise in anderen Ländern.

SK

Ich will trotzdem noch einmal auf den Punkt Gefährlichkeit zurückkommen. Für den Film seid Ihr ja auch in Kalabrien gewesen, unter anderem an diesem Wallfahrtsort Madonna di Polsi. Und im Film heißt es da: „Schwer bewaffnete Carabinieri garantieren für unsere Sicherheit.“ Es ist also dann, wenn ihr als deutsche Journalisten in Italien unterwegs seid, gefährlicher?

LK

Also, das muss man halt tatsächlich immer vor dem Hintergrund sehen, in was für einer Region wir uns da bewegen und was unsere Aufgabe ist. Also Kalabrien an sich ist ein wunderschönes Land, und das kann ich nur jedem wärmstens ans Herz legen: Hinfahren, Urlaub machen. Ganz toll, muss man wirklich sagen. Wir waren aber dort nicht zum Urlaub, sondern zum Arbeiten. Und das ist natürlich noch mal was ganz anderes, wenn man als deutsches Journalisten-Team in diesen Dörfern unterwegs ist, die die Hochburgen dieser Ndrangheta sind. Und man muss sich halt vorstellen, dass dort Orte existieren, die komplett nur aus Familien bestehen, die alle irgendwelchen großen Ndrangheta Clans zugehören. Wenn du damit einer Kamera durch so ein Ort fährt oder läufst, dann ist das halt nicht ganz ungefährlich. Es hat schon Übergriffe auf TV-Teams gegeben, und wir hatten auch im Vorfeld unserer Reise da entsprechend mit den Carabinieri Kontakt aufgenommen. Und die haben dann auch gesagt, wir würden das mit euch zusammen gerne machen, um euch auch einfach bestimmte Dinge zu erklären, zu erzählen. Man sieht da in dem Film zum Beispiel, dass wir da in dieser ehemaligen gestürmten Mafia Villa von von einem großen Mafiaboss drin waren. Da kommt man als normales Fernsehteam nicht einfach rein. Das ist uns gelungen, weil die Carabinieri uns da den Weg geebnet haben. Und ja, und es ist ein gefährliches Land, also für Reporter in dieser Arbeit meine ich, gefährlich. Natürlich waren da in San Luca, als wir da mit dem Team und auch mit den Carrabinieri unterwegs waren, waren da permanent immer irgendwo Motorroller unterwegs, als Späher, die geguckt haben, was wir da machen. Gar keine Frage.

SK

Der Film heißt „Mafia-Kolonie Ostdeutschland“. Da habt ihr jetzt das Hauptaugenmerk des Films auf die Ndrangheta gelegt. Sind das jetzt die einzigen, die hier Räume besetzt haben in Ostdeutschland?

LK

Also nach aktuellem Stand Ja. Zumindest, was wir in unseren Recherchen herausgefunden haben. Aber in der historischen Betrachtung muss man sagen, dass auch die beiden anderen großen italienischen Mafia-Organisation Camorra und auch die Cosa Nostra aktiv waren. Möglicherweise sind sie es auch noch, aber vielleicht nicht so offensichtlich. Aber wir hatten zum Beispiel Hinweise gefunden in Sachsen-Anhalt auf Aktivitäten der Camorra Mitte/Ende der 90er-Jahre, bis auch Mitte der 2000er-Jahre. In Sachsen gab es unter anderem einen einen Mafia-Mord. Und dieser Mafia-Mord, der führt in die Reihen der Cosa Nostra, der sizilianischen Mafia,. Aber was wir in dem Film jetzt nicht beleuchtet habne – das wäre noch mal ein ganz anderes Thema - es gab hier kurz nach der Wende, ganz aktiv, vor allem in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, in Berlin einen starken Einfluss von russischen Mafia-Gruppierungen, die hierher gekommen sind. Wir haben in Sachsen starke Gruppierungen der Tschetschenen, besonders in Dresden. Wir haben hier in Thüringen, aber auch in Leipzig mehrere Clan-Ableger der armenischen Mafia, eine bis vor wenigen Jahren relativ unbekannte Gruppierung, die aber absolut nicht zu unterschätzen ist. Eine sehr große und auch sehr mächtiger Mafia-Organisation mit einflussreichen Bossen und viel Geld, die besonders in Leipzig, aber auch hier in Thüringen und auch in Berlin unterwegs ist. Also sagen wir mal, die ostdeutschen Bundesländer sind für für organisierte Kriminalität auf jeden Fall auch ein attraktives Pflaster.

