Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht? Weiter im Visier der Geheimdienste
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31. März 2019, 05:01 Uhr
1981 taucht Albrecht im Verfassungsschutzbericht unter dem Stichwort "Die sog. Libanon-Gruppe" auf. Darin heißt es, dass Karl-Heinz Hoffmann über Albrecht die Verbindung zum Sicherheitsbüro der Fatah aufgenommen habe. Albrecht habe seit Ende der 1960er-Jahre "engste Beziehungen" zu Fatah-Funktionären unterhalten. "Er versuchte wiederholt, deutsche Rechtsextremisten im Nahen Osten paramilitärisch ausbilden zu lassen." Inzwischen halte er sich "wieder im Vorderen Orient auf". Zwei Jahre später heißt es im Verfassungsschutzbericht dazu: "Albrecht, der 1981 unter spektakulären Umständen in die DDR floh, befindet sich wieder im Vorderen Orient."
Albrecht will Rache
Obwohl Albrecht die DDR verlassen hat, beschäftigt sich die Staatssicherheit weiter mit ihm. Denn nun schicken die Palästinenser Material. Im Dezember 1981 überlassen sie der Staatssicherheit 47 Blatt Aktenkopien. Darunter befindet sich eine BND-Analyse zu Albrechts Reisepass, Gerichtsdokumente und Zeitungsschnitte. Außerdem schicken die Palästinenser ein von Albrecht besprochenes Tonband nach Berlin. Die PLO-Sicherheitsleute wollen dazu eine Stellungnahme. Die Tonbandabschrift umfasst 23 Blatt und besteht aus zwei Teilen. Offenbar führte Albrecht das Gespräch mit Amin in seiner neuen Wohnung. Ihm geht es offenbar darum, das Vertrauen der Palästinenser zurückzugewinnen. Zu Beginn des Gespräches bittet Albrecht darum, das Tonband nicht weiterzugeben. Albrecht beklagt sich darüber, dass er bereits in der Vergangenheit Berichte an die Palästinenser geliefert habe, diese aber "völlig unbeachtet oder überflüssig waren". Dies habe ihn deprimiert und verbittert. Vor allem über Atef beklagt er sich immer wieder. Als Beispiel nennt Albrecht seine Hinweise auf israelische Agenten in der Bonner PLO-Vertretung. Damit sei er nicht auf offene Ohren gestoßen. Atef habe außerdem hinter seinem Rücken Geschäfte mit Hoffmann gemacht: "Und bei diesen Spitzbuden ist das auch Schäbigkeit". Deprimierend sei auch seine Bilanz nach über zehn Jahren Kampf "gegen den Zionismus, weltweit und nicht nur in Palästina". Es sei weiterhin seine "Lebensaufgabe", einen "persönlichen Beitrag, einen durchschlagenden Beitrag gegen dieses weltweite zionistische Verschwörung" zu leisten. Im weiteren Monolog beklagt sich Albrecht sowohl über "Jung" als auch über seinen Anwalt Schöttler. Dieser habe "eine ganz böse Rolle gespielt". Mit lancierten Presseberichten über Mandanten habe er ihm geschadet. Schöttler habe ihn als PLO-Terroristen "hochstilisiert", um selbst den Staranwalt zu "spielen". Das Kapitel "Jung" treibt Albrecht weiter um. "Ich will die Sache weiter verfolgen, ich will wissen, wer dahinter gesteckt hat". Außerdem erklärt Albrecht den Palästinensern, dass die "Berliner", gemeint ist die DDR-Staatssicherheit, Interesse an Informationen über "Jung" hätten. Zum Abschluss der Aussage gibt sich Albrecht zwei Aufgaben: Zum einen will er das Kapitel "Jung" beenden. "Die genauen technischen Möglichkeiten will ich nicht auf Band sprechen." Und zum anderen will er den "Fall Hoffmann" erledigen. Auch mit Blick auf die "Hoffmann-Bastarde" bleibt Albrecht mit Details im vagen. Alles solle jedoch in Absprache mit den Palästinensern geschehen. Außerdem will er all den Verrat und all die Intrigen aufklären. Dazu schlägt er vor, über einen Anwalt Ermittlungsunterlagen kopieren zu lassen.
Die DDR-Staatssicherheit analysiert die Angaben Albrechts. Viel Neues können sie nicht entdecken. Auch Widersprüche gibt es nicht. Die Geheimdienstmänner wollen allerdings von Albrecht bzw. der PLO noch einige Fragen beantwortet haben. Die wichtigste Frage: "Welche detaillierten Pläne zur praktischen Verwirklichung seiner Zielstellungen gegenüber den Personen Jung und Pohl sowie der ‚WSG Hoffmann‘ existieren?" Außerdem will die Staatssicherheit die PLO bitten, "ein persönliches Auftreten des A. im europäischen Raum zu verhindern".
