Arafats Thüringer "General" - Wo ist Udo Albrecht? Einsatz in der Schweiz
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31. März 2019, 05:00 Uhr
Albrecht ist nun der Kurier von Terroristen. Die Ermittler finden später ein Flugticket für "Manfred Kaiser" vom 1. Dezember 1970 von Beirut nach Frankfurt und Köln. Bei dieser Reise will Albrecht Sprengstoff aus Beirut in die Schweiz transportiert haben. Anschließend sei es zurück in den Libanon gegangen. Von dort sei er dann zu einem zweiten Sprengstoff-Transport aufgebrochen.
Im Dezember 1970, so sagt es Albrecht in einer späteren Vernehmung, habe er von den Palästinensern den Auftrag erhalten, über Zürich in die Bundesrepublik zu fliegen, "um dort Organisationsarbeit zu leisten, die vorwiegend darin bestehen sollte, in Westdeutschland neue Leute anzuwerben." Aber es gibt auch noch einen zweiten Auftrag: "Zudem wurde ich mit Sprengstoff und Zündkapseln ausgerüstet, um in Westdeutschland durch Propagandasprengungen - wie z.B. die Mauer des Dachauer Krematoriums - die Aufmerksamkeit auf unsere Organisation und deren Ziele in Westdeutschland zu lenken." Später spricht Albrecht von einem geplanten Anschlag auf die Botschaft Israels.
Das Schließfach
Am 21. Dezember 1970 landet Albrecht mit Flug Swissair SR 303 aus Beirut kommend in Zürich-Kloten. Bei der Einreise benutzt er den Pass des deutschen Rechtsextremisten Erhard Reinhardt. Dieser soll wie Albrecht aus der DDR stammen und zu den Gründern vom "Freundeskreis für den Wiederaufbau Palästinas" gehören. Außerdem soll Reinhardt Kontakte zur Fatah haben. In Reinhardts echtem Pass klebt ein Foto von Albrecht. Am 23. Dezember betritt Albrecht die Schweizerische Volksbank Zürich. Er legt den Ausweis von "Günter Richter" und eine Vollmacht vor. Dann öffnet er das Schließfach 4009 und deponiert dort "Waren, die er in einer Mappe mitbrachte".
Nach eigenen Aussagen entnimmt er dem Schließfach Blanko-Formulare für einen deutschen Personalausweis und Kfz-Papiere. Den Schlüssel für das Depot habe er zuvor "von der Zentrale in Beirut" erhalten. Das Schließfach hatte Erhard Reinhardt erst am 2. Dezember für zwei Jahre angemietet. Ist das Schließfach ein Teil der Infrastruktur palästinensischer Terroristen, die eine Geiselnahme bei den olympischen Spielen in München vorbereiten?
Festnahme im Hotel
Am 24. Dezember nachmittags wird "Günter Richter" in seinem Hotel festgenommen. Weshalb die Ermittler Verdacht geschöpft haben, ist in den Akten nicht dokumentiert. Bei Albrecht werden Sprengstoff, Sprengkapseln, gefälschte Autoschilder und gefälschte Ausweise entdeckt. Auch ein Fatah-Ausweis mit Foto ist darunter. In seinen Sohlen entdecken die Ermittler zwei Stahlsägeblätter. Die Ermittler müssen alarmiert sein: In diesen Monaten rollt eine Welle terroristischer Gewalt über die Schweiz: 1969 wurde in Zürich-Kloten ein Flugzeug der Fluggesellschaft El Al von Palästinensern überfallen, der Pilot tödlich verletzt. Im Februar 1970 stürzte nach einem Bombenanschlag durch palästinensische Terroristen eine Maschine der Swissair bei Würenlingen im Kanton Aargau ab. Alle 47 Insassen starben. Im September 1970 das nächste Attentat: Eine Swissair-Maschine, die auf dem Weg nach New York ist, wurde nach Jordanien entführt. Der "Schwarze September" begann.
Die Schweizer Polizei informiert umgehend die deutschen Behörden über die Festnahme Albrechts und möchte wissen, ob die Auslieferung verlangt werde. Noch am zweiten Weihnachtsfeiertag antworten die Deutschen mit einem "dringenden" Fernschreiben: Sie bitten darum, Albrecht in vorläufige Auslieferungshaft zu nehmen. Gleichzeitig warnen sie die Kollegen: "Albrecht tritt sehr gewandt auf und ist ein äußerst gefährlicher Ausbrecher." Und weiter: "Es ist zu vermuten, dass er Personalpapiere arabischer Staaten oder von Schutzmachtvertretungen, ausgestellt auf Falschnamen, mit sich führt." Auch die Eidgenössische Polizei in Bern warnt die Kollegen in Zürich per Fernschreiben: "Achtung. Bei Albrecht handelt es sich um einen gefährlichen Verbrecher. Es besteht große Ausbruchsgefahr. Besondere Vorsichtsmaßnahmen anordnen."