SK

Wenn die Zuhörer sich jetzt vielleicht fragen: Na ja, es ist aber eigentlich lecker in dem Restaurant, ich habe zwar gehört, gerüchteweise, es soll Mafia sein. Aber ich finde es da lecker. Und es ist gemütlich und schön. Wo ist eigentlich das Problem, wenn ich da essen gehe, also für mich als als normalen Kunden?

LK

Als normaler Kunde - das Problem besteht darin, dass man faktisch durch den Besuch und auch vielleicht durch das Essen dort die Gruppierung auch damit unterstützt. In dem man faktisch die Legalität, die sie durch dieses Restaurant erlangt haben, weiter unterstreicht. Ich glaube, es wäre zu kurz gegriffen, wenn man sagt, wenn man dort eine Pizza isst, unterstützt man organisierte Kriminalität. Aber was man macht , man unterstützt die Etablierung das jeweiligen Restaurants. Wenn der Verdacht besteht, dass dahinter sozusagen mutmaßliche Ndrangheta oder andere italienische Mafia-Gruppierungen stehen könnten, unterstützt man deren Weg in die Legalität. Und dass das ist eigentlich das, das zivilgesellschaftliche Problem bei der ganzen Geschichte. Aber gleichwohl muss das jeder selbst entscheiden. Ich würde nie jemanden Vorschriften machen. Ganz ehrlich jeder muss selbst eine Entscheidung treffen, wie er das handelt.

SK

Und Du, wirst Du denn noch freundlich beim Italiener empfangen …?

LK

Ich gehe nicht italienisch essen. Ich esse nur gerne in Italien. Ich fahre gerne nach Italien. Italien ist eins meiner absoluten Lieblingsländer. Ich mag Italien sehr. Ich habe in Italien auch Freunde. Aber das, was ich hier, auch durch mein Wissen als Journalist, und das gilt auch für meine anderen ganzen Kollegen, was wir als Journalisten als Wissen haben – das ist dann unsere private persönliche Entscheidung, dass wir eben auch diese Lokale nicht nicht aufsuchen würden. Aber das tut ganz ehrlich dem Geschäft keinen Abbruch, denn das sieht man ja, die sind - jetzt momentan in der derzeitigen Situation mit Corona natürlich nicht, da sind die Läden auch alle zu - aber im normalen Leben außerhalb von Corona sind die auch alle voll. Und die machen ihren Umsatz

SK

Ganz zum Schluss noch mal die Frage, was denkst Du: Ist die Mafia gekommen, um zu bleiben? Also kriegen wir die wieder raus aus den Städten?

LK

Das hängt sicherlich davon einfach ab, welche strategischen Entscheidungen sie selber trifft. Und inwieweit sie sozusagen durch staatliche Restriktionen respektive durch Strafverfolgung möglicherweise unter Druck gerät, bestimmte Stützpunkte in Deutschland aufzugeben. Aber im Großen und Ganzen, glaube ich, gehört sie einfach zur kriminellen Struktur dazu. Und das werden wir auch in ihrer Gesamtheit nicht wegbekommen. Das ist einfach so.

SK

Na gut, dann können wir uns ja wahrscheinlich in einiger Zeit auf den nächsten Mafia-Filmen von Euch freuen, wenn die uns erhalten bleibt, die Mafia. Ludwig, ich danke Dir sehr für die Zeit, die Du Dir genommen hast. Das war sehr interessant und bis bald Tschüss

Abmoderation:

Das war der Podcast „MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche“. in den Shownotes finden Sie Links zu weiteren Informationen und auch den Link zu dem Film „Mafia Kolonie Ostdeutschland“. Außerdem gibt es dort eine Übersicht aller Folgen und unsere Adresse für das Feedback. Direkter Weg für Kritik und Anregungen wäre die E-Mail investigativ@mdr.de auf www.mdr.de/investigativ-podcast finden Sie alle unsere Folgen. Und hier können Sie uns auch ganz bequem abonnieren. Die nächste Folge „MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche“ kommt am 23. April. Dann wieder mit Esther Stephan. Wir hören uns, so sie mögen in vier Wochen wieder. Machen Sie's gut und bis zum nächsten Mal!

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