Europaweites Mafia-Verfahren Spur führt zu 'Ndrangheta in Thüringen

05. Mai 2021, 21:30 Uhr

In einem europaweiten Verfahren gegen die kalabrische Mafia 'Ndrangheta führen Spuren nach Thüringen. Einer der Festgenommenen soll zum Umfeld einer großen 'Ndrangheta-Zelle in Erfurt gehören. Er war jahrelang geschäftlich in Thüringen aktiv. In dem großen Verfahren geht es um Kokainhandel und Umsatzsteuerbetrug.

Es war ein europaweiter Schlag gegen die kalabrische Mafia 'Ndrangheta. Die Operation "Platinum" startete am Mittwochmorgen in Italien, Deutschland, Rumänien und Spanien. Es geht um kiloweise Handel mit Kokain und um den Betrug von Umsatzsteuer. Betroffen davon sind italienische Restaurants in ganz Deutschland. Sie sollen schwarz Lebensmittel von Mafia-Firmen gekauft und so die Umsatzsteuer umgangen haben. Die illegalen Gewinne sollen, so der Verdacht der Ermittler, nach Italien transferiert worden sein.

Spur führt nach Thüringen

An diesen Geschäften mutmaßlich beteiligt war offenbar auch Sebastiano S., das ergaben Recherchen von MDR, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) und der italienischen Rechercheplattform IrpiMedia. S. ist für Ermittler in Thüringen kein Unbekannter. Er lebte und arbeitete eine ganze Weile in Erfurt und Eisenach. Nach Recherchen von MDR und FAZ war er 2001 der Geschäftsführer eines Italienischen Restaurants in Erfurt.

Dieses gehörte einer Investorengruppe, die vom Bundeskriminalamt (BKA) und dem Thüringer Landeskriminalamt der 'Ndrangheta-Gruppe in Erfurt zugerechnet wird. S. arbeitete offenbar einige Jahre in Erfurt, bevor er nach Eisenach ging. Dort stieg er in ein italienisches Restaurant ein, das in internen Ermittlungsunterlagen des BKA ebenfalls der 'Ndrangheta-Struktur in Thüringen zugerechnet wird.

Offenbar Kontakte zu Thüringer 'Ndrangheta-Zelle

Die Behörden gehen davon, dass S. mutmaßlich zum Umfeld der Thüringer 'Ndrangheta-Struktur gehörte, die von Fahndern auch als "Erfurter Gruppe" bezeichnet wird. Dann ging er nach Baden-Württemberg und eröffnete 2006 dort ein Restaurant. Seit Jahren ist er in der Region geschäftlich aktiv. Für die Ermittler tauchte er 2014 wieder auf dem Radar auf und es zeigte sich, dass er offenbar weiterhin gute Kontakte nach Thüringen hat. Denn bei den Ermittlungen zur Operation "Stige" wurde ein Gespräch zwischen S. und einem weiteren Italiener abgehört.

In diesem Verfahren ging es um illegalen Lebensmittelhandel. So wurden italienische Gastronomen in Deutschland unter Druck gesetzt, Waren von Mafia-Firmen zu kaufen. In einem der abgehörten Gespräche bezieht sich S., gegen den in "Stige" aber nicht ermittelt wurde, offenbar auch auf die italienischen Restaurantstrukturen in Thüringen. So ist zu hören, wie er sagt: "Sie haben Erfurt und Eisenach." Mit "Sie" meint er offenbar die mutmaßlichen 'Ndrangheta-Mitglieder, die entsprechende Restaurants in diesen beiden Städten besitzen sollen und zu denen er offenbar weiter Kontakte pflegte.

Beschuldigter taucht in Fido-Akten auf

Nach den Recherchen von MDR und FAZ war S. zu einem Zeitpunkt in Erfurt, als ein großes Mafia-Verfahren mit dem Decknamen Fido geführt wurde. Damals standen acht Italiener unter dem Verdacht des Drogenhandels und der Geldwäsche. Sebastiano S. war mit den Führungsleuten eng verbunden. So tauchte sein Handy in den Abhöroperationen von BKA und Thüringer LKA auf. Rund 4.000 Gespräche wurden zwischen 2000 und 2002 abgehört. Er selber wurde von einem der mutmaßlichen Bosse in Erfurt immer wieder per Telefon kontaktiert.

Das Verfahren Fido hat in Thüringen aktuell ein parlamentarisches Nachspiel. Nachdem MDR und FAZ Ende Februar von einem bis heute ungeklärten Abbruch der Ermittlungen berichtet hatten, soll nun ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags das aufklären. Am Donnerstag soll erneut versucht werden, die Linke-Abgeordnete Katharina König-Preuss zur Vorsitzenden zu wählen. Vor zwei Wochen war ihre Wahl gescheitert. Aus diesem Grund konnte sich der Ausschuss auch bisher nicht konstituieren.

Rund 30 Festnahmen in Deutschland und Italien

Nun ist Sebastiano S. am Mittwoch im Rahmen der Operation "Platinum" in Kalabrien festgenommen worden. Rund 800 Ermittler waren seit dem Morgen im Einsatz. Durchsucht wurde in Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Nordrhein-Westfalen. Die Ermittlungen werden von den Staatsanwaltschaften in Turin und Konstanz geleitet und richten sich gegen rund 80 Beschuldigte.

In Deutschland wurden drei Haftbefehle erlassen, von denen einer bisher vollstreckt werden konnte. In Italien sind rund 30 Beschuldigte vorübergehend festgenommen worden. Deutsche und italienische Fahnder beschlagnahmten Vermögen im Wert von sechs Millionen Euro.

Drei Jahre lang haben Ermittler in ganz Europa die Verdächtigen überwacht und gegen sie ermittelt. Neben dem Drogenhandel ging es auch um den Betrug der Umsatzsteuer im Lebensmittelhandel. Dabei könnte es sich um ein kriminelles Modell handeln, das möglicherweise Hunderte italienische Restaurants in Deutschland betrifft.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 05. Mai 2021 | 19:00 Uhr

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