Asylantrag in der Schweiz
In der Haft schweigt Albrecht. Er verweigert die Aussage und unterzeichnet die Protokolle nicht. Gleichzeitig wird ihm schnell klar gemacht, dass er rasch in die Bundesrepublik abgeschoben wird. Dies will er unter allen Umständen verhindern. Er bittet deshalb am 27. Dezember um politisches Asyl in der Schweiz. "Die Begründung", so Albrecht in seinem Antrag, "wird nachgereicht sobald mir Gelegenheit gegeben wurde, mich diesbezüglich mit dem Rechtsanwalt zu verständigen."
Am 29. Dezember 1970 wird der deutsche Rechtsextremist Erhard Reinhardt am Grenzübergang Lindau festgenommen. Die bayerischen Ermittler finden bei ihm gefälschte Kfz-Kennzeichen, TÜV-Plaketten und Stempel verschiedener Behörden. Schnell wird den Ermittlern auch klar, dass sich Reinhardt vom 22. bis 28. Dezember in Zürich aufgehalten hat. Die deutschen Behörden informieren ihre Schweizer Kollegen, dass der dringende Verdacht bestehe, "dass Reinhardt und Albrecht einer verbrecherischen Vereinigung angehören, die PKW in der BRD und im Ausland entwendet und mit Hilfe gefälschter Kennzeichen etc. in den Vorderen Orient ausführt." Die deutsche Polizei will von ihren Schweizer Kollegen wissen, ob eine Verbindung zwischen Reinhardt und Albrecht festgestellt werden kann.
Erst am 5. Januar lässt die Schweizer Polizei das Schließfach 4009 bei der Volksbank öffnen. Sie entdeckt den Reisepass von Reinhardt mit dem Passbild von Albrecht und Reinhardts Führerschein. Außerdem entdecken sie in dem Banksafe neun Stangen Vitezit-Sprengstoff, 14 Sprengkapseln, gefälschte Autoschilder, einen unbenutzten Personalausweis, 37 Stempel sowie palästinensisches Propagandamaterial. Später stellen Experten fest, dass der Sprengstoff aus Jugoslawien stammt.
"Das Asylgesuch wird selbstverständlich abgelehnt werden müssen."
Der Züricher Polizei ist klar, dass sie es hier mit einem "dicken Fisch" zu tun hat. Soll hier ein weiterer Terroranschlag gegen die Schweiz vorbereitet werden? Sie stellt einen Beamten ab, der Kontakt mit den deutschen Behörden halten soll. Eine "Sachbearbeiterkonferenz" wird angeregt. "Vorerst", so heißt es in einem Fernschreiben, "steht jedoch das Sammeln von Beweismaterial im Vordergrund. Nur dann erhoffen wir bei dem wortkargen und internationalen Verbrecher, Albrecht Udo, anzukommen."
Gleichzeitig beschäftigt die Schweizer Behörden auch Albrechts Asylbegehren. Auf Nachfrage erklärt die Bundesanwaltschaft, dass sie aus "politisch-polizeilichen und allgemeinen Sicherheitsgründen" eine Abweisung des Gesuchs beantragt. Gleichzeitig soll Albrecht hingehalten werden. Die Polizei will das Gesuch zunächst nutzen, "um von Albrecht durch zusätzliche Fragen, die vordergründig mit dem Asylgesuch in Zusammenhang gebracht werden, nach Möglichkeit weitere Angaben über seine deliktische Tätigkeit zu erhalten." Intern ist aber schon längst klar: "Das Asylgesuch wird selbstverständlich abgelehnt werden müssen."
"Wenn man mehr als 10 Jahre mit einer Legende lebte, ist es schwer die eigene Vergangenheit zu schildern"
Die erste Vernehmung beginnt am 5. Januar um 9:45 Uhr und endet um 17 Uhr. Albrecht wird später das Protokoll unterschreiben. In der stundenlangen Vernehmung nennt Albrecht keine Namen von Komplizen. Er belastet auch niemanden. Er schweigt auch zu Einzelheiten seiner Kontakte in den Nahen Osten.
Die Befragung, so der Vernehmer, gestaltet sich "sehr beschwerlich". Albrecht beantworte die Fragen ausweichend oder überlege minutenlang. "Als Ausrede brachte er vor: 'Wenn man mehr als 10 Jahre mit einer Legende lebte, ist es schwer die eigene Vergangenheit zu schildern.'" Ziel von Albrecht sei es offenbar, eine Auslieferung nach Deutschland zu verhindern. Immerhin gesteht ihm der Beamte zu, dass "der Großteil seiner Aussagen einigermaßen der Wahrheit entsprechen."
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 31. März 2019 | 06:00 Uhr