Zweites Tonband
Wenige Wochen später kommt noch ein Tonband aus dem Nahen Osten in Ost-Berlin an. Wieder hat Amin mit Albrecht gesprochen. Albrecht schildert zunächst seine Festnahme durch als Telefontechniker getarnte Polizisten und den Beginn seiner Haft in Mannheim. Natürlich hegt Albrecht von Anfang an Fluchtabsichten, die allerdings scheitern. Dann spricht er ausführlich über seinen Mannheimer Anwalt und "Jung". Albrecht sucht eine Erklärung für seine Haft, da er die Banküberfall-Vorwürfe abstreitet. Er vermutet politische Hintergründe, einen "Racheakt". Vor allem wirft er den Ermittlungsbehörden vor, alles was mit "Jung" im Zusammenhang steht, zu unterdrücken. Es sei versucht worden, "diese Figur JUNG so lächerlich hinzustellen, als eine Phantasiegestalt, die gar nicht existiert usw." Albrecht will deshalb Öffentlichkeit. Aber seine Briefe, die er in dieser Sache, an den "Spiegel" und an Innenminister Gerhart Baum geschickt habe, seien abgefangen worden. Das Bundeskriminalamt habe ihn unschuldig in Haft gelassen. Ein "Verbrechen", sagt er auf Tonband. Den Palästinensern schildert Albrecht seine verzweifelten Bemühungen und seine Machtlosigkeit, "Jung" zu ermitteln. Er habe eine Gegenüberstellung gewollt und verlangt, dass "Jung" richterlich vernommen werde. Beides sei nicht geschehen. Allerdings habe er später erfahren, dass "Jung" tatsächlich identifiziert und vernommen worden sei. Allerdings sei das Protokoll nichtssagend gewesen. "Jung" habe erklärt, dass seine Adresse eine Tarnadresse in Brüssel sei und sein Name ein Arbeitsname. Albrecht ist noch immer verärgert: Er "habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass ich in dieser Hinsicht noch mal tätig werden kann, um diese Schweinerei zu klären und auch die entsprechende Rechnung zu begleichen." Albrecht berichtet auch Details über seine Flucht in die DDR und die anschließenden Verhöre. Er hat Respekt für die Stasi-Vernehmer, "routinierte Profis", denen man nichts mehr weiß mache. Sie hätten wissen wollen, ob er "echt" aus der Haft geflüchtet sei oder "ob das vielleicht eine geduckte Geschichte ist". Er sei jedenfalls nicht wieder ins Gefängnis gekommen. Am Ende des Gespräches bietet sich Albrecht den Palästinensern an, eine "Sache" zu "leisten", damit sein Ruf wieder hergestellt werde. Er wolle kein Rentner-Dasein fristen oder jemanden zur Last fallen. Konkreter wird er nicht.
Die Staatssicherheit wertet die Aussagen Albrechts abermals genau aus. Die neuen Aussagen von Albrecht stimmen mit denen in der DDR vorliegenden Informationen überein. "Prinzipielle Widersprüche" kann die Staatssicherheit nicht entdecken. Gleichzeitig registriert die Staatssicherheit das starke Interesse Albrechts, sich als loyaler Mitstreiter der PLO darzustellen. Die MfS-Analysten schlagen vor, den Kontakt zu Albrecht über die PLO weiter zu halten. Persönliche Gespräche zwischen Albrecht und einem "sachkundigen Mitarbeiter des MfS" sollten ins Auge gefasst werden. Vor allem ist die Staatssicherheit an weiteren Informationen zu "Jung" interessiert. Erneut endet die Analyse mit dem Auftrag: "Mit den Genossen der PLO-Sicherheit ist weiterhin das Vorgehen des Albrecht bezüglich seiner Pläne und Absichten zu beraten, um ein persönliches Auftreten des Genannten im europäischen Raum prinzipiell zu verhindern und ein koordiniertes den operativen Interessen des MfS entsprechendes Zusammenwirken zu gewährleisten."
"Auch die Idee eines Unschädlichmachens wurde innerhalb des Organs erörtert"
Auch die Auslandsaufklärung der Staatssicherheit analysiert Ende Januar 1982 die Pläne Albrechts. Albrecht wolle offenbar "Jung" nach Beirut locken und töten. Möglicherweise solle auch Pohl in den Libanon gelockt und getötet werden. Die PLO-Sicherheit sähe Albrecht kritisch, er sei impulsiv und sei weder als Doppelagent noch als Informationsquelle gut geeignet. Die Staatssicherheit notiert "Innerhalb der Leitung der PLO-Sicherheit herrscht noch keine Klarheit, was mit A. passieren soll." Eine Übergabe an das MfS sei von den Genossen in Beirut "als nicht sinnvoll" abgelehnt worden. In der Analyse heißt es weiter: "A. wurde zu einer Belastung für die PLO-Sicherheit. Auch die Idee eines Unschädlichmachens wurde innerhalb des Organs erörtert."
Mitte April 1982 erhebt die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen Albrecht. Im August 1982 kommt ein Haftbefehl des Landgerichtes Nürnberg dazu. Es geht um Albrechts Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann und die Geldfälschung. Im November interessiert sich der Generalbundesanwalt abermals für Albrecht. Die Ermittler wollen Albrecht zum Oktoberfest-Attentat vom September 1980 befragen. Damals waren 13 Menschen getötet und mehr als 200 verletzt worden.
